Elon Musk, Superstar 16.09.2017, 11:26 Uhr

Tesla: Das steckt hinter dem Hype-Konzern

Tesla ist der erste Autobauer des Facebook-Zeitalters. Eine begeisterte Fangemeinde feiert Gründer Elon Musk wie einen Heiligen - und sorgt für erstaunliches Wachstum der Elektroauto-Company aus Fremont.
Wurde über 400.000mal vorbestellt: Der Tesla Model 3
(Quelle: Tesla)
Jubel brandete auf, als Elon Musk Ende Juli 2017 während des "Handover Event" im kalifornischen Fremont die ersten 30 Tesla Model 3 an ihre neuen Besitzer verteilte - allesamt Tesla-Mitarbeiter. 
50 Exemplare des neuen elektrisch betriebenen Mittelklassemodells (siehe Aufmacherbild) hatte Tesla bis dahin gebaut, 20 davon wolle man für interne Tests behalten. Der Event wurde live im Netz übertragen, mehrere Hunderttausend Menschen in aller Welt verfolgten die Präsentation. 
Auch etablierte Autohersteller bauen erst einmal eine gewisse Stückzahl von einem neuen Modell und lassen dieses von Mitarbeitern testen, bevor sie sich damit in den Verkauf wagen. Das nennt sich dann "Nullserie" und geschieht eher im Verborgenen. Doch Tesla ist kein normaler Hersteller.

Erinnerungen an Steve Jobs

Wenn Firmenchef Elon Musk Mitarbeiter und Fans zu einem Termin lädt, dann werden Erinnerungen an Steve Jobs in seinen besten Zeiten wach. Wie der Apple-Mastermind schafft es der in Südafrika geborene Musk, die Massen zu begeistern und Menschen zu faszinieren, die Auftritte eines Dieter Zetsche - CEO der Daimler AG - eher als Zeitverschwendung sehen würden. Und wie bei Apple wird jede Nachricht von Tesla von einer riesigen Fangemeinde begierig aufgesogen, die sich in einem sicher ist: Dieses Unternehmen wird nicht nur die Automobilindustrie verändern, sondern die ganze Welt. 

Elon Musk - ein Mann mit kühnen Ambitionen

Dabei hatte alles ganz klein angefangen. 2002 hatte AC Propulsion, ein amerikanisches Unternehmen für elektrische Antriebe, einen Prototypen eines offenen Sportwagens vorgestellt, der mit Batterien fuhr. Auf Basis dieses Fahrzeugs entwickelten Martin Eberhard und Marc Tarpenning Konzepte für einen Elektroflitzer, der die Beschleunigung eines Supersportwagens besitzen und dabei emissionsfrei fahren sollte. 2003 wird Tesla Motors gegründet. Auch Elon Musk ist von der Idee fasziniert, elektrische Autos zu entwickeln, bei denen Fahrspass und Ökologie gleichermassen berücksichtigt werden.
Musk gilt zu dieser Zeit als ausgekochtes Schlitzohr, denn er hat zwei Jahre zuvor einen der bis dato grössten Exits der Internet-Geschichte hingelegt, den Verkauf des von ihm aufgebauten Bezahldienstes Paypal an den Online-Marktplatz eBay. 1,5 Milliarden US-Dollar brachte der Handel ein, 180 Millionen flossen direkt auf  Musks Konto, denn er war zum Zeitpunkt des Verkaufs mit 11,7 Prozent der Anteile grösser Paypal-Einzelaktionär.

Visionär oder Fantast? 

Als Musk 2004 zu Tesla stösst und dort alsbald die Rolle des CEO übernimmt, gilt der damals 33-Jährige zudem bei seinen Fans als Visionär, bei seinen Kritikern dagegen eher als Fantast. Denn der Mann, der neben einem südafrikanischen auch einen kanadischen und einen US-amerikanischen Pass besitzt, hat bereits im Jahr 2002 die Firma Space-X gegründet, ein Unternehmen, das den Weg zu einer bemannten Marsmission ebnen sollte. 
Kühn sind auch Musks weitere Ambitionen: "Als ich bei Paypal ausstieg, dachte ich mir, 'Was sind einige andere Probleme, die wahrscheinlich die Zukunft der Menschheit am meisten betreffen?' und nicht 'Womit lässt sich am besten Geld machen?'". Mit Zitaten wie diesen trifft Musk in das Herz der Silicon-Valley-Gemeinde. Man stelle sich vor, ein VW-CEO würde diese Vision seinen Aktionären auf einer Hauptversammlung präsentieren - aber Wolfsburg ist eben nicht Palo Alto und Martin Winterkorn nicht Elon Musk.

"Tesla düpiert die Autoindustrie"

Bis Tesla sein erstes Auto auf den Markt bringt, vergehen fünf Jahre. Die Firmengründer Eberhard und Tarpenning haben zu dem Zeitpunkt das Unternehmen bereits verlassen - im Streit, wie Zeitzeugen berichten. 2008 verblüfft der Tesla Roadster die Fachwelt mit Leistungsdaten, die zuvor kein elektrisch betriebenes Serienfahrzeug erreicht hat: Der zweisitzige Sportwagen beschleunigt in vier Sekunden von 0 auf 100 km/h und erzielt mit einer Akkuladung eine Reichweite von bis zu 370 km. Während die wenigen anderen E-Fahrzeuge, die man damals kaufen kann, kaum weiter als 100 Kilometer kommen und eher wie rollende Verzichtserklärungen wirken, verspricht der Tesla Roadster Spass beim Autofahren. 
Sein technisches Geheimnis ist sein Akku: Statt aufwendig grosse Batterien zu fertigen, montiert Tesla Tausende von gebräuchlichen Lithium-Rundzellen, wie sie etwa in Laptop-Akkus Verwendung finden, in ein gemeinsames Gehäuse. Das Presseecho ist gewaltig. Der "Focus" schreibt: "Das Tesla-Debüt ist ein Paukenschlag: Mit ein paar geschickt kombinierten Lithium-Ionen-Akkuzellen, wie sie inzwischen in jedem Notebook zu finden sind, düpiert der Auto-Newcomer die grossen Konzerne." 
Dieses Bild dominiert seitdem die öffentliche Wahrnehmung der ersten Autofirma des Facebook-Zeitalters: Tesla treibt die etablierten Autohersteller vor sich her, zwingt sie zum Reagieren und bereitet ihren Chefs schlaflose Nächte. Und ähnlich wie die Apple-Fangemeinde in ihren besten Tagen trägt eine riesige Schar von Tesla-Enthusiasten das Narrativ vom selbstlosen Genie Musk weiter. 

Das Vorbild für Iron Man

Betrachtet man den Tesla-Roadster von 2008 mit dem Blick, mit dem man normalerweise Sportwagen betrachten müsste, dann ist er nichts, was einem Autokonzern schlaflose Nächte bereiten sollte. Basierend auf dem Modell "Elise" des englischen Sportwagenherstellers Lotus wurde der Tesla Roadster von Hand bei Lotus montiert, über vier Jahre kamen nicht einmal 2.500 Stück zusammen. Zum Vergleich: Ferrari baut pro Jahr 4.000 Autos, Porsche über 200.000. Geld verdienen lässt sich mit einer solchen von Hand zusammengeschraubten Kleinserie kaum - sogar dann nicht, wenn jeder Roadster 100.000 Euro und mehr kostet. 
Musk ficht das nicht an. Nicht Geld verdienen stehe bei diesem Projekt im Vordergrund, so lässt er damals Kritiker wissen, sondern die Finanzierung des nächsten Modells, das dann auf einen breiteren Markt zielen solle. Musk hat zu diesem Zeitpunkt mit Solar City eine dritte Firma gegründet - und ist nach eigenem Bekunden ein armer Hund: "Meine Einnahmen aus dem Paypal-Verkauf waren 180 Millionen Dollar. 100 Millionen habe ich in Space-X investiert, 70 Millionen in Tesla und zehn Millionen in Solar City. Ich musste mir Geld pumpen, um meine Miete zu zahlen."
Und er wird von Hollywood entdeckt: Im Action-Kracher "Iron Man", der im März 2008 in die Kinos kommt, trägt die Hauptfigur Tony Stark Züge von Elon Musk: ein genialer Unternehmer, der mit seinen Erfindungen die Welt rettet. In dem Actionfilm taucht auch ein Tesla Roadster auf, obwohl der Wagen zu dem Zeitpunkt noch nicht auf dem Markt ist. 

Flug zum Mars

Doch nicht nur Musks Aktivitäten im Fahrzeugbau versetzen das Silicon Valley in Extase, sondern auch seine Weltraumpläne. Um dem Ziel der Marsmission ­näher zu kommen, entwickelt Space-X erst einmal kleinere Raketen und unbemannte Raumschiffe, mit denen Satelliten ins All geschossen und die internationale Raumstation ISS versorgt werden soll. Was 2002 noch wie eine Fantasterei eines über Nacht zu Reichtum gekommenen Start-up-Helden klang, entwickelt sich plötzlich zum Geschäft: Im Dezember 2008 vergibt die US-Raumfahrtbehörde Nasa einen Auftrag über 20 Versorgungsflüge zur ISS im Gesamtwert von 1,8 Milliarden US-Dollar an Space-X.   

Das Model S bringt die Zeitenwende

2012 wird dann das Tesla Model S vorgestellt, eine Oberklasselimousine zu Preisen ab 75.000 Euro aufwärts, die es mit den Premiumprodukten aus München, Stuttgart und Ingolstadt aufnehmen soll. In US-amerikanischen Tech-Blogs wird der Wagen wie eine Offenbarung aufgenommen, denn er verheisst nicht weniger als eine Disruption auf dem Automobilmarkt. Tesla verspricht allen Kunden kostenlosen Zugang zu einem weltweiten Netz von ­Ladestationen. Der Vertrieb erfolgt ausschliesslich über das Internet, ein Händlernetz in dem Sinne gibt es nicht. Neue Features erhält der Kunde via Drahtlos-Update - ein Besuch in der Werkstatt ist nicht erforderlich.
Das Model S markiert auch in der ­Aussenwahrnehmung von Tesla eine neue Stufe, denn zunehmend hartnäckiger verlangt die Internet-Fangemeinde von der Autoindustrie, sich Tesla zum Vorbild zu nehmen. Dabei findet immer häufiger ein Kommunikationsmuster Verwendung, das man aus amerikanischen Tech-Blogs kennt - erst kommt die Theorie, dann kommen die Fakten. 
Ein Beispiel: Im September 2014 rangiert das Model S in Norwegen auf Platz 1 der Zulassungsstatistik - für die Fangemeinde ein Beleg dafür, dass Tesla nicht mehr aufzuhalten ist. Übersehen werden im Jubel der Fans jedoch zwei Kleinigkeiten: Erstens werden Autos mit Verbrennungsmotor in Norwegen extrem hoch besteuert, während Besitzer von E-Fahrzeugen zahlreiche Privilegien geniessen. Und zweitens gelang der Coup mit der Zulassungsstatistik vor allem ­dadurch, dass Tesla das gesamte 2014er-Kontingent für Norwegen auf einen Schlag auslieferte. So kam es zustande, dass in ­einem Monat im Fünf-Millionen-Einwohner-Land Norwegen zehnmal so viele Teslas zugelassen wurden wie in Deutschland im selben Zeitraum. 

Im Valley gilt Wachstum mehr als Grösse

Dem Hype um Tesla können solche rationalen Erklärungen nicht viel anhaben, zumal im Silicon Valley Wachstum mehr gilt als absolute Grösse. Vor allem beim Wachstum lässt Tesla alle etablierten Konzerne hinter sich. So stieg der Umsatz von 413 Millionen US-Dollar im Jahr 2012 - dem Präsentationsjahr des Model S - auf sieben Milliarden US-Dollar im Jahr 2016. Absolut gesehen ist Tesla damit jedoch immer noch ein kleiner Fisch: Die VW-Gruppe setzt pro Jahr über 200 Milliarden Euro um, allein der VW-Forschungsetat ist deutlich höher als der Tesla-Gesamtumsatz. Zudem verdienen Konzerne wie VW - trotz Dieselskandal - jedes Jahr fleissig Geld; allein im vergangenen Jahr konnten die Wolfsburger über sieben Milliarden Euro verbuchen. Kein Wunder, stehen doch rund 90.000 produzierten Teslas über zehn Millionen Volkswagen, Audis und andere Autos des Konzerns gegenüber, die 2016 weltweit vom Band liefen.

Börsianer lieben Tesla 

Nicht nur die Fans, auch die Börsianer lieben Tesla. Mit dem Umsatz hat sich zwar auch der Verlust erhöht (allein in den letzten drei Jahren kamen fast zwei Milliarden Dollar an operativem Minus zusammen), doch den Aktienkurs beeinflusst das nicht, er hat sich seit 2013 verzehnfacht. Die Marktkapitalisierung liegt bei 50 Milliarden US-Dollar. Im Juni 2017 erreichte sie mit 62 Milliarden einen Spitzenwert - Tesla war an der Börse mehr wert als BMW. Rational ist das nicht zu erklären. BMW baut nicht nur 40-mal so viele Autos wie Tesla, die Münchner erzielten damit 2016 auch fast zehn Milliarden Euro Gewinn.  
Die Verluste seines Unternehmens erklärt Musk mit den gewaltigen Investitionen. So entsteht derzeit in Nevada die erste Gigafactory, das flächenmässig grösste Gebäude der Welt. Dort will Tesla die Unmengen von Batterien produzieren, die man für den nächsten Streich braucht - das eingangs erwähnte Model 3, das zum Millionenseller werden soll. Der neue kleine Tesla, der mit Preisen ab ca. 35.000 US-Dollar etwa halb so viel kosten wird wie ein Model S, hat die Fangemeinde elektrisiert. 
Ohne den Wagen auch nur einmal in Natura gesehen oder gar darin Probe gesessen zu haben, erwarben mehr als 400.000 Menschen eine Kaufoption - und leisteten dafür 1.000 Dollar (beziehungsweise Euro) Anzahlung. Allein am Tag der Vorstellung des ersten Prototypen im April 2016 haben angeblich über 100.000 Kunden vorbestellt - dagegen wirkt jede Warteschlange vor einem Apple-Store am Erstverkaufstag eines neuen iPhones irgendwie ärmlich. Dieser Bestelleingang verschafft Musk nicht nur ein zinsloses Darlehen von über vier Milliarden US-Dollar, es sichert ihm auch ein Auftragspolster, das für mindestens zwei Jahre reichen dürfte.

Kritische Fragen werden nicht gestellt

Auf konventionelle Werbung kann das Unternehmen angesichts dieser riesigen Fanbase getrost verzichten - auf konventionelle Pressearbeit ebenso. Journalisten etablierter Auto-Zeitungen müssen sich hinten anstellen, wenn es darum geht, einen Tesla für einen Testbericht zu ergattern. Wichtiger sind Tech-Blogs und Influencer im Netz, die oft als Erste ihre von grosser Begeisterung getragenen Eindrücke verbreiten. 

Braucht man eine Gigafactory?

Diese Begeisterung verhindert auch allzu kritische Fragen, so zum Beispiel die nach der Notwendigkeit einer gigantischen Stromspeicherfabrik in der Wüste von Nevada. Während Musk betont, dass ein solcher Schritt unerlässlich sei, weil er sonst nicht genügend Akkus für seine Autos bekommen könne, hat E-Auto- Pionier Nissan, der mit dem Nissan Leaf das bislang meistproduzierte E-Auto der Welt auf dem Markt hat, gerade sein Batteriewerk an einen chinesischen Investor verkauft.
Andererseits: Von Nissan-Chef Carlos Ghosn ist auch nicht bekannt, dass er zum Mars fliegen möchte.




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