Wem gehört das Internet?

Ritterschlag für das Multi-Stakeholder-Modell

Der Verzicht der Obama-Regierung auf eine erneute Verlängerung des Vertrags über die IANA-Kontrolle bedeutet für die Internet-Verwaltung ICANN den Ritterschlag. Seit seiner Gründung verfolgt das Non-Profit-Unternehmen das sogenannte Multi-Stakeholder-Modell. Der Ansatz: Die Belange des Internets sollen nicht von Staaten reguliert, sondern von Interessenvertretern (Stakeholders) im Konsens entschieden werden.
Eigentlich könnte die ICANN auch den Vereinten Nationen unterstellt werden - doch dieser Organisation unterwerfen sich die USA nur sehr ungern. Das Multi-Stakeholder-Modell stellt deshalb ganz klar eine Alternative zu einer UN-Kontrolle dar. Wenn in der ICANN Beschlüsse gefasst werden, dann sind zehn verschiedene Stakeholder-Organisationen mit von der Partie. Die Spannbreite reicht von der Address Supporting Organisation (ASO), in der die Registries aller Domains vertreten sind, bis zur At-Large-Gruppe, in der ein 15-köpfiges Gremium die Belange der User weltweit vertritt. Die Interessen nationaler Regierungen werden durch das Government Advisory Committee (GAC) repräsentiert. 

Grösste nationale Nutzer-Community ist in China

Schon lange bestand die Forderung der Staatengemeinschaft, die USA möge ihre Sonderrolle aufgeben, zumal das Internet das US-Festland längst hinter sich gelassen hat. Die Infrastruktur des DNS-Servernetzwerks ist inzwischen über den gesamten Erdball verteilt, die grösste nationale Nutzer-Community sitzt mittlerweile in China. Die ICANN residiert zwar auch nach ihrem Umzug in ein neues Gebäude im Jahr 2012 immer noch in Kalifornien, aber ICANN-Meetings finden überall auf der Welt statt - das letzte Anfang November im indischen Hyderabad. 
Die US-Regierung hatte jedoch seit dem Jahr 2000 immer wieder eine Verlängerung des Vertrags zwischen ICANN und NTIA durchsetzen können, mit Hinweis darauf, dass die ICANN mit ihrem Multi-Stakeholder-Modell noch nicht so weit sei, tatsächlich alle Interessen im Internet gleichermassen zu berücksichtigen. Die letzte Verlängerung liegt indes neun Jahre zurück. Für den texanischen Senator Cruz ist damit der Weg frei, dass undemokratische Regimes wie Russland oder China die Freiheit des Internets beschneiden könnten.  
Ein Blick auf die Organisationsstruktur des Internets zeigt jedoch, dass auch nach Auslaufen des Vertrages über die IANA-Funktion der Einfluss der USA auf das Netz erheblich sein wird. So unterhält die ISOC (Internet Society) neben einem Sitz in Genf auch ­einen in Reston, Virginia, in unmittelbarer Nähe zur .com- und .net-Registry Verisign. Auch die Internet Engineering Task Force (IETF), in der nahezu alle technischen Netzwerkstandards ersonnen, fixiert und somit verbindlich festgelegt werden, hat ihre Zentrale in den USA. Letztlich ist der US-Einfluss weniger eine Macht- als eine Ressourcenfrage. Solange die Westküste der USA die Wiege der meisten Online-Entwicklungen ist, wird sich daran auch nichts ändern.
Dafür spricht auch eine bemerkenswerte personelle Kontinuität bei den Schlüsselpositionen. Der inzwischen in den Adelsstand beförderte Brite Tim Berners-Lee, der 1985 am Schweizer Forschungszentrum CERN das World Wide Web erfand, wacht bis heute über dessen Regelwerk: Er steht dem World Wide Web Consortium (W3C) vor, und dieses Gremium entscheidet darüber, welche technischen Standards im World Wide Web als akzeptiert gelten und welche nicht.  
Auch Vinton C. "Vint" Cerf, einer der Geburtshelfer des Internets, ist nach wie vor mit von der Partie. Der im US-Bundesstaat Connecticut geborene Informatiker war bereits am Aufbau des Internet-Vorläufers Arpanet beteiligt. Mitte der 1970er-Jahre entwickelte Cerf mit dem TCP/IP-Protokoll das technische Rückgrat des Internets. Cerf gründete auch die Internet Society und war von 1992 bis 1995 ihr Vorsitzender. Bis 2007 war er Chef der ICANN. Und während andere in seinem Alter Rosen züchten, bekleidet der heute 73-Jährige eine Position als "Chief Internet Evangelist" bei Google - und hilft dem Konzern dabei, seine Interessen im Internet zu wahren. 




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