Digitale Assistenten 30.10.2019, 08:41 Uhr

Voice Marketing: Eine Stimme für die Marke

Technologiefirmen wie Amazon und Google treiben die Verbreitung von sprachbasierten digitalen Assistenten voran. Sollten Produkte und Services jetzt sprechen lernen?
(Quelle: Amazon)
Im Februar 2019 hat das Kreditkartenunternehmen Mastercard seine akustische Markenidentität vorgestellt. Die Mastercard-Melodie soll in den Ohren der Konsumenten vertraut klingen und die Präsenz der Marke verstärken. Die Melodie dient als Grundlage für die Soundarchitektur des Unternehmens. Davon ausgehend soll es künftig Soundlogos und Klingeltöne bis hin zu Musik und Akzeptanztönen am Point of Sale geben. Raja Rajamannar, Chief Marketing und Communications Officer bei Mastercard, ist überzeugt, dass Klang künftig eine wichtige Komponente beim Wiedererkennen der Marke spielen wird, unter anderem auch deshalb, weil Voice Shopping (sprachgesteuerte Einkäufe) im Kommen ist.
Wahrscheinlich wird es noch einige Jahre dauern, bis Menschen tatsächlich viele Alltagsaufgaben wie Einkaufen über Sprachinteraktion erledigen werden. Denn die digitalen Sprachassistenten sind heute noch nicht sehr schlau. Sie finden Antworten auf einfache Fragen, können aber keine echten Dialoge führen. Das Vertrauen der Konsumenten in die digitalen Sprachassistenten dürfte zudem einen Dämpfer erhalten haben, seit bekannt wurde, dass Apple, Google und Amazon auswerten liessen, wie Konsumenten mit den smarten Lautsprechern umgehen.

Mehrere Sprachassistenten auf einem Gerät verwenden

Amazon hat die "Voice Interoperability Initiative" angestossen. Nutzer sollen auf einem Gerät mit verschiedenen Sprachassistenten interagieren können.
Quelle: Amazon
Amazon arbeitet jedoch mit Volldampf an der Verbreitung der smarten Assistenten. Das Technologieunternehmen hat gerade eine ganze Reihe neuer Echo-Geräte mit integrierter Spracherkennung vorgestellt und die "Voice Interoperability Initiative" präsentiert. Ihr Ziel ist, dass künftig mehrere Sprachassistenten nebeneinander auf einem Gerät genutzt werden können. Über 30 Unternehmen, darunter BMW, Salesforce, Spotify oder Microsoft, haben sich der Initiative bislang angeschlossen. Die Richtung ist klar: Die Kunden sollen dazu motiviert werden, digitale Assistenten in ihren Alltag zu integrieren.
Auch wenn also nicht gleich in allen Haushalten ein smarter Lautsprecher stehen wird, werden Menschen künftig häufiger als heute alltägliche Aufgaben im Auto oder unterwegs mit mobilen Geräten über ihre Stimme und mit Spracheingabe erledigen. Und da, wo die Aufmerksamkeit der Menschen ist, wollen auch Unternehmen mit ihren Marken vertreten sein.

Klang schafft Verbindung zwischen Marken und Menschen

Das ist ein Grund, warum sich Unternehmen eine akustische Markenidentität geben. Mastercard erklärt, dass Klang eine neue Dimension der Verbindung zwischen Marken und Verbrauchern schaffe. "Klang lässt Menschen bestimmte Dinge fühlen, und das macht ihn zu einem so interessanten Medium für Marken", bestätigt Matt Lieber, Mitgründer des Podcast-Netzwerks Gimlet Media. Er argumentiert, dass eine akustische Identität für Marken genauso wichtig sei wie eine visuelle Identität. "Mit der Verbreitung von Podcasts, Musik-Streaming und intelligenten Lautsprechern ist eine Audio-Strategie für Marken kein Nice-to-have mehr, sondern eine Notwendigkeit", betont er.
Dass Marken Klänge und Soundlogos nutzen, damit Menschen sie oder ihre Produkte wiedererkennen, ist nicht neu. Jeder weiss, wie ein Mac-Rechner klingt, wenn er eingeschaltet wird. Im YouTube-Video "Sonic Branding Coca-Cola" wird erklärt, warum und wie die Getränkemarke die Sound-Signatur "Taste the Feeling" entwickelt hat. Radiowerbung und Musik-Jingles gibt es in Deutschland seit den 1920er-Jahren. Was ändert sich jetzt mit der Verbreitung der smarten Lautsprecher und den darin eingebauten Spracherkennungssystemen wie Amazon Echo (Alexa), Google Home (Google Assistant), Microsofts Cortana oder Apples Siri?

Voice Marketing: Inhalte über Sprache abrufbar machen

Es ist sinnvoll, bei der Antwort auf diese Frage zwischen Voice Marketing und Voice Advertising zu unterscheiden. Voice Marketing bezieht sich darauf, digitale Inhalte von Unternehmen zu "vertonen", um sie über Sprache abrufbar zu machen.
Der Gedanke dahinter: Wenn Menschen zunehmend über Sprache mit der digitalen Welt interagieren, bedeutet das, dass die Inhalte der digitalen Welt auch in natürlicher Sprache ausgegeben werden müssen. Bezogen auf das Marketing heisst das: einem Produkt oder einem Service das Sprechen beizubringen - und zwar möglichst so, wie gesprochene Sprache klingt. Zum Voice Marketing gehört beispielsweise auch das Entwickeln eines Alexa Skills oder einer Action (Anwendung) für den Google Assistant.
Felix Zirkler, Mitgründer und Geschäftsführer von Dialogue Tech FMC in Hamburg, geht davon aus, dass sich Voice Marketing künftig zu einer "Pflichtaufgabe" entwickeln wird. Dialogue Tech ist auf "Conversational Commerce" spezialisiert und hat eine "Dialogue Engine" für Shops entwickelt. Zirkler blickt also aus Handelsperspektive auf Voice Marketing und vergleicht es mit der Internet-Suche. Nur wenige Marken können sich heute erlauben, keine Suchmaschinenoptimierung oder kein Suchmaschinenmarketing zu betreiben, argumentiert er. Mit der zunehmenden Verbreitung und der Nutzung sprachbasierter Assistenzsysteme werde dies für den Kanal "Voice" nicht anders sein. Für Marken gehe es darum, bei Anfragen über smarte Assistenten präsent, im Sinne von "auffindbar" zu sein.
Frank Bachér, Geschäftsführer Digitale Medien beim Audiovermarkter RMS, ergänzt, dass sich Nutzerinnen und Nutzer in dieser neuen "Audiosphäre" gezielt über die Angebote von Unternehmen informieren und sie sprachbasiert abrufen können.

Neue Lösungen für Voice Advertising nötig

Audio-Werbeformate, die mit Sprachinteraktion spielen, sind ein Teil von Voice Marketing. Bachér beobachtet, dass sich aktuell "Voice Advertising" als Marketing-Instrument entwickelt. In der Vermarktung müssten nun Lösungen entstehen, die sowohl von der Technologie, nämlich der Spracherkennung, als auch von den Geräten, den smarten Speakern, Gebrauch machen. Bachér erklärt, was sich prinzipiell an Audio-Werbung durch die smarten Lautsprecher ändert: "Mit dem Einsatz von Sprachtechnologie ist es nun erstmals möglich, direkt mit einem Spot zu interagieren. Die Stimme ersetzt den Klick [auf das digitale Werbemittel, Anm. der Red.] und macht Audio zum interaktiven, rückkanalfähigen Medium." Eine Folge, die Werbungtreibende erfreulich finden dürften: Audio-Werbung wird über Voice messbar, wenn die Zuhörer sprachlich auf Inhalte reagieren.
Die Stimme wird in Zeiten der smarten Assistenten die zentrale Verbindung zu Nutzern, die über Sprache im Internet suchen, Inhalte abrufen oder vielleicht auch einkaufen. Deshalb ist Thomas Kabke-Sommer, Geschäftsführer von Crossplan Deutschland, überzeugt, dass Marken eine Stimme brauchen: "Die Erlebbarkeit einer Marke wird dadurch dominiert, wie sie im Ohr des Konsumenten klingt." Und auch dadurch, welchen Mehrwert sie über die Skills der Sprachassistenten schafft, schiebt der Chef des digitalen Werbedienstleisters für Radiosender nach.

"Wie soll meine Marke eigentlich klingen?"

Die Frage, die sich daran anschliesst, formuliert Bachér von RMS: "Wie soll meine Marke eigentlich klingen?" Marken brauchen eine "Audio Identity", also eine akustische Identität, meint er, "die über ein Soundlogo hinausgeht". Sie umfasst Stimme, Ton, Sprachstil und harmoniert mit dem gesamten Markenauftritt.

Neues Geschäftsfeld für Berater

Das ist keine leichte Aufgabe. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass seit gut einem Jahr die ersten Voice-Beratungsagenturen neue Geschäftsmöglichkeiten ausloten. So hat das Agenturnetzwerk Mind­share, Teil der Werbeholding WPP, im Oktober 2018 eine Beratung mit Fokus auf "Voice und Visual Services" gegründet. Ein weiteres Beispiel ist die britische Beratungsagentur Voiceworks, die im Juli 2019 die Arbeit aufgenommen hat. Sie schreibt sich "Voice-first" auf die Fahnen und bietet Kunden eine Fullservice-Beratung mit Fokus auf Voice Tech, Voice Search, Audio-Content und kreatives Audio-Branding. Auch in Deutschland beschäftigen sich Berater und Entwickler mit Alexa Skills, Google Actions, Voice Marketing oder Conversational Commerce. Ganz neu am Markt ist beispielsweise Wake Word in München. Die Fullservice-Agentur für Voice- und Audio-Marketing wurde von Sven Rühlicke und Ruben Schulze-Fröhlich gegründet. Rühlicke, der CEO von Wake Word, verantwortete über viele Jahre hinweg die Digitalstrategie des Privatsenders Antenne Bayern.
Das Ziel der Agenturen und Berater: Wege zu finden, wie Unternehmen oder Händler auf Sprachbasis mit Kunden kommunizieren können. Marketing über digitale Assistenten ist ein unbeackertes Feld. Alles ist gerade erst im Entstehen. Die Möglichkeiten, wie Unternehmen mit Konsumenten über smarte Lautsprecher interagieren können, werden noch ausgelotet.
Über die Stimme und das Gehör genau die Emotionen zu wecken, die das Markenerlebnis bestimmen sollen, sei eine wesentliche Herausforderung im Voice Marketing, sagt Kabke-Sommer. Wichtig sei auch, den Nutzer barrierefrei durch das auditive Menü zu führen.
Bachér weist auf eine ganz praktische Hürde hin, die viel mit Vertrauen zu tun hat: Wenn Nutzer bei Voice Advertising mit einer Kampagne interagieren sollen, müssen sie vorher das Mikrofon freischalten. Damit sie dazu bereit sind, muss ihnen die Anwendung einen Mehrwert liefern.
Zirkler nennt als grosse Herausforderung die Datenqualität: Natürliche Sprache ist abwechslungsreich, kreativ, formt schnell neue Wörter und ist deshalb aus technischer Sicht "uneindeutiger". Als Beispiele aus dem Modebereich nennt er Modetrends wie "Hipster Look" oder "Urban Military". Damit Kunden eine Antwort erhalten, wenn sie nach solchen neuen Begriffen suchen, müssen diese vorher bei den jeweiligen Artikeln hinterlegt worden sein. Und genau da wird es schwierig.

Keinen Einfluss auf die Stimmen von Alexa und Google Assistant

Google gibt dem digitalen Assistant verschiedene Stimmen. Sie werden nicht nach Geschlecht sondern nach einer Farbe eingeteilt.
Quelle: Google
Der Geschäftsführer von Dialogue Tech findet die Frage, ob Marken eine Stimme brauchen, zu undifferenziert. "Was bedeutet Stimme in diesem Kontext? Wenn wir die enge Auslegung nehmen, also den Klang, Intonation und Rhythmus, dann dürfte es schwer werden, in den gängigen Sprachassistenzen eine eigene Charakteristik zu entwickeln." Begründung: Amazons Alexa oder Google Assistant verwenden die Stimmen, die ihnen die Konzerne und deren Entwickler gegeben haben. Unternehmen haben keinen Einfluss darauf.
Wenn mit "Stimme" jedoch auch die Wortwahl, die Wiedergabe einer bestimmten Stimmung oder andere Merkmale gemeint seien, lasse sich die Frage einfach mit einer Gegenfrage beantworten: Wer könne es sich leisten, keine Stimme zu haben?
Mastercard liess Macarons als Teil der Priceless-Kampagne kreieren.
Quelle: Mastercard
Mastercard geht übrigens beim sensorischen Erleben noch einen Schritt weiter: Zum Sehen und Hören der Markenidentität kommt jetzt noch das Schmecken hinzu. Gerade hat das Unternehmen "The First Taste of Priceless" vorgestellt, zwei neu kreierte Macarons in den Farben des Mastercard-Logos.

Veranstaltungshinweis

Wenn sich digitale Sprachassistenten verbreiten und ins Haus oder ins Auto einziehen, was bedeutet das für Werbungtreibende? Brauchen Marken dann eine eigene Stimme? Hören Sie mehr darüber bei der Data Driven Marketing Conference 2019. Matthias Schenk, Leiter des Publishermanagements im Geschäftsbereich Digitale Medien beim Audiovermarkter RMS, Thomas Kabke-Sommer, Geschäftsführer Crossplan Deutschland, Felix Zirkler, Geschäftsführer Dialogue Tech, und Robert C. Mendez, Geschäftsführer Internet of Voice, diskutieren über die Möglichkeiten und Herausforderungen von Voice Marketing und Advertising.
Quelle: Ebner Media Group




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