Der Fall Wirecard - eine Betrügerbande im Dax?

Ist das organisierte Kriminalität?

Strafverfolger unterscheiden zwischen "OK" und Wirtschaftskriminalität. Unter "organisierte Kriminalität" fallen Gruppen, die im Geheimen illegalen Geschäften wie Drogen- oder Waffenhandel nachgehen. Wenn Manager legaler Unternehmen Verbotenes tun, ist das Wirtschaftskriminalität.
Allerdings gibt es eine Grauzone. So ist bekannt, dass die sizilianische Mafia auch legale Firmen betreibt, mit Gangstern als Geschäftsführern. Im Falle von Wirecard wusste die ganz grosse Mehrheit der weltweit 5.800 Mitarbeiter sehr wahrscheinlich nichts von gross angelegtem Betrug.

Wie hoch ist der Schaden, und wer sind die Geschädigten?

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft könnten rund 3,2 Milliarden Euro an Krediten verloren sein, die Banken und Investoren der Wirecard gewährten. Darüber hinaus hat Wirecard seit dem Höchststand der Aktie im Herbst 2018 über 20 Milliarden Euro an Börsenwert verloren. Daher zählen auch Tausende Kleinanleger zu den Geschädigten.
Bisheriger deutscher Rekordhalter in Sachen Betrug ist das badische Unternehmen Flowtex, das in den 1990er Jahren nicht existente Spezialbohrmaschinen verkaufte und damit einen Schaden von gut zwei Milliarden Euro anrichtete.

Wieso fielen derart gross angelegte Manipulationen so lang nicht auf?

Sowohl Ermittler als auch Beobachter rätseln, wieso sich über Jahre keiner der mutmasslich vielen Mittäter und -wisser in mehreren Ländern der Justiz anvertraute. Die Münchner Staatsanwaltschaft berichtete von "Korpsgeist" und "Treueschwüren gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden". Aber auch an der Rolle der Finanzaufsicht Bafin und den Wirtschaftsprüfern von EY gibt es viel Kritik.

Haben die Behörden und/oder Wirtschaftsprüfer versagt?

Die mutmasslichen Täter errichteten mit immensem Aufwand eine komplexe Scheinwelt, um Kontrolleure zu täuschen - mit einer Vielzahl von Tochterfirmen und angeblichen Geschäftspartnern bis hin zu fingierten Saldenbestätigungen für die Treuhandkonten.
Auf der anderen Seite liegen im Nachhinein Schwachstellen des Konstrukts offen zu Tage. So geht aus den für jedermann einsehbaren Bilanzen der Muttergesellschaft Wirecard AG zweifelsfrei hervor, dass ein aussergewöhnlich hoher Anteil der Gewinne in Dubai erwirtschaftet wurde, der Grossteil der zum Konzern gehörenden Firmen aber Verluste schrieb oder Minigewinne machte.
Nachträglich ebenfalls leicht nachzurecherchieren war, dass Wirecard bei Kreditkartenzahlungen in Deutschland einen sehr kleinen Marktanteil von unter fünf Prozent hat. Das passt nicht zu dem stürmischen Wachstum, das Wirecard Jahr um Jahr meldete.
Lange berichtete die britische "Financial Times" über Ungereimtheiten, doch die grosse Mehrheit der Investoren, Analysten, Anleger, Aufseher und Medien vertraute auf die testierten Bilanzen.
Zudem gab es wohl tatsächlich bösartige Manöver von Börsenspekulanten gegen Wirecard. 2019 ermittelten Finanzaufsicht Bafin und Münchner Staatsanwaltschaft deswegen zuerst in diese Richtung - zumindest soweit bisher bekannt. Das machte es dem Wirecard-Management leichter, Vorwürfe als üble Nachrede zu diskreditieren.

Was sagen die Beschuldigten?

Die Anwälte von Ex-Vorstandschef Braun geben derzeit keine Stellungnahme zu den Vorwürfen ab und verweisen auf die Unschuldvermutung. Zuvor hatte Braun Kooperation zugesagt, ebenso der frühere Dubai-Geschäftsführer. Ex-Vertriebschef Marsalek ist flüchtig, seine Anwaltskanzlei möchte sich ebenfalls nicht äussern.


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