Digitalisierung 12.04.2016, 16:11 Uhr

Zukunftsforscher Micael Dahlen: "Unsicherheit ist aufregender"

Viele Unternehmen diskutieren lieber über die Digitalisierung, als einfach loszulegen und die vielen Chancen zu nutzen. Zukunftsforscher Micael Dahlen fordert, dieses Sicherheitsdenken abzulegen.
Micael Dahlen, Zukunftsforscher und Professor an der Stockholm School of Economics
(Quelle: Micael Dahlen)
Micael Dahlen, Professor an der Stockholm School of Economics, ist ein weltweit gefragter Zukunftsforscher. Er war Referent bei so namhaften Unternehmen wie Apple, Google oder Samsung.  Am 14. April ist er Keynote Speaker beim Radio Advertising Summit (RAS) in Düsseldorf. Zuvor sprach er mit uns über die digitale Transformation, Mobile Marketing und darüber, dass sich Unternehmen mit dem Gedanken der Unsicherheit anfreunden müssen.

Herr Professor Dahlen, die meisten Unternehmen kämpfen derzeit mit der digitalen Transformation. Was sind die grössten Fehler, die sie dabei machen?
Micael Dahlen: Zum einen, dass sie es als Kampf sehen, zum anderen, dass sie den Vorgang als digitale Transformation betrachten. Das ist, als würde ich mein Leben in das digitale Zeitalter übertragen wollen. Das passiert aber ohnehin, ob sie es wollen oder nicht. Also: Sie sollten nicht kämpfen, sondern einfach loslegen.

Was heisst das genau? Welche Herausforderungen müssen sie einfach annehmen?
Dahlen: Man könnte dies unter "Grenzenlosigkeit" zusammenfassen. Es gibt keine klaren Grenzen mehr zwischen Ontime und Offtime, zwischen Arbeit und Vergnügen, zwischen Kollegen und Kunden. Je intensiver sich ein Unternehmen darum bemüht, das alles kontrollieren zu wollen - beispielsweise über Arbeitszeiten, über Regelungen, über die Freiheiten für ihre Kunden -, umso härter wird ihnen diese Entwicklung auf die Füsse fallen.

Marketer sind derzeit vor allem von der Frage beunruhigt, was der nächste heisse Trend ist. Müssen sie lernen, mit dieser Unsicherheit zu leben?
Dahlen: Ja, sie müssen sie sogar lieben. Wo bitte ist der Spass bei der Sicherheit? Unsicherheit ist viel aufregender. Und ausserdem erfordert sie besser ausgebildete und härter arbeitende Marketingmanager, was dem Marketing nur guttut.

Werden eines Tages Computer diesen ­Managern sagen, was sie zu tun haben?
Dahlen: Wenn Computer den Managern sagen könnten, was sie tun müssen, dann könnten sie gleich den ganzen Job erledigen. Wenn Manager aber hart an sich arbeiten und sich kontinuierlich weiterbilden, ist es wahrscheinlicher, dass sie den Computern sagen, was sie zu tun haben. Computer machen alles, was man ihnen sagt. Das Schwierige ist nur, zu entscheiden, was man ihnen vorgibt.  

Welche Trends werden das Marketing der Zukunft prägen? Wird Mobile zum Zen­trum aller Aktivitäten?
Dahlen: Drehen Sie die Frage doch einfach um: Der stationäre PC wird sicher nicht im Mittelpunkt stehen. Die Menschen sind mobil, das ganze Leben ist mobil, wie könnte das Marketing nicht mobil sein?

Wird Social das nächste Internet?
Dahlen: Das ist es bereits. Ohne soziale Medien befänden wir uns immer noch im Millennium-Hype, als jeder geglaubt hat, das Internet sei eine riesengrosse Sache und würde unser Leben vollständig ändern, was es aber nicht tat. Es hat sich nur aufgrund der sozialen Medien gewandelt. Das ganze Internet ist nun sozial. Das Web hat also nicht das Fernsehen ersetzt, es hat das Telefon ersetzt.

Sie waren schon als Referent bei Unternehmen wie Apple, Google oder Samsung eingeladen. An welchen Themen haben denn deren Manager besonderes Interesse?
Dahlen: Heissestes Thema ist immer die Zukunft. Jeder will wissen, wie sie aussieht, und sich darauf vorbereiten. Besonders dann, wenn sie mich einladen, weil ich als Zukunfts-Professor eine gewisse Berühmtheit erlangt habe. Sie wollen aber auch mehr über die unendlichen Möglichkeiten erfahren und darüber, wie man sich von ihnen nicht stressen lässt und trotzdem alles einigermassen richtig machen kann.

Sie sagen, dass Spotify und Instagram in diesem Kontext Unternehmen sind, die viel richtig machen. Was machen die anders?
Dahlen: Vor allem machen sie es einfach. Sie vergeuden nicht ihre Zeit damit, endlos nachzudenken und langfristige Pläne für eine Zukunft auszuhecken, die ohnehin dann ganz anders kommt, als sie angenommen haben. Sie wollen auch gar nicht perfekt sein, denn Perfektion gibt es nicht, wenn sich die Bedingungen ständig verändern. Der springende Punkt ist zu handeln, solange es sinnvoll ist. Das verschafft einem die Zeit, neue Projekte zu starten, neue Gelegenheiten zu erkennen und in neue Richtungen aufzubrechen. Damit befinden sich die Unternehmen in einem permanentem Beta-Modus: neue Dinge ausprobieren, daraus lernen und sich weiterentwickeln. 

Sie gelten als Erfinder der Streamness-­Theorie. Was ist damit genau gemeint?
Dahlen: Es geht darum, wie unser Leben zunehmend digital, mobil und social wird: Wir sind so eng miteinander verbunden wie noch nie zuvor in der menschliche Evolution. Wir erreichen eine Phase, in der jeder mit jedem in Kontakt treten und virtuell an jedem Event teilnehmen kann. Das schafft ein völlig neues Verständnis für unser Wohlbefinden und unsere Motivation. Wir können selbst die unwahrscheinlichsten und verrücktesten Dinge verwirklichen. Die Plattform Kickstarter ist dafür ein wunderbares Beispiel.

Befinden wir uns bald in einer post-digitalen Ära?
Dahlen: Da sind wir gerade mittendrin. Das Millennium war die Ära, als alle von der Digitalisierung redeten, aber niemand digital war. Heute ist das Digitale nichts Aussergewöhnliches mehr. Kein Unternehmen hat jemals von sich behauptet, ­eine Telefonunternehmen zu sein, nur weil alle Büros mit Telefonleitungen verbunden waren. Kein Unternehmen bezeich­nete sich als Fax-Unternehmen, nur weil es seine Dokumente per Fax versendete. Kein Unternehmen sagte von sich, es sei ein Computer-Unternehmen, weil alle Mitarbeiter mit PCs ausgestattet waren. Ich könnte hier weitermachen ...



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