115'000 Jahre Eiszeit in zwei Minuten

Video, mehr Vorstösse als angenommen und unterschätzte Eismächtigkeit

Mehr Vorstösse als angenommen

Die Wissenschaftler führten die Simulationen mit drei unterschiedlichen Paläo-Klimadatensätzen sowie zwei verschiedenen Niederschlagsszenarien durch.
Nur einer der Klimadatensätze lieferte Resultate, die mit den geologischen Belegen übereinstimmen, welche die Gletscher in Gestein und Sediment hinterlassen haben. Das Ergebnis dieser Simulation zeigt, dass sich die Gletscher der Alpen öfter ausbreiteten und wieder zurückzogen als bisher angenommen. Lange Zeit gingen Glaziologen von mindestens vier Vorstössen aus. Diese niedrige Zahl wurde seit den 1980er-Jahren jedoch mehrfach infrage gestellt. Die Simulation zeigt nun, dass sich einige Alpengletscher in den vergangenen 120'000 Jahren bis zu mehr als zehn Mal ausbreiteten und wieder zurückzogen.
Gemäss dem Modell dehnten sich die Gletscher vor rund 25'000 Jahren am stärksten aus und drangen bis ins Alpenvorland vor: In der Schweiz bis etwa nach Bern, Zürich und in den Bodenseeraum bis nach Schaffhausen, im angrenzenden Deutschland fast bis nach München. Die Kaltzeit ging dann im Laufe von einigen Tausend Jahren allmählich in die heutige Warmzeit über – auch das ist im Video ersichtlich. Kalt- und Warmzeiten wechseln sich in einem Eiszeitalter ab. Grundsätzlich befindet sich die Erde momentan in einem Eiszeitalter. Das ist immer der Fall, wenn mindestens einer der Pole von Eis bedeckt ist.

Unterschätzte Eismächtigkeit

Aus einer detaillierten Analyse einer weiteren Simulation, welche die Vergletscherung der vergangenen 120'000 Jahre bis auf einen Kilometer auflöst, zogen die Forscher den Schluss, dass das Eis während des Höchststandes der Vereisung viel dicker gewesen sein muss, als bis anhin vermutet: im oberen Rhonetal beispielsweise bis zu 800 Meter dicker.
Die Forscher räumen Unsicherheiten in den Ergebnissen ein, verursacht durch die vereinfachte Beschreibung der Prozesse zwischen Gletscher und Gletscherbett sowie der Klimabedingungen. Für Seguinot lag die Schwierigkeit bei der Simulation jedoch vor allem in der Interpretation der vorhandenen Daten: Karten von Gletscherspuren wie Moränen, Findlingen und der Richtung des Eisflusses, die über die vergangenen 300 Jahren gesammelt wurden. «Computermodelle wie PISM auf Supercomputern wie ‹Piz Daint› zu berechnen, ermöglicht uns die Rekonstruktion der Vergletscherungsgeschichte in einer nie dagewesenen Auflösung», sagt Seguinot. Um solche Resultate zu validieren, bräuchte es aber mehr systematisch in digitalen Karten und über Landes- und Sprachgrenzen hinweg erfasste Daten.
Dieser Artikel wurde zuvor auf ETH-News publiziert. Simone Ulmer ist Redaktorin Wissenschaft und Technologie am CSCS, wo dieser Artikel zuerst publiziert wurde.




Das könnte Sie auch interessieren