ETH und WSL 30.03.2021, 09:06 Uhr

KI warnt vor Murgängen

Bei Geröll-​ und Schlammlawinen bleibt meistens wenig Zeit zu warnen. Mit seismischem Monitoring und maschinellem Lernen entwickelten Forschende der ETH Zürich und der WSL ein Alarmsystem, das bei Murgängen am Illgraben im Wallis frühzeitig warnen kann.
Ein Murgang im unteren Illgraben in der Walliser Gemeinde Leuk
(Quelle: WSL)
Murgänge sind Gemenge aus Geröll, Erde und Wasser. Oft entstehen sie bei Starkregen in steilem alpinen Gelände und donnern unkontrolliert durch Schluchten und Bergbäche ins Tal. Allein in der Schweiz gibt es mehrere hundert Ereignisse pro Jahr. Der Klimawandel begünstigt das Naturphänomen, weil Permafrostböden zusehends instabil werden und Extremwetterereignisse zunehmen. Sind Murgänge besonders gross oder treten sie an unerwarteten Orten auf, entfalten sie ein erhebliches Zerstörungspotenzial, das Menschen, Infrastruktur und Umwelt bedroht.
Um die Gefahr in exponierten Gebieten zu mindern, spielen Warnsysteme eine wichtige Rolle. Entscheidend ist, die nahenden Schlamm-​ und Geröllmassen möglichst früh und zuverlässig zu erkennen. Heute basieren Alarmsysteme auf Instrumenten, die typischerweise in zugänglichen, tiefergelegenen Talabschnitten installiert werden müssen. So registrieren sie Ereignisse erst relativ spät – ein weitverbreitetes Problem bei der Murgangdetektion.
Forschende der ETH Zürich und der WSL haben nun einen neuartigen Detektor entwickelt, der Murgänge bereits früher erkennen kann. Er identifiziert schon kleinste Erschütterungen aus sicherer Distanz, die Murgänge kurz nach ihrer Auslösung verursachen. Ihren neuartigen Ansatz stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Fabian Walter, ETH-​Professor für Gletscherseismologie, in der Fachzeitschrift Geophysical Research Letters vor.

Messungen am Murgang-​Testgelände Illgraben

Das obere Einzugsgebiet des Illgrabens
Quelle: Werkstattgespräche/ETH Zürich
Für ihre Studie wählten die Forschenden den Illgraben im Kanton Wallis. An den steilen Hängen des oberen Einzugsgebietes des Gerinnes bricht häufig Fels-​ und Erdmaterial ab – es entstehen mitunter gewaltige Geröll-​ und Schlammlawinen, die sich über zwei bis drei Kilometer durch die tief eingeschnittene Schlucht des Illgrabens wälzen. Anschliessend erreichen sie das Haupttal und legen noch einmal diese Distanz zurück, bevor sie in die Rhone münden. Die WSL betreibt am Illgraben seit gut 20 Jahren ein Observatorium mit Messstationen, um die Bildung und Bewegung von Murgängen zu studieren und ihre Masse, Dichte und Geschwindigkeit zu bestimmen.
In den 1960er Jahren wurde das untere Gerinne des Illgrabens saniert und mit mehreren Talsperren gesichert, so dass die meisten Niedergänge im Gerinne verbleiben und umliegendes Gelände, etwa die Mündung des Illgrabens in die Rhone, nicht gefährden. Da verschiedene Wanderwege nahe am Graben und durch das Gerinne verlaufen, alarmiert seit 2007 ein Frühwarnsystem vor Murgängen.
Dieses System basiert auf Sensoren im Bachbett, darunter Geophone, Radar-​ und Lasermessgeräte sowie Videokameras. Die Instrumente erfassen vorbeiziehende Murgänge zwar zuverlässig, sind aber nur im unteren Abschnittt des Tals einsetzbar, wo der Wildbach zugänglich ist. Das begrenzt die Warnzeit auf wenige Minuten.

Autor(in) Michael Keller, ETH-News




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