Hype oder mehr? 06.03.2017, 09:15 Uhr

Spracherkennung im Handel: "Hallo Kunde - was kann ich für Dich tun?"

Hype oder mehr? Chatbots und Sprachassistenten sollen Handel und Service verändern. Noch spielen Händler erst mit den Möglichkeiten - und noch fehlen praktische Erfahrungen sowie valide Auswertungen.
Chatbots und Sprachassistenzen bereichern Handel und Service um direkte Kommunikationskanäle zum Kunden.
(Quelle: Shutterstock.com/Zapp2Photo)
"Hallo", meldet sich H&M auf der bei Teenagern beliebten Chat-Plattform Kik per Textnachricht, "Lust auf Styles?" Danach entspinnt sich ein Dialog aus Bild- und Textnachrichten. Die Interessentinnen grenzen in mehreren Schritten und anhand von vorgestellten Bildern ihren Geschmack ein und bekommen daraufhin ein Angebot aus dem H&M-Shop. Gefällt dieses nicht, versucht es der digitale Chatter von H&M noch einmal. Erster Eindruck: macht Spass, der Schwatz.
H&M ist nicht die einzige Marke, die zurzeit mithilfe von Bots und Dialogsystemen Kontakt mit ihren Kunden aufnimmt. Ebenfalls auf Kik beantwortet Kosmetik­anbieter Sephora Fragen zum Make-up. Beim Facebook Messenger sortiert Prospektdienstleister Kaufda die Warenwelt, nennt Produkte oder Händler. Botcap hilft dort bei der Auswahl von Häkelmützen. Die Fluggesellschaften KLM und Austria Airlines bestätigen hier Flüge, reservieren Sitze, beantworten Fragen. Die Antworten wirken meistens, als hätten Menschen sie getippt.

Smartphones gehorchen aufs Wort

Immer mehr junge und ­mobile Internet-Nutzer sprechen überdies ihre Suchanfragen direkt bei Google ein, Smartphones gehorchen bei weiteren Funktionen ebenfalls aufs Wort. Selbst die Lautsprecher Echo und Echo Dot von Amazon, die jetzt in Deutschland angeboten werden, nehmen gesprochene Befehle an, steuern elektronische Geräte oder lösen Bestellungen aus. "Amazon zeigt mit Echo, dass Sprachsteuerung kein Nerd-Thema mehr ist, sondern in den Alltag integriert werden kann", sagt Balázs Turán, Mitgründer von Creative Digital Engineers, einem Start-up, das Chatbots aufbaut. "Chatbots und Spracheingabe vereinfachen und verändern das Suchverhalten und die Kommunikation im E-Commerce."
Der Handel wird gesprächiger: "Conversational Commerce" heisst ein Trend, der auf Spracheingabe und Dialog in Echtzeit basiert, weitere Kommunikationskanäle eröffnet und Händlern die Möglichkeit gibt, einen Teil ihrer Kundenansprache zu automatisieren. "Viele Fragen, die Kunden stellen, sind nicht komplex und wiederholen sich", erläutert Fabian Beringer, Gründer von E-bot7, ebenfalls ein Spezialist für Sprachassistenten. "Chatbots können ­diese Fragen inzwischen beantworten und Dialoge führen. Werden die Anfragen komplexer, geben sie das Gespräch an ­einen Mitarbeiter ab."
Bis zu 60 Prozent der Kundenkommunikation sollen Sprachassistenten übernehmen können, das Einsparpotenzial in den Serviceabteilungen wird auf bis zu 80 Prozent geschätzt. Und so basteln neben Händlern und Markenherstellern viele Unternehmen aus fast allen Branchen an Chatbots und Sprachservices oder geben diese in Auftrag.

Sprachassistenten brauchen Ziele und Strategien

Doch die digitalen Helfer, die menschliche Mitarbeiter an Telefonen und Mail­account ersetzen sollen, erfüllen nicht alle Erwartungen. Noch sind Chatbots eher Spielereien und erste Experimente. Es fehlen Strategien zum Einsatz und vor allem ­valide Bewertungen von Aufwand und Nutzen. Und so wächst auch schon Kritik: Die meisten Sprachassistenzen reagieren bisher nur auf festgelegte Signalwörter und helfen nach vorgegebenen Regeln. Schon Synonyme verwirren den elektronischen Chatter, führen zu keinen oder gar falschen Antworten. Auf die Eingabe "blaue Schuhe" sagt etwa der Kaufda-Bot nicht, dass es dazu keine Angebote gibt, sondern verweist auf Möbelhäuser vor Ort.
Statt auf Web- und Shop-Sites wollen laut einer Umfrage des ECC in Köln (li) rund 60 Prozent der Kunden über Chat-Kanäle angesprochen werden. Dem widerspricht eine Studie von Fittkau & Mass (re). Danach sind erprobte Kontaktkanäle wie E-Mail oder Telefon beliebter als Bots und Chats
Quelle: Internet World Business
"Spracherkennung ist noch nicht befriedigend gelöst, die Systeme beschränken sich auf eingegrenzten Kontext", sagt Nils Boeffel von der Strategieberatung Enable2­Grow. "Im Handel sind Chatbots heute oft nur verkappte Suchen, sie helfen bei ersten Schritten und einfachsten Fragen." Ohne weiteren praktischen Nutzen sinkt aber der Reiz des Neuen. Und so verlieren die Nutzer schnell das Interesse - selbst an so verspielten ­Mode- und Kosmetik-Dialogen wie denen von H&M oder Sephora.
Conversational Commerce basiert einerseits auf den Fortschritten in den Bereichen Sprach- und Bilderkennung sowie auf künstlicher Intelligenz. Computer erkennen heute selbst Dialekte und Schreibfehler, sortieren Bilder zu Themen. Aus der Verwertung unzähliger Daten, etwa zu Kauf- und Nutzerverhalten, wiederkehrenden Anliegen oder soziodemografischen Angaben können ausserdem ­Modelle und Entscheidungsbäume konstruiert werden, die digitalen Sprechern als Reaktionsmuster dienen und sich an den Alltag anpassen lassen. Ziel: selbstlernende Technik und Sprachsysteme.
Andererseits nimmt die Nutzung von Smartphones weiter zu, sind immer mehr Menschen ständig online und direkt ­ansprechbar. Messenger-Dienste und Kommunikationstools ersetzen immer ­öfter Anrufe, SMS, Mails sowie soziale Netze. Vor allem junge Nutzer sind, wenn sie sich mit dem Smartphone beschäftigen, bis zu 80 Prozent ihrer Zeit in diesen Kanälen aktiv. Unter den meistgenutzten Apps sind sieben Messenger-Dienste.



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