Gastkommentar 12.05.2016, 15:10 Uhr

Programmatic: Keine Implementierung um jeden Preis

Die blosse Existenz von Programmatic allein beweist noch nicht, dass es sich dabei um die beste Methode handelt - besonders, wenn diese nicht zum bestehenden Geschäftsmodell passt. Das gilt vor allem für TV.
Thomas Bremond, European Managing Director bei FreeWheel
(Quelle: FreeWheel)
Von Thomas Bremond, European Managing Director, FreeWheel
Es ist nicht einfach, "Programmatic" zu definieren. Wenn Sie nach einer Definition suchen, dann erhalten Sie mindestens drei verschiedene Antworten. Und je mehr Sie suchen, desto mehr Definitionen werden Sie finden. Zum einen liegt dies daran, dass der Begriff das eine Mal für Display, ein anderes Mal für niedrige Qualität und wieder ein anders Mal für den Bereich User Generated Content Video gebraucht wird - und sogar für digitale Premiumqualität oder Premium-Rundfunk. Diese Liste liesse sich beliebig verlängern, sobald sich auch noch Agenturen, Exchange-Plattformen oder Publisher an der Definitionsdebatte beteiligen. Je nachdem, mit wem Sie sprechen, erhalten Sie unterschiedliche Meinungen.
 
Im Grunde steht Programmatic jedoch für die Verbindung von Automatisierung mit Daten. Die Disziplin ist dazu gemacht, den Return-on-Investment (RoI) zu verbessern und Prognosen abzusichern. Dies hilft, Platzierungen und den Verkauf von Inventar vorausschauend zu steuern und so Umsätze zu sichern.

Blockierung der Entwicklung

Indes blockiert das riesige Spektrum an Begriffsdefinitionen und Missverständnissen um die Technologie herum auch deren Entwicklung: Die Ursachen liegen zum Teil in veralteten Ideen rund um das Real Time Bidding (RTB) im Display-Bereich. Und ausserdem im "Unterbietungswettlauf". Hier werden nur wenige Kontrollen durchgeführt, wo eine Platzierung erfolgt ist oder wie viele Einnahmen das Inventar erzielen konnte. All dies hat eine risikoscheue Industrie herangezüchtet, die nicht darauf vorbereitet ist, die gleichen Fehler zu wiederholen wie im Display-Bereich.
 
Als Industrie sollten wir uns daher nicht mit der Wortbedeutung von "Programmatic" aufhalten. Stattdessen sollten wir unser Augenmerk darauf richten, inwiefern eine verbesserte Automatisierung und eine sichere Datennutzung Vorteile für die Ein- und Verkaufsseite bergen. Die blosse Existenz von Programmatic allein beweist noch nicht, dass es sich dabei um die beste Methode handelt - besonders, wenn diese nicht zum bestehenden Geschäftsmodell passt.

Programmatic für Video und TV

Programmatic ist als Konzept noch jung. Bislang werden nur wenige Premium-Videos für den programmatischen Handel zur Verfügung gestellt. Anhand unserer Daten können wir feststellen, dass im 4. Quartal 2015 nur circa drei Prozent des TV-Inventars programmatisch in Open beziehungsweise Private Exchanges gehandelt wurden. Diese Tendenz ist steigend (Plus 297 Prozent gegenüber Q4 2014), wobei die überwiegende Mehrheit dieser Impressions nicht in offenen, sondern ausschliesslich über Private Exchanges gehandelt werden.
Die Disziplin daher "nur eben mal" als Geschäftsmodell für das Fernsehen anzupassen, wird schlichtweg nicht funktionieren. Die gesamte Industrie muss Lösungen finden, die skizzieren, wo und wie programmatische Werbung umgesetzt werden sollte. Diese müssen als Konzept funktionieren und auf allen Plattformen einsetzbar sein: Sie können nicht in jede Plattform hineingezwungen werden, sie müssen dort hineinwachsen.
Denn: Ein Werbemittel, das auf einem Desktop-Computer funktioniert lässt sich eben nicht eins zu eins in eine Spielekonsole beziehungsweise in Over-the-Top Content oder Set-Top-Box-Dienste verpflanzen. Dies würde mehr Probleme hervorrufen, anstatt welche zu lösen.
 
Dasselbe gilt für TV. Denn dort finden wir ganz andere Bedingungen vor als im Online-Bereich. Die Verkäuferseite muss gewährleisten, dass die angepassten Modelle mit der Unzahl an Konfigurationen und Regeln, an die sich Broadcasting-Dienste halten müssen, auch funktionieren. Ansonsten würden die Dienste ihre Lizenzen verlieren. Einerseits übt die Käuferseite Druck aus, damit sich der Markt in Richtung Programmatic bewegt. Andererseits besteht der Weg  zu effizienteren Modellen, Services und Tools darin, das zu tun, was genau zu den Services passt.

Konkrete Implementierungsmöglichkeiten

Doch wie kann der Markt Automatisierung in einer derart fragmentierten Welt implementieren? Zuerst muss das Inventar zusammengeführt werden - egal, auf welchem Bildschirm es abgespielt wird. Erst dann ist es opportun, vom "besten Modell" zu sprechen.
 
Des Weiteren werden Geschäftsmodelle wichtiger, die für die Verkäufer- und Käuferseite funktionieren. Druck und der Versuch, alle Risiken auf die Publisher abzuwälzen, wäre kontraproduktiv. Ausserdem lassen sich Ängste vor RTB vermeiden: Erst mit Massnahmen, die Zielgruppen und gesicherte Umsätze miteinander in Einklang zu bringen, wird Automatisierung im digitalen und traditionellen Fernsehen möglich sein. Und erst dann entstehen Vorteile für die Verkäufer- und für die Käuferseite - auch weil in der Folge das Geschäftsrisiko für alle Beteiligten sinkt.
 
Darum sollten Publisher und Advertiser hinterfragen, ob und wie sie Programmatic in ihre Geschäftsmodelle implementieren wollen:
  • Wie wird das Inventar zusammengeführt, um ein maximales Ergebnis herauszuholen?
  • Wie müssen Daten wirksam eingesetzt werden, damit der Wert des Inventars und der Wert für den Käufer steigen?
  • Wie lassen sich Geschäftsmodelle gewährleisten, von denen langfristig beide Seiten angemessen profitieren?
  • Wie gewährleisten Publisher und Advertiser, dass das richtige Inventar, die richtigen Daten und die richtigen regulatorischen Vorgaben auf beiden Seiten verbindlich und nachvollziehbar eingesetzt werden?
  • Welche Software-Metriken müssen zur Anwendung kommen? Und wie müssen diese auf verschiedenen Plattformen eingesetzt werden?
  • Wie gelingt dies möglichst effizient?

Fazit

Bei richtiger Anwendung arbeitet Automatisierung der Verkäufer- und der Käuferseite zu und senkt die Fehlerquote. Platzierungen werden präziser. Die Kosten sinken, während die Einnahmen steigen. Dass Verbraucher immer fragmentierter agieren und beliebig zwischen Geräten und Plattformen hin- und herwechseln, hat immer stärkere Auswirkungen auf die Automatisierung im Allgemeinen und Programmatic im Besonderen. Wer darauf nicht reagiert, sieht sich mit Einnahmeverlusten konfrontiert - übrigens wirkt sich dies auf alle Beteiligten aus.



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