Benchmarking 06.11.2015, 17:10 Uhr

Die Web-Shops der grossen Sportartikelhersteller auf dem Prüfstand

Auch die drei grossen Sportartikelhersteller Adidas, Nike und Puma verkaufen ihre Produkte auf eigenen Web-Shops. Aber wie schneiden diese im Vergleich zu den Online-Riesen Amazon und Zalando ab?
Wer macht das Rennen?
(Quelle: Fotolia.com/Maridav)
Von Marc Ehlbeck und Bastian Latt
Wie steht es eigentlich um die Webshops der Sportartikelhersteller Adidas, Nike und Puma? Die sollten ja eigentlich durch die schier unbegrenzte Verfügbarkeit an eigenem Content und der Preishoheit online einen strategischen Wettbewerbsvorteil aufweisen. Aber kann das Kundenerlebnis beim Shopping auf den Herstellerseiten wirklich mit jenem der grossen Online-Retailer Amazon und Zalando mithalten?
Dieser Frage ist die Unternehmensberatung eccelerate aus München nachgegangen. Sie hat dabei im Rahmen eines Customer Experience Benchmarkings empirisch Hersteller und Retailer aus Kundensicht entlang der Dimensionen Sortiment, Preis, Website Experience, Liefer- und Retourenerlebnis, Kundendienst und Kundenkommunikation verglichen. Die gewonnenen Erkenntnisse werden nachfolgend in Auszügen vorgestellt.
Eine Sportartikelmarke in den Köpfen der Konsumenten zu verankern, kostet viel Geld. So gab Puma allein im zweiten Quartal 2015 für Marketing-Kooperationen mit Rihanna und Arsenal London 357 Millionen Euro aus - dies mit dramatischen Folgen für den betrieblichen Gewinn. Angesichts solcher Marketingaufwendungen verwundert es sehr, dass die Hersteller nicht vielmehr verstärkt in die Customer Experience Ihrer eigenen Webshops investieren - schliesslich ist ein Produktkauf als "Moment der Wahrheit" anzusehen, sollte die Markenpositionierung unterstreichen und ihr Versprechen stärken und nicht Zweifel aufkommen lassen. Doch eins nach dem anderen.

Sortiment

Man sollte annehmen, dass Produktauswahl eine inhärente Stärke der Hersteller ist. Die Tests ergaben jedoch, dass lediglich Adidas mehr Produkte als Amazon (ohne Marktplatz) und Zalando anbietet (ungefähr doppelt so viele). Sowohl Nike als auch Puma führen hingegen weniger Sortiment als die Retailer. Sie berauben sich damit selbst eines der am stärksten ausgeprägten Wettbewerbsvorteile gegenüber Retailern.
Interessant für den Kunden sind im Falle von Adidas und Nike hingegen die exklusiven Sortimente: Beide Hersteller erlauben Kunden auf ihrer Website eine individuelle Gestaltung von Artikeln und spielen damit zumindest im Bereich von Schuhen einen zentralen Wettbewerbsvorteil aus. Puma bietet hingegen ausser der Beflockung von Jerseys keine Formen von "Mass Customization" an. So oder so dürften Features dieser Art eher auf die Stärke die Marke, denn auf die getätigten Umsätze einzahlen.

Preise

Zumindest im Bereich der Preisgestaltung werden Hersteller ihre Vorteile ausspielen, sollte man meinen. Aber auch hier gilt: weit gefehlt. In der Stichprobe von Top Sellern waren unter Einbezug der Versand­kosten Artikel auf Amazon und Zalando im Schnitt etwa 25 Prozent billiger als die jeweils exakt selben Artikel auf den Herstellershops von Adidas und Puma, und etwa neun Prozent billiger als jene im Shop von Nike. Das überrascht zwar nur auf den ersten Blick - schliesslich wollen Hersteller sich nicht selbst die eigenen Preise kaputt machen und zu stark in eine offene Konkurrenz mit ihren stationären und nicht-stationären Handelspartner treten. Dennoch verwundert es schon, dass nicht zumindest kurzfristig im Sinne von Daily Deals oder ähnlichen Formaten weitaus umfangreichere Räume der Preissenkung zur Forcierung der Besuchsfrequenz und damit als preiswerte Trafficquelle genutzt werden.

Site Experience

Bleibt das Thema Site Experience. Auch hier würde man annehmen, dass durch die Masse an eigenem Content und die vergleichsweise geringe Anzahl an zu betreuenden Artikeln ein Vorteil gegenüber den Retailern zu realisieren ist. Doch auch hier sind Vorteile in keiner Weise zu diagnostizieren - vielmehr zeichnet sich selbst hier eher Nachholbedarf ab. So konnten nur für 30 Prozent der zu Testzwecken falsch geschriebenen Suchbegriffe auf der Seite von Nike und für 50 Prozent auf der von Puma dennoch Treffer generiert werden. Auf Amazon war es 100 Prozent. Was die Browse Experience angeht, ist Puma hier Schlusslicht. Wettbewerber Nike bietet mehr als doppelt so viele Filteroptionen. Auch was Page Load Times angeht, war Nike in dem durchgeführten Tests führend, gefolgt von Puma und Zalando. Schlusslicht in diesem Fall: Amazon.
Positiver stellt sich das Bild bei den Kunden-Bewertungen dar. Hier hatten zumindest Adidas und Nike mehr Bewertungen für die jeweils von eccelerate geprüften Artikel als Amazon und Zalando - Puma hingegen deutlich weniger. Dieses Bild ist zwar durch die Aggregation von Kundenbewertungen mehrerer Länder seitens Nike und Puma etwas verzerrt, weil Amazon und Zalando diese Option nicht nutzten. Es zeigt aber deutlich: Wenn die Hersteller Ihre Stärken in den Bereichen eigener Content und User-generierter Content-Bestandteile ausspielen wollen, gelingt dies auch.
Die Vorteile werden aber schnell bezogen auf die Gesamterfahrung des Kunden negativ konterkariert, wenn trivialere Retail-Standards im Bereich der hygienischen Shop-Funktionalitäten nicht erfüllt werden. Die vermeintlich einfachen Hausaufgaben sind es also, die die Hersteller gegenüber Ihren Retail-Konkurrenten zurückwerfen.

Liefererlebnis

Auch im Bereich der Lieferung müssen offenkundig Retail-Standards bei den Herstellern erst erlernt werden. Durch die Bank kostet eine Standardlieferung Fünf Euro, auch wenn ab gewissen Schwellwerten - bei Adidas aber erst ab 150 Euro, bei Puma ab 75 Euro und bei Nike ab 50 Euro* - eine Versandkostenbefreiung vorgesehen ist. Bei Zalando ist die Lieferung hingegen immer umsonst, bei Amazon ab 29 Euro für Nicht-Prime Mitglieder. Auch hier haben die Retailer also die Nase vorn. Dies gilt auch, was die Liefergeschwindigkeit angeht: Im Schnitt aller Testbestellungen lieferten Amazon und Zalando jeweils in 2,6 Kalendertagen, Puma in 3,0, Adidas in 3,6 und Nike in 3,9 Kalendertagen. Noch gravierender sind die im Kontext der Kundenzufriedenheit nicht minder wichtigen Lieferaussagen und deren Präzision: Puma verzichtete gleich ganz auf ein Lieferversprechen, Nike gab mit 6 Kalendertagen ein völlig unnötig hohes Lieferversprechen ab. Nicht wenige Kunden werden deshalb direkt vor der Bestellung zum Retailer wechseln. 
Ansprechend verpackt waren alle Sendungen - bis auf jene von Nike. Nike schickt in formloser, nicht-gebrandeter Verpackung. Sockensendungen kamen in zerknüllten braunen Papierumschlägen. Das deckt sich sicher nicht mit den Erwartungen an den Marktführer. Retourenfreundlich wiederum agierten alle - bis auf Amazon. Allen Paketen, bis auf jenen des grössten Online Retailers, lagen vorbezahlte Retouren-Aufkleber bei. Vorne liegt Amazon allerdings wieder, wenn es darum geht, den Kunden ihr Geld zurück zu zahlen. Je nach Artikel geht das bei Amazon sogar noch am selben Tag. Hier zeigt sich der Vorteil eines online-fokussierten Retouren-Centers: Zalando und die Hersteller können erst mit Ein­gang der Retoure exakt in Erfahrung bringen, was der Kunde retourniert hat. Ein zentraler Nachteil.

Lange Wartezeiten und kurze Öffnungszeiten

Customer Service und Kundenkommunikation

Eine potenzielle Beschwerde bei Adidas oder Puma könnte zum Problem werden - beide Service Center haben nur 60 Stunden pro Woche geöffnet. Jene von Amazon mit 126 Stunden mehr als doppelt so lang. Und selbst innerhalb der Öffnungszeiten zeichnen sich die Hersteller durch lange Wartezeiten aus: im Schnitt eine Minute und 50 Sekunden. Negativrekord im Test. Per Mail sieht es nicht besser aus: Während bei Amazon eine Antwort im Schnitt zweieinhalb Stunden dauert, warten Kunden auf diese bei den Herstellern zwischen zehn und 27 Stunden. Zalando antwortete überhaupt nicht.
Was die transaktionsbasierte Kommunikation angeht, gibt es hier wie dort nichts zu beanstanden. Nike glänzt sogar mit einer Zustellungsbenachrichtigung und Adidas mit Hinweisen auf verwaiste Warenkörbe. Die gibt es sonst nur bei Amazon und da auch nicht konsistent. Anders ist es jedoch im Bereich der personalisierten Regelkommunikation - sprich der Newsletter. Hier kennen die Hersteller nach unseren Erkenntnissen nur standardisierte Newsletter, die gerade noch die Unterscheidung nach Geschlecht meistern. Kauf-, Klick- oder Suchhistorie kommen ebenso wie andere Formen der daten-basierten Aussteuerung massgeschneiderter Inhalte in der Kommunikation bei den Herstellern nicht zum Einsatz. Hier spielt der Handel seine ganze Vertriebskompetenz aus - sowohl Zalando als auch Amazon agieren hier hoch-performant und realisieren so bezogen auf die Marketingeffizienz zentrale Vorteile.

Mobile

Jede der getesteten Seiten war mobil optimiert. Allerdings bot keiner der Sportartikelhersteller mobile iOS- oder Android-Apps an, die die volle Shop-Funktionalität bereitstellten. Amazon und Zalando bieten hingegen sowohl Tablet- also auch Smartphone-optimierte mobile Apps. Hier existieren folglich noch einige Möglichkeiten für Hersteller, in Kundenbindung über die Fülle an relevanten Endgeräten zu investieren, gerade im Bereich der mobile-affinen Bestandskunden. Für Adidas bieten sich hier zum Beispiel nach der Akquisition von Runtastic sicherlich interessante strategische Optionen. Aber auch Nike - das eine Fülle von Apps in den Stores anbietet, jedoch keine mit voller Verkaufsfunktionalität - ergeben sich direkte Anknüpfungspunkte.

Fazit

Jenseits des Wunsches, sich die neuen Schuhe selbst zu customizen, sind wenige echte Anreize zu diagnostizieren, warum Kunden auf Herstellerseiten kaufen sollten. Zu stark ausgeprägt ist die Vertriebskompetenz der Retailer, zumindest im Bereich der Pure Player online: Sie spielen die Vorteile einer hoch-personalisierten Ansprache, hoher Standards im Bereich Lieferung und After Sales und hygienisch sauberen Webshops gekonnt aus. Aus den Reihen der Hersteller kommen die möglichen Gegner von morgen - Heute machen sich eher noch die Händler gegenseitig Konkurrenz. Das Problem fehlender Wettbewerbsfähigkeit bei den Herstellern ist dabei hausgemacht, in Teilen aber auch jahrzehntelangen Rückständen beim Erlernen von Vertriebskompetenz geschuldet. Es gibt in den Bereichen Sortiment, Preis und emotionale Ansprache massiv brachliegende Räume für eine Realisierung von Wettbewerbsvorteilen der Hersteller. Und so treffen unerfüllte Retail-Standards auf ungenutzte Potenziale bei der Identifizierung und Realisierung eigener Assets.
Die Hersteller müssen hier ansetzen: Zum einen Vertriebshausaufgaben erledigen, zum anderen strategische Fragen nach der eigenen Positionierung beantworten und in konkrete Ausprägungen im Kundenauftritt übersetzen. Eine überschau- und leistbare Aufgabe. Sie setzt aber die Erkenntnis in die eigenen Schwächen und die Bereitschaft zum Wandel voraus. Das wird vermutlich die zentrale Herausforderung. Ein Marathon ist eben kein Sprint.
Die Autoren
Marc Ehlbeck ist Gründer und Partner bei eccelerate. Der gebürtige Freiburger kennt beide Welten: Nach Jahren in der Strategieberatung auf Dienstleisterseite verantwortete er auf Kundenseite die strategischen Geschicke grosser Universalversender, zunächst als Leiter Strategie E-Commerce bei der Quelle GmbH, später bei neckermann.de, wo er zuletzt auch für den Online-Vertrieb verantwortlich war. Er studierte Volkswirtschaftslehre in Freiburg, Betriebswirtschaftslehre in Hagen und promovierte an der Humboldt-Universität Berlin.
Bastian Latt ist Director bei eccelerate. Nach Stationen im Marketing bei Siemens und AutoScout24 arbeitete der gebürtige Stuttgarter nach dem MBA in den USA mehrere Jahre in der Strategieberatung. Vor eccelerate war er bei Amazon im Bereich Customer Experience Strategy tätig. Er studierte an der Hochschule München Betriebswirtschaft und hält einen MBA der Tuck School of Business am Dartmouth College in den USA.
*Nike bot nach den Testbestellungen im Oktober 2015 eine zeitlich limitierte versandkostenfreie Lieferung an




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