Karl Wehner, Alibaba 07.05.2019, 09:02 Uhr

"Das Konsumverhalten der chinesischen Kunden ist ein anderes"

Wie tickt der Kunde in China? Wie können ihn deutsche Online-Händler erfolgreich ansprechen? Welche Marketing-Massnahmen sind dazu notwendig? Wir sprachen dazu mit Karl Wehner, dem Geschäftsführer DACH, Türkei und Osteuropa der Alibaba Group.
Karl Wehner, Geschäftsführer DACH, Türkei und Osteuropa der Alibaba Group
(Quelle: Alilbaba)
Karl Wehner gehört zu den erfahrensten E-Commerce-Experten. Seine Karriere begann 1999, im Online-Handel von Amazon. Heute ebnet er als Alibaba-Chef deutschen Unternehmen den in den chinesischen Markt. Wir sprachen mit Wehner über chinesische Kunden, Marketing in China und "Retailtainment".
Herr Wehner, welche Produkte aus Deutschland sind aktuell der Renner auf Alibaba?
Karl Wehner:
Deutsche Produkte sind allgemein sehr beliebt bei chinesischen Konsumenten, da sie für Qualität und Ver­trauen stehen. Populär sind vornehmlich solche Produkte, die es der wachsenden chinesischen Mittelschicht erlauben, ihre Lebensqualität zu verbessern. Das beginnt beim wichtigsten Familienmitglied, dem Baby, mit Milchpulver; es geht weiter mit Nahrungs- und Nahrungsergänzungsmitteln für Erwachsene über Haushaltsgeräte, mit denen die Speisen zubereitet werden. Es umfasst zunehmend aber auch zum Beispiel Pflegeprodukte, Mode oder auch Sport- und Outdoor-Zubehör bis hin zu Reisen und Kosmetik- oder Luxusartikeln.  
Wenn ein deutscher Händler seine Produkte über den Marktplatz Tmall verkaufen möchte: Was erwartet ihn dort?
Wehner:
Unsere Plattform Tmall Global ist eine Erweiterung von Tmall und adressiert die wachsende Nachfrage chinesischer Konsumenten nach internationalen Produkten und Marken. Sie richtet sich gerade an Marken und Händler aus Übersee, die chinesische Konsumenten erreichen und ihre Marke aufbauen möchten, ohne eine ­Betriebsstätte in China zu benötigen. Seit fast fünf Jahren ist Tmall Global mit einem Marktanteil von 32 Prozent Chinas grösste grenzüberschreitende E-Commerce-Plattform. Diese starke Position beruht darauf, dass chinesische Verbraucher hier die neuesten und beliebtesten Produkte aus Übersee finden: Derzeit bietet Tmall Global Produkte von über 20.000 Marken aus 77 Ländern und Regionen an.
Welche Fehler werden beim Eintritt in den chinesischen Markt häufig gemacht?
Wehner
: Mit Tmall Global hängen wir hier den Steigbügel für die hiesigen Marken schon sehr tief. Im Rahmen des Crossborder-E-Commerce mit Tmall Global muss die Marke zum Beispiel keine eigene Niederlassung in China haben, spart sich also ein oft aufwendiges Genehmigungsprozedere, hat aber dennoch Zugang zu den 636 Millionen jährlich aktiven Konsumenten im Alibaba-Ökosystem. Wir raten dennoch jeder Marke und jedem Händler, die eigenen Hausaufgaben vorher gemacht zu haben, denn das Konsumverhalten der chinesischen Kunden ist ein anderes als das von westlichen. 
Wie viele deutsche Händler sind denn derzeit auf Tmall Global aktiv?
Wehner
: Es sind Hunderte deutsche Händler auf den Alibaba-Handelsmarktplätzen, darunter grosse Namen wie Bosch, Aldi, DM, Rossmann oder Adidas, aber auch Kosmetikmarken wie Babor, die Confiserie Lauenstein oder der Digital-Health-Spezialist Beurer.
Können Marken und Händler ihre Shops ­eigentlich frei gestalten oder gibt es - ähnlich wie bei Amazon - genaue Vorgaben?
Wehner
: Grundsätzlich gilt sowohl bei Tmall als auch bei Tmall Global: Händler und Marken, die hier an den chinesischen Konsumenten verkaufen, betreiben ihre eigene Flagship-Stores, die sie entsprechend ihrer Marken-CI selbst gestalten; auch ihre Preisgestaltung bestimmen sie selbst. Das bedeutet, dass die Produkt­detailseite eines Turnschuhs eben nicht genauso aussieht wie die eines Wasserkochers. Alibaba fungiert als technologischer Dienstleister - ganz im ­Sinne unserer Mission, den Handel weltweit zu vereinfachen. Wir sehen uns als Partner unserer Marken, nicht als ihr Wettbewerber.
Welche Anforderungen stellt ein chinesischer Kunde an einen Shop? Was ist grundsätzlich anders als in Deutschland?
Wehner
: Während wir hier zum Beispiel eine aufgeräumte, möglichst klar strukturierte Produktseite bevorzugen, auf der wir binnen Sekunden eine Kaufentscheidung treffen können, verbringt der chinesische Konsument viel Zeit damit, sich zu informieren. Auch was den Service angeht, haben chinesische Konsumenten andere Ansprüche. Auf ­eine Frage im Chat in einer Alibaba-App wird eine Antwort binnen weniger Sekunden erwartet - und nicht nach ein paar Stunden.
Schnell muss es also gehen. Wie wollen die chinesischen Konsumenten sonst noch ­angesprochen werden?
Wehner:
Zum einen sind die Konsumenten in China im Durchschnitt jünger und online fast ausschliesslich mobil auf ihrem Smartphone unterwegs. Chinesische Konsumenten sind heute anspruchsvoll und qualitätsbewusst, und sie legen Wert darauf, sich gut über das Produkt und die Marke, die sie kaufen, zu informieren. Sie suchen nach Informationen über die ­Marke und deren Historie, den Qualitäts- und Herstellungsprozess, möchten sich mit seinem Netzwerk über das Produkt austauschen, Videos dazu ansehen und vieles mehr. Wir nennen das "Retail­tainment".

New Retail: Verbindung von Online und Offline

Welche Marketing-Massnahmen muss ein deutscher Händler ergreifen, um seine Produkte gezielt potenziellen Kunden in China anbieten zu können?
Wehner:
Die Crossborder-Plattform Tmall Global zum Beispiel bietet eine umfassende Palette von Dienstleistungen an, die helfen, die Markenbekanntheit in China zu steigern. Eines der Marketing-Instrumente ist zum Beispiel "Taobao Livestream", um Inhalte zu erstellen, die chinesische Verbraucher der sogenannten "Generation Z" ansprechen, der am schnellsten wachsenden Kundenbasis von Tmall Global.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Wehner:
Nehmen wir eine Hautpflegemarke. Wenn die Marke beispielsweise ­ihren eigenen Flagship Store auf Tmall ­eröffnet, könnte sie gezielt Nutzer aktivieren, die zuvor die Produkte des Unternehmens auf den anderen E-Commerce-Plattformen von Alibaba gekauft haben. Inaktive Nutzer könnte die Marke mit spezifischen Angeboten ansprechen. Per Live-Stream aus einem Lavendelfeld könnte man zeigen, wie ätherisches Lavendelöl hergestellt wird, oder Werbung auf Youku schalten, die diejenigen Zuschauer ­anspricht, die bereits mit relevanten Werbeaktionen auf der Streaming-Site in Kontakt waren. Die Marke könnte auch ihre Treueclub-Informationen mit Tmall synchronisieren, um ein und dasselbe Programm sowohl online als auch in ihren stationären Geschäften anzubieten.
Dieser "New Retail", die nahtlose Verbindung von Online- und Offline-Handel, erreicht jedes Jahr mit dem "Global Shopping Festival" am 11.11. seinen Höhepunkt - 2018 wurden binnen 24 Stunden rund 27 Milliarden Euro an Bruttowarenwert über unsere Plattformen umgesetzt. 
Welche Rolle spielen dabei SEO und SEA?
Wehner
: Die Alibaba-Shopping-Plattformen Tmall beziehungsweise Tmall Global und Taobao stellen für sich eine Produktsuchmaschine dar, da die bei uns angebotenen Produkte nicht in den herkömmlichen Suchmaschinen zu finden sind. Deshalb sind chinesische Konsumenten längst gewohnt, Produkte nicht mehr auf Suchmaschinen zu suchen, sondern direkt bei Alibaba. Optimiert wird also nicht die Suchmaschinenpräsenz, sondern die bei Alibaba.
Kann der Konsument diese Massnahmen selbst steuern oder benötigt er dazu einen Partner in ­China? Wie kann er den geeigneten lokalen Partner finden?
Wehner
: Wir empfehlen jeder Marke eine lokale Umsetzungsagentur, einen sogenannten Tmall-Partner, kurz TP, der dabei unterstützt. Es gibt mehrere Tausend ­davon - wir helfen unseren Partnern, den geeigneten zu finden. 
Wie wird sich das Online-Shopping in ­China weiterentwickeln?
Wehner:
Die Mittelschicht in China wächst rasant und möchte ihre Lebensqualität verbessern, was häufig durch den Kauf von importierten Qualitätsprodukten geschieht. Zudem sind erst rund 20 Prozent des Handels in China "online". Darüber hinaus ist "Made in Germany" ein höchst beliebtes Qualitätssiegel: Unter den Ländern, die am Global Shopping Festival am 11.11.2018 nach China verkauft haben, war Deutschland in den Top 5. Die guten Perspektiven für deutsche Marken in China liegen also auf der Hand.
Könnte man also sagen: China beflügelt den deutschen Online-Handel?
Wehner:
Wenn wir von "Handel" sprechen, verstehen wir darunter das, was wir bei Alibaba "New Retail" nennen. Hierbei geht es darum, die Offline- und die ­Online-Welt sinnvoll zu verknüpfen und das Einkaufserlebnis für die Konsumenten zu verbessern, indem wir die Grenzen zwischen stationärem und digitalem Handel aufheben. Wir unterscheiden daher auch nur noch zwischen digitalisiertem und nicht digitalisiertem Handel. 
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Wehner:
Ein Beispiel sind die Alibaba-­Lebensmittelmärkte "Freshippo", früher "Hema". Sie bieten einen durchgehend "Smartphone-basierten" Einkauf an - und zwar unabhängig davon, ob sich der Kunde im Geschäft oder auf seinem Sofa ­befindet. Kunden nutzen im Geschäft eine mobile App, um Artikel zu scannen, Produktinformationen zu erhalten und fundierte Kaufentscheidungen zu treffen. Oder sie bestellen ihre Lebensmittel einfach über die App nach Hause. Jeder Markt dient als eigenes Fulfillment-Center, sodass Freshippo in nur 30 Minuten an Kunden liefern kann, die im Umkreis von drei Kilometern leben. Informationen über frühere Einkäufe helfen, personalisierte Empfehlungen zu generieren, die das Einkaufserlebnis für die Kunden verbessern. Darüber hinaus haben Kunden über die Freshippo-App Zugang zu Beständen, die möglicherweise gerade nicht auf Lager sind. Zum Bezahlen wird Alipay verwendet. Sie sehen - China ist auf dieser Reise schon sehr viel weiter.

Alibaba Cloud, Alipay: Was kommt als nächstes?

Deutschland ist für Amazon nach den USA der wichtigste Markt. Wann wird auch Alibaba den deutschen Markt gezielt angehen und sich für hiesige Endkunden öffnen?
Wehner:
Bei Alibaba haben wir einige grosse Ziele. Wir möchten bis 2036 zwei Milliarden Endkunden weltweit bedienen, zehn Millionen kleinen und mittleren Unternehmen helfen, auf unseren Plattformen profitable Geschäfte zu betreiben und dadurch helfen, 100 Millionen Jobs zu schaffen. Was zu erschliessende Konsumentenmärkte angeht, konzentrieren wir uns natürlich auf China, und darüber hinaus auf Südostasien und Indien. Der Fokus für Deutschland und Europa liegt darauf, hiesigen Händlern und Marken Zugang zum chinesischen Konsumenten zu ­ermöglichen. 
Das Cloud-Geschäft ist für Alibaba ebenfalls ein interessanter Wachstumsmarkt. Was hat der in China dominierende Cloud Provider den deutschen Cloud-Anwendern zu bieten?
Wehner
: Alibaba Cloud, unsere Cloud-Computing-Sparte, gehört laut Gartner zu den drei weltweit führenden IaaS-Anbietern. Alibaba Cloud bietet eine umfassende Palette von Cloud-Computing-Services für Unternehmen weltweit, darunter Händler, die auf unseren Handelsmarktplätzen tätig sind, Start-ups und Unternehmen. Wir haben bereits 2016 unser erstes europäisches Rechenzentrum in Frankfurt eröffnet - in den Räumen unseres Partners Vodafone; 2018 folgte eines in London - insgesamt bieten wir 56 Verfügbarkeitszonen in 19 Regionen weltweit.
Wie ist die Akzeptanz am deutschen Markt?
Wehner:
Alibaba Cloud hat eine strategische Partnerschaft mit Vodafone Deutschland; weitere deutsche Partner sind SAP, Siemens und Bosch. BMW wird bis Ende des Jahres die ersten Fahrzeuge in China ausliefern, in die Tmall Genie, unser intelligenter Sprachassistent, integriert ist.
In Deutschland spielen Datenschutz und Datensicherheit eine wichtige Rolle. Muss Alibaba hier Überzeugungsarbeit leisten?
Wehner:
Unser Ökosystem basiert auf dem Vertrauen zwischen Händlern und Verbrauchern, daher ist der Schutz der Privatsphäre unserer Nutzer eine unserer höchsten Prioritäten. Alibaba Cloud hat nicht nur Rechenzentren in Deutschland, die selbstverständlich allen hier geltenden Gesetzen unterliegen. Die hier gespeicherten Daten bleiben selbstverständlich auch hier. Darüber hinaus hat Alibaba Cloud auch den strengen Anforderungskatalog des Cloud Computing Compliance Controls Catalogue des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik vollständig ­erfüllt und war damit der weltweit erste Cloud-Anbieter, der das Testat mit höherwertigen Anforderungen erhalten hat.
Tausende Händler in Deutschland nutzen bereits den Bezahldienst Alipay. Wann wird sich Alipay auch für den deutschen Endkunden öffnen?
Wehner
: Der Fokus von Alipay liegt ganz klar auf dem chinesischen Konsumenten - egal ob dieser sich in China oder als Tourist in Deutschland befindet.
Was steht dieses Jahr noch ganz oben auf Ihrer Agenda?
Wehner:
Wir haben Ende 2018 angekündigt, in den nächsten fünf Jahren 200 Milliarden US-Dollar an Warenwert aus der ganzen Welt nach China zu bringen - mein Ziel ist es, dass ein möglichst grosser Teil hiervon aus Deutschland kommt.
>> Karl Wehner, Geschäftsführer DACH, Türkei und Osteuropa der Alibaba Group spricht am 7. Mai auf den Online Marketing Rockstars in Hamburg.




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