Föderalismus ist eine Bremse für die Digitalisierung

Digitalisierung und die Cloud

com! professional: Die Digitalisierung funktioniert kaum ohne Cloud. Und da fangen schon die
Klare Meinung: Ein Grossteil der Unternehmen ist der Ansicht, dass die Pandemie ein deutlicher Schub für die Digitalisierung ist.
Quelle: Bitkom Research, n = 605 Unternehmen; Aussagen "trifft voll und ganz zu" und "trifft eher zu"
Bedenken an, etwa bezüglich des Datenschutzes. Was halten Sie von Projekten wie der europäischen Cloud GAIA-X? Ist sie ein Zugpferd in Sachen Digitalisierung?
Rohleder: Das Ziel von GAIA-X ist nicht, ein Zugpferd für die Digitalisierung zu werden. GAIA-X soll vielmehr einen hochsicheren, von europäischen Werten beziehungsweise Regularien geprägten Datenraum schaffen, der Unternehmen oder Verwaltungen eine besondere Sicherheit gibt. Wenn bisher wegen dieser fehlenden Sicherheit auf CloudLösungen verzichtet wurde, etwa im Bereich der öffentlichen Hand, dann kann GAIA-X dort zu einem Digitalisierungstreiber werden.
com! professional: Viele setzen weiterhin auf Hyperscaler wie Google & Co. Inzwischen bereiten die TechGiganten den Kartellbehörden aber grosse Sorgen. Sind diese Unternehmen überhaupt noch kontrollierbar?
Rohleder: An der Kontrolle versucht man sich ja, nicht nur in Deutschland. In den USA laufen zum Beispiel drei Verfahren gegen Google. Dabei geht es nicht nur um Kontrolle, es geht darum, den Wettbewerb zu erhalten. Auch wenn der Staat sich mit Eingriffen grundsätzlich zurückhalten sollte, muss geprüft werden, ob einzelne Marktteilnehmer ihre Stellung ausnutzen, und das unterbunden werden. Damit hält man den Wettbewerb lebendig - im Sinne der Verbraucher.
com! professional: Aber welche Alternativen gibt es? Haben wir überhaupt noch eine Chance gegenüber den riesigen Unternehmen aus Übersee oder China?
Rohleder: Es kommt auf die Bereiche an. China ist zum Beispiel im Halbleiterbereich schwach und abhängig von Importen. Wir sprechen hier von Global Sourcing, einer einzigartigen weltweiten Arbeitsteilung. Wir sind abhängig, China ist abhängig und die USA sind es auch. Die grossen US-Anbieter könnten keine Leistung anbieten, ohne Zugriff auf chinesische Technologie und umgekehrt.
Die Frage, die wir uns stellen: Ist es eine einseitige Abhängigkeit, die uns in eine Position bringt, in der Erpressungsversuche von Unternehmen oder Regierungen möglich sind, wie wir es in den vergangenen Jahren unter der Trump-Regierung erlebt haben? Zu sagen, wir verkaufen euch keine Autos mehr, ist kein Druckmittel. Hier muss es eine Kräfte-Balance geben. Was das bedeutet, hat man in der Auseinandersetzung zwischen den USA und China gesehen. Da musste die US-Regierung an manchen Stellen beidrehen, weil sie gemerkt hat, sie schadet sich selbst mehr als dass sie China unter Druck setzt.
Die Kernfrage ist: Haben wir solche Druckmittel beziehungsweise Alternativen, wenn von anderen Ländern oder Regierungen Druck ausgeübt wird, damit wir ausweichen können? Insofern ist es für uns in Deutschland wichtig, eigene Stärken zu entwickeln und Alternativen zu erhalten.
com! professional: Wir telefonieren gerade über Microsoft Teams, das hier auf einem Rechner mit Intel-Chips läuft, und auf meinem Smartphone ist ein angebissener Apfel. Braucht Deutschland in Sachen Technologie schlicht mehr Autarkie?
Rohleder: Autarkie brauchen wir nicht. An Autarkie versucht sich Nordkorea. Wir wollen vielmehr Souveränität erreichen, und dazu gehört etwas anderes als Autarkie. Wir müssen nicht alles selbst machen und damit auf Leistungs- und Wohlstandsgewinne verzichten. Zu Souveränität gehört in erster Linie, dass wir souveräne Entscheidungen treffen. Es gilt zu entscheiden, was machen wir selbst und was kaufen wir wo von wem bei vertrauenswürdigen Quellen ein.
com! professional: Und welche Rolle spielt die Politik? Es gab zahlreiche Ankündigungen, Versprechungen, Beschwörungen rund um das Grossthema Digitalisierung - aber passiert ist nicht viel.
Rohleder: Es gibt ja in Deutschland nicht „die“ Regierung - sondern wir haben 17 Regierungen, eine im Bund und 16 in den Ländern. Und das ist auch mit die Ursache des Problems, dass kaum etwas vorangeht.
com! professional: Die Corona-Pandemie zeigt gerade recht eindrucksvoll, wie schwer sich die Politik damit tut, in Bund und Ländern zu einem einheitlichen Ansatz zu kommen …
Rohleder: Und das zieht sich wie ein roter Faden bei uns durch, bei der Digitalisierung des Bildungswesens, des Gesundheitswesens oder der öffentlichen Verwaltung.
Es gibt unter anderem rund 9000 kommunale Onlineportale, die nicht wirklich untereinander agieren. Das ist ein Flickenteppich, den wir nicht zusammengewoben bekommen.
com! professional: Und wie sieht Ihr Plädoyer als Digitalverband aus?
Rohleder: Wir müssen schauen, dass wir die Problemursachen angehen und nicht nur immer an den Symptomen herumdoktern. Wir müssen uns eine Föderalismusreform vornehmen, die aber nicht darin bestehen kann, Besitzstände weiter zu verfestigen, sondern sich grundsätzlich zu überlegen, wo wollen wir in Deutschland hin und wie schaffen wir das.
Wir müssen in der Digitalisierung schneller werden und wir müssen tiefgreifend in die Digitalisierung eintauchen und gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen - von Bremen bis hinunter nach Bayern. Und das wird nicht gehen, wenn wir 16 unterschiedliche Datenschutzinterpretationen haben oder 16 unterschiedliche Bildungspolitiken, 16 unterschiedliche Verwaltungspolitiken et cetera. Wir müssen mehr zentrale Entscheidungen wagen.
com! professional: Kurzum - der Föderalismus bremst uns bei der Digitalisierung?
Rohleder: Der Föderalismus ist Deutschlands grösste Digitalisierungsbremse. Und das wird sie auch bleiben, wenn wir nicht an bestimmten Stellen reformieren, und zwar tiefgreifend.
 




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