Digitalverband Bitkom 09.05.2021, 17:01 Uhr

Föderalismus ist eine Bremse für die Digitalisierung

Bernhard Rohleder vom Digitalverband Bitkom über die Digitalisierung in Deutschland: Wo stehen wir, wo hakt es und wie können wir international bestehen?
(Quelle: Bitkom)
Öffentliche Verwaltung: Sie ist von einer digitalen Transformation oft noch meilenweit entfernt.
Quelle: Piyapong Wongkam / shutterstock.com
Die Corona-Pandemie nutzen viele Unternehmen Verwaltung besonders stolz ist, ist der Status quo der Digimehr oder weniger freiwillig - für massive strukturelle Veränderungen. Wenig überraschend zeigt sich, dass diejenigen Organisationen mit einem fortgeschrittenen digitalen Reifegrad meist besser durch die Krise kommen, als solche, die als digitale Nachzügler noch ganz am Anfang stehen. Diese sehen sich in der Situation, schnell Lösungen bereitstellen zu müssen - die dann häufig genug mit heisser Nadel gestrickt sind. Hier ein Interview, das bei unserer Schwester com! professional erschienen ist.
Doch wie ist der Status quo in Deutschland tatsächlich? Bernhard Rohleder, Mitgründer und Hauptgeschäftsführer des Digitalverbands Bitkom, zeigt auf, wo wir stehen und welche Rolle die Politik in Sachen Digitalisierung spielt.
com! professional: Herr Rohleder, Digitalisierung ist seit Jahren ein Hauptschlagwort in der wirtschaftspolitischen Diskussion. Wie weit ist die deutsche Wirtschaft?
Bernhard Rohleder: Wir sind heute weiter als wir gestern waren - aber bei Weitem nicht dort, wo wir eigentlich hinwollten. Und das lässt sich sehr schön am Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) der EU ablesen, wo uns im Gesamt-Ranking im Mittelfeld befinden. In einigen Bereichen, die politisch besonders gut gestaltbar wären, wie die Verwaltung, rangieren wir unter ferner liefen. Für eine Technologienation, die auf ihr Bildungswesen und ihre Verwaltung besonders stolz ist, ist der Status quo der Digitalisierung nicht so, wie wir uns das wünschen.
com! professional: Das Corona-Virus hat die Wirtschaft durcheinandergewirbelt - ein Weckruf für Deutschland aber auch ein Brennglas für die Digitalisierung. Häufig handelt es sich nur um Strohfeuer ...
Rohleder: Das gilt speziell dort, wo im Moment in einem Not-Modus geschaltet wurde. In der Verwaltung kann vielerorts ausserhalb der Verwaltungsräume nicht gearbeitet werden, auch nicht im Homeoffice. Dort fürchten die Mehrheit der Bundesbürger, dass nach der Pandemie alles wieder zurückgedreht wird und man weitermacht wie zuvor. Und das ist eine Sorge, die ich teile: Die Nachhaltigkeit der Digitalisierung, die in Privathaushalten und der Wirtschaft durchaus vorhanden ist, ist in der Verwaltung derzeit überhaupt nicht absehbar.
com! professional: Gibt es Bereiche, denen die Krise einen regelrechten Digitalisierungsschub versetzt hat?
Rohleder: Wir sehen das im Gesundheitsbereich, wo es einen enormen Schub gibt bei den Ärzten, die auch Videosprechstunden anbieten. Auch sehen wir das im Schulbereich, allerdings sehr stark abhängig von dem Engagement der jeweiligen Schulleiter und Lehrkörper. Da tut sich gerade eine unglaubliche Schere auf in Deutschland - Schulen, die sich jetzt extrem schnell und erfolgreich digitalisieren und auch in Zukunft Unterrichtsangebote in hybrider Form anbieten werden. Aber es gibt auch Schulen, da werden kopierte Blätter in den Sekretariaten und die Eltern müssen die abholen - und eine Woche später die ausgefüllten Arbeitsblätter wieder abgeben.
com! professional: Vertieft die Pandemie also die digitale Spaltung in unserem Land noch mehr? Auf der einen Seite diejenigen, die erfolgreich und engagiert digitalisieren, auf der anderen Seite die, die mehr oder weniger digitalisieren, weil es halt sein muss, die aber letztendlich hinten runterfallen?
Rohleder: Es fällt ja niemand hinten runter, weil er geschubst wird, sondern manche lassen sich hinten runterfallen - weil sie einfach zu träge oder entscheidungsunwillig sind. Die Corona-Krise sorgt dafür, dass sich die ohnehin vorhandene Schere noch weiter öffnet. Auf der einen Seite diejenigen, die schon gut aufgestellt waren und sich jetzt noch besser aufstellen. Und auf der anderen Seite diejenigen, die schlecht aufgestellt sind und jetzt noch weniger Schritt halten können.
com! professional: Die Krise hätte sich in vielen Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen sicher leichter handhaben lassen, wenn wir hierzulande bei der Digitalisierung schon weiter wären, oder?
Rohleder: Wenn wir Vieles bereits vor fünf oder gar zehn Jahren gemacht hätten, dann hätten wir zum Beispiel durchgängig unsere Schülerinnen und Schüler mit digitalen Bildungsangeboten erreicht. Und wir hätten auch an anderen Stellen bereits mehr Fortschritte gemacht, etwa wo es darum geht, Verwaltungsdienstleistungen online zur Verfügung zu stellen.
Es liegen zum Beispiel viele Baugenehmigungen brach. Das führt auch dazu, dass Mobilfunkbetreiber Anlagen nicht bauen können, weil Genehmigungen länger dauern. Das liegt nur daran, dass die Digitalisierung an vielen Stellen verschlafen wurde.

com! professional: Wenn wir mal auf die Wirtschaft schauen - deutsche Mittelständler tun sich hinsichtlich der Digitalisierung weiterhin schwer. Ist sie für den Mittelstand noch ein Schreckgespenst?
Rohleder: Vor der Digitalisierung hat in der Wirtschaft niemand wirklich Angst. Ich glaube, gerade unsere mittelständischen Unternehmen sind extrem innovationsstark.
com! professional: Erkennen die Unternehmen dann die Chancen einer Digitalisierung nicht oder ging es ihnen zuletzt einfach nur zu gut?
Rohleder: Sie haben in der Vergangenheit vor allem ein Luxusproblem gehabt - und zwar volle Auftragsbücher. Und mehr Aufträge als sie abarbeiten konnten. Deshalb haben sie alle Management- und operativen Ressourcen auf ihre aktuellen Kunden gelenkt. Und damit hat die Zeit für die Auseinandersetzung mit der Frage, welches Geschäft machen wir denn morgen und übermorgen, nicht gereicht. Die Unternehmen hatten - und haben auch derzeit - keinen Zwang, zusätzlich zu digitalisieren. Aber irgendwann, das sehen wir sehr schön im Einzelhandel, kommt der grosse Disruptor und nimmt das alte Geschäftsmodell komplett auseinander und stellt ein neues, für die Kunden attraktives Geschäftsmodell daneben - und dann ist es für viele Unternehmen fast schon zu spät. Durch Corona bleiben aber in vielen Unternehmen Aufträge aus. Und wir sehen, dass man sich dann wieder sehr viel mehr mit den Fragen der strategischen Ausrichtung beschäftigt.

Digitalisierung und die Cloud

com! professional: Die Digitalisierung funktioniert kaum ohne Cloud. Und da fangen schon die
Klare Meinung: Ein Grossteil der Unternehmen ist der Ansicht, dass die Pandemie ein deutlicher Schub für die Digitalisierung ist.
Quelle: Bitkom Research, n = 605 Unternehmen; Aussagen "trifft voll und ganz zu" und "trifft eher zu"
Bedenken an, etwa bezüglich des Datenschutzes. Was halten Sie von Projekten wie der europäischen Cloud GAIA-X? Ist sie ein Zugpferd in Sachen Digitalisierung?
Rohleder: Das Ziel von GAIA-X ist nicht, ein Zugpferd für die Digitalisierung zu werden. GAIA-X soll vielmehr einen hochsicheren, von europäischen Werten beziehungsweise Regularien geprägten Datenraum schaffen, der Unternehmen oder Verwaltungen eine besondere Sicherheit gibt. Wenn bisher wegen dieser fehlenden Sicherheit auf CloudLösungen verzichtet wurde, etwa im Bereich der öffentlichen Hand, dann kann GAIA-X dort zu einem Digitalisierungstreiber werden.
com! professional: Viele setzen weiterhin auf Hyperscaler wie Google & Co. Inzwischen bereiten die TechGiganten den Kartellbehörden aber grosse Sorgen. Sind diese Unternehmen überhaupt noch kontrollierbar?
Rohleder: An der Kontrolle versucht man sich ja, nicht nur in Deutschland. In den USA laufen zum Beispiel drei Verfahren gegen Google. Dabei geht es nicht nur um Kontrolle, es geht darum, den Wettbewerb zu erhalten. Auch wenn der Staat sich mit Eingriffen grundsätzlich zurückhalten sollte, muss geprüft werden, ob einzelne Marktteilnehmer ihre Stellung ausnutzen, und das unterbunden werden. Damit hält man den Wettbewerb lebendig - im Sinne der Verbraucher.
com! professional: Aber welche Alternativen gibt es? Haben wir überhaupt noch eine Chance gegenüber den riesigen Unternehmen aus Übersee oder China?
Rohleder: Es kommt auf die Bereiche an. China ist zum Beispiel im Halbleiterbereich schwach und abhängig von Importen. Wir sprechen hier von Global Sourcing, einer einzigartigen weltweiten Arbeitsteilung. Wir sind abhängig, China ist abhängig und die USA sind es auch. Die grossen US-Anbieter könnten keine Leistung anbieten, ohne Zugriff auf chinesische Technologie und umgekehrt.
Die Frage, die wir uns stellen: Ist es eine einseitige Abhängigkeit, die uns in eine Position bringt, in der Erpressungsversuche von Unternehmen oder Regierungen möglich sind, wie wir es in den vergangenen Jahren unter der Trump-Regierung erlebt haben? Zu sagen, wir verkaufen euch keine Autos mehr, ist kein Druckmittel. Hier muss es eine Kräfte-Balance geben. Was das bedeutet, hat man in der Auseinandersetzung zwischen den USA und China gesehen. Da musste die US-Regierung an manchen Stellen beidrehen, weil sie gemerkt hat, sie schadet sich selbst mehr als dass sie China unter Druck setzt.
Die Kernfrage ist: Haben wir solche Druckmittel beziehungsweise Alternativen, wenn von anderen Ländern oder Regierungen Druck ausgeübt wird, damit wir ausweichen können? Insofern ist es für uns in Deutschland wichtig, eigene Stärken zu entwickeln und Alternativen zu erhalten.
com! professional: Wir telefonieren gerade über Microsoft Teams, das hier auf einem Rechner mit Intel-Chips läuft, und auf meinem Smartphone ist ein angebissener Apfel. Braucht Deutschland in Sachen Technologie schlicht mehr Autarkie?
Rohleder: Autarkie brauchen wir nicht. An Autarkie versucht sich Nordkorea. Wir wollen vielmehr Souveränität erreichen, und dazu gehört etwas anderes als Autarkie. Wir müssen nicht alles selbst machen und damit auf Leistungs- und Wohlstandsgewinne verzichten. Zu Souveränität gehört in erster Linie, dass wir souveräne Entscheidungen treffen. Es gilt zu entscheiden, was machen wir selbst und was kaufen wir wo von wem bei vertrauenswürdigen Quellen ein.
com! professional: Und welche Rolle spielt die Politik? Es gab zahlreiche Ankündigungen, Versprechungen, Beschwörungen rund um das Grossthema Digitalisierung - aber passiert ist nicht viel.
Rohleder: Es gibt ja in Deutschland nicht „die“ Regierung - sondern wir haben 17 Regierungen, eine im Bund und 16 in den Ländern. Und das ist auch mit die Ursache des Problems, dass kaum etwas vorangeht.
com! professional: Die Corona-Pandemie zeigt gerade recht eindrucksvoll, wie schwer sich die Politik damit tut, in Bund und Ländern zu einem einheitlichen Ansatz zu kommen …
Rohleder: Und das zieht sich wie ein roter Faden bei uns durch, bei der Digitalisierung des Bildungswesens, des Gesundheitswesens oder der öffentlichen Verwaltung.
Es gibt unter anderem rund 9000 kommunale Onlineportale, die nicht wirklich untereinander agieren. Das ist ein Flickenteppich, den wir nicht zusammengewoben bekommen.
com! professional: Und wie sieht Ihr Plädoyer als Digitalverband aus?
Rohleder: Wir müssen schauen, dass wir die Problemursachen angehen und nicht nur immer an den Symptomen herumdoktern. Wir müssen uns eine Föderalismusreform vornehmen, die aber nicht darin bestehen kann, Besitzstände weiter zu verfestigen, sondern sich grundsätzlich zu überlegen, wo wollen wir in Deutschland hin und wie schaffen wir das.
Wir müssen in der Digitalisierung schneller werden und wir müssen tiefgreifend in die Digitalisierung eintauchen und gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen - von Bremen bis hinunter nach Bayern. Und das wird nicht gehen, wenn wir 16 unterschiedliche Datenschutzinterpretationen haben oder 16 unterschiedliche Bildungspolitiken, 16 unterschiedliche Verwaltungspolitiken et cetera. Wir müssen mehr zentrale Entscheidungen wagen.
com! professional: Kurzum - der Föderalismus bremst uns bei der Digitalisierung?
Rohleder: Der Föderalismus ist Deutschlands grösste Digitalisierungsbremse. Und das wird sie auch bleiben, wenn wir nicht an bestimmten Stellen reformieren, und zwar tiefgreifend.
 




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