"Online-Handel ist nichts für Warmduscher"

Sortiment, Systeme und Organisation müssen auf den Kopf gestellt werden

Mythos Sortiment: "Herz des Handels" ist immer noch das Sortiment. Dieser Erkenntnis wird eigenartigerweise in vielen Online-Shops nicht gefolgt. Skalierungsfähiger Umsatz kann auch hier - wie im stationären Geschäft - nur mit ausreichend grossen Sortimenten erzielt werden. Diese sollten im Online Shop sogar am grössten sein, denn immer mehr Kunden erwarten, dass sie alle Produkte im Netz finden und sich beinahe jedes weltweit verfügbare Produkt relativ schnell und einfach beschaffen können. Online muss mindestens das Angebot des stationären Geschäfts angeboten werden. Die Verbraucher erwarten hier aber eher mehr, nämlich dass ein Händler das Angebot seiner Branche in der maximalen Tiefe bereit hält (Category killer). Das gilt auch für Hersteller: So wiesen ein Drittel der deutschen Konsumenten eine hohe Markenaffinität auf und immerhin 43 Prozent von ihnen bestätigen, Markenprodukte in der Regel im Online Store des Herstellers zu kaufen, während 38 Prozent zum Kauf den stationären Laden des Herstellers besuchten - so das Zukunftsinstitut.
Mythos Systeme: Stationäre Händler müssen erkennen, dass es ohne nennenswerte Systeminvestitionen nicht gehen wird. So katapultieren Walmart, Target, Nordstrom und Apple in den Vereinigten Staaten oder John Lewis in Grossbritannien jeweils mit Milliardenaufwendungen ihre E-Commerce-Plattformen in kürzester Zeit zu ernstzunehmenden Amazon-Gegnern, wohingegen viele der deutschen Stationärhändler immer noch ihr Heil in einer Flächenexpansion sehen. Auch die sich ändernden Kundenerwartungen in Hinblick auf Zeitersparnis und reibungslosen Transport erfordern physische Hightech-Logistikzentren mit hochgradig optimierten und automatisierten Abläufen. Wahrscheinlich mit Robotern, so wie sie derzeit von Amazon implementiert werden. Um diese "logistische Automation" zu bewältigen, werden vor allem Megalogistikzentren auf der grünen Wiese als auch lokale Depots in den Städten und/oder in der Nähe der Kunden erforderlich werden, was nicht ohne Systeminvestitionen möglich sein dürfte.
Mythos Organisation: Bereits seit mehr als zehn Jahren weisen die Erkenntnisse des Business Reengineering darauf hin, dass funktionale Organisationen eher nicht geeignet sind, den Anforderungen des digitalen Zeitalters gerecht zu werden. In funktionalen, angebotsorientierten Führungsstrukturen, in denen Organisationsänderungen im mittleren und für das Tagesgeschäft verantwortlichen Management manchmal jahrelang beantragt werden müssen, kann die Geschwindigkeit nicht aufkommen, die für das digitale Zeitalter erforderlich ist. Die erforderliche "Kundenzentriertheit" muss das komplette Geschäftssystem des Unternehmens durchdringen und den Mitarbeitern zugleich einen Orientierungsrahmen vorgeben. Dies geht in der Regel mit grösseren Leistungsspannen und flacheren Hierarchien einher. Kundenorientierte Rundumbearbeitung mit minimierter Schnittstellenanzahl ist in funktionalen Organisationsformen kaum möglich.




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