Kampf gegen Apple, Google und Co 31.01.2019, 16:28 Uhr

Schlagen die Auto-Imperien jetzt digital zurück?

Jurbey oder Heycar werden von der deutschen Presse als Befreiungsschlag der deutschen Automobilindustrie gegen die US-Konkurrenz gefeiert. Doch bei näherem Hinsehen bleibt das digitale Endkundengeschäft noch immer eine offene Flanke.
(Quelle: Daimler)
Von Gerrit Heinemann, Leiter des eWeb Research Center an der Hochschule Niederrhein, sowie Tim Böker und Sebastian Bomm von der Agentur Kommerz
Mit dem Gemeinschaftsunternehmen Jurbey bündeln Daimler und BMW ihre digitalen Entwicklungsaktivitäten und die Vermarktung neuer Serviceangebote. Mit vereinten Kräften sollen Carsharing, Ride Hailing und weitere Mobilitätsplattformen wie Dienstleistungen rund ums Parken und das Laden von Elektroautos per App angeboten werden. Seit der Bekanntmachung der Strategie am 24. Januar 2019 lesen sich sämtliche Medienmeldungen so, als schlügen die geeinigten Auto-Imperien aus Deutschland im Kampf um den Kundenkontakt jetzt endlich digital gegen US-Konkurrenten wie Apple, Google und Co. zurück.
Doch wie ist es wirklich um die Digitalisierung der deutschen Autohersteller bestellt? Während Tesla von Anbeginn an der deutschen Automobilbranche vorexerzierte, dass grossräumige Verkaufsniederlassungen anachronistisch sind und die Menschen auch Premium-Fahrzeuge online ordern, demonstrieren die deutschen Autobosse ihren Transformationswillen eher dadurch, dass sie inzwischen schlipslos und in engen Jeans - also im Start-up-Style - herumlaufen. Digitale Vertriebskanäle aber werden noch immer mehr als stiefmütterlich behandelt.

E- Commerce können BMW, Mercedes und VW nicht

Zwar war BMW bei der Elektroflotte schon mit dem Neuwagenverkauf im Internet vorgeprescht, musste dann aber offenbar aufgrund von Händlerprotesten wieder zurückrudern. Auch Gewerkschaftsdrohungen bremsten wohl die digitale Neuausrichtung mit ihren zu befürchtenden tiefen Einschnitten in das bestehende Mitarbeitergefüge aus. Auch die anderen Autohersteller sind beim Thema Online-Verkauf für Neuwagen nicht besser aufgestellt. Mercedes Benz ist bisher der einzige deutsche Anbieter, der den Neuwagenverkauf zumindest für ein paar Modelle ermöglicht - allerdings nicht rabattiert und nur an Privatkunden. Zudem übernahmen die Stuttgarter Ende 2018 einen 20-Prozent-Anteil an dem von VW gegründeten Start-up HeyCar. Insofern liegt es auf der Hand, dass die beiden digitalsten deutschen Autohersteller mit Jurbey jetzt ihre Kräfte bündeln.
Doch wie schlägt sich der deutsche Autohandel digital gegen die US-Konkurrenz? In einem Frontend-Quick-Check analysierte Kommerz PKW-Plattformen aus Deutschland und den USA. Aus Deutschland wurden neben HeyCar auch Autoscout24, mobile.de sowie die Autohandelsgruppe Gottfried Schulz als grösster konzernfreier Vertragshändler für die Marken des Volkswagen-Konzerns in Deutschland einer genauen Prüfung unterzogen. Aus den USA wurden Autotrader, Carsforsale sowie als stationärer Händler Carmax analysiert. Die Bewertungskategorien waren Nutzerführung, Usability, Produktinformation, Beratung, Ladegeschwindigkeit sowie besondere Features und Service. Weil potenzielle Autokäufer vornehmlich über ihr Smartphone nach PKW recherchieren, galt für die Untersuchung die Prämisse: Mobile Only.

Gegen die US-Auto-Plattformen sehen die deutschen alt aus

Das Ergebnis ist eindeutig: Die deutschen Plattformen sind allesamt nicht einmal ansatzweise in der Lage, den Amerikanern und dabei vor allem Carmax das Wasser zu reichen. Die US-Konkurrenz besticht im Vergleich mit den deutschen Herausforderern durch die Reduzierung auf das Wesentliche, eine leichte mobile Bedienbarkeit, deutlich mehr Übersichtlichkeit und eine passgenauere Nutzerführung. In puncto Produktinformation und auch Serviceleistungen stellt der amerikanische Händler Carmax deutsche Autoplattformen regelrecht in den Schatten.
Die Analysen im Detail:
1. Nutzerführung: Mit wesentlich kompakteren Abfragen der Suchparameter und geschickt eingesetzten Filtern hängen die Amerikaner die deutschen Autoplattformen in Sachen Nutzerführung deutlich ab. Während es Carforsale dem Nutzer freistellt, worauf er in der Suche das Hauptaugenmerk legen will, zwingen deutsche Anbieter ihren Besuchern entweder komplexe Masken und Fiter auf oder bieten eine geführte Abfrage an, bei der - wie beispielsweise bei HeyCar - die Lokalität häufig vernachlässigt wird.
2. Usability: Auch hier führen die US-Autoplattformen durch eine Reduktion auf wesentliche Gesichtspunkte. Sie weisen zudem eine bessere Übersichtlichkeit auf den kleinen mobilen Bildschirmen auf. Allerdings muss man zugestehen: Auch HeyCar präsentiert sich seinen Besuchern sehr aufgeräumt, übersichtlich und mit einfachen Bedienelementen. Hingegen werfen mobile.de und Autoscout24 ihren Nutzern durch unzählige Werbebanner lästige Steine in ihren Weg durch das KFZ-Angebot.
3. Produktinformationen: Hier fällt vor allem der stationäre US-Auto-Händler Carmax positiv auf. Er stellt Keyfacts bebildert in den Fokus und bietet eine 3D-Innenraumansicht an. Deutsche Anbieter schneiden allerdings kaum schlechter ab. HeyCar überzeugt mit einer sehr guten grafischen Aufbereitung und arbeitet insgesamt mit weniger störenden Werbeinhalten auf den Bildern als beispielsweise mobile.de.
4. Beratung: Beratungsfunktionen sind bei fast allen Autoplattformen - in den USA wie in Deutschland - noch erheblich optimierungsfähig. Lediglich Carmax zeigt hier erste Ansätze. Der US-Autohändler ist auch der einzige, der auf seiner Plattform eine zentrale Hotline-Nummer oder Chats bewirbt und so Kunden beim Fahrzeugkauf auf Wunsch persönlich unterstützt.
5. Ladegeschwindigkeit: Hier könnten alle Autoplattformen noch stärker aufs Gas drücken. Kein Kandidat stach im Test durch besonders schnelle Ladezeiten hervor. Hier liegen durchweg eher durchschnittliche Werte ohne Highlights vor.
6. Besondere Features und Services: Auch hier steht Carmax auf der Pole-Position. Auf der Plattform finden sich Reservierungs- bzw. Blocker-Services (Kunden können online für sieben Tage die Hand auf ein Fahrzeug legen) sowie ein kostenfreier Bring-Service (zum nächsten Standort in der Nähe). Der Nutzer hat somit Zugriff auf spezielle Fahrzeuge aus anderen Regionen. Weitere Features der Amerikaner sind unter anderem digitale Suchaufträge. Immerhin bietet Autoscout eine Preisbewertung der Angebote an. HeyCar prüft und garantiert die Qualität der Fahrzeuge und bewirbt dies auch.
Quelle: Kommerz
Kommen wir zurück zur Gretchenfrage: Schlagen die deutschen Auto-Imperien wirklich zurück? Ganz klare Antwort: Nein! Sowohl VW als auch BMW und Mercedes wollten offensichtlich nichts lernen aus "VWs Millionenflop mit dem Uber-Konkurrenten Gett": Digital Natives werden durch Besserwisserei und Arroganz der Automanager zermürbt und weggejagt. Aber auch Start-ups haben noch keine überzeugende Lösung für Neuwagen-Online-Verkäufe gefunden.
Ein weiteres Problem: Gründungen finden bisher ausserhalb der eigenen Organisationen statt, die auch weiterhin "traditionell funktional" ausgerichtet bleiben. Zugleich werden Chefposten und wichtige Vorstandsfunktionen mit Managern der Autobauer besetzt. Der eigentlich wünschenswerte digitale Know-how-Transfer vom Start-up zur Mutter bleibt somit aus.

B2B: Der online vergessene Milliardenmarkt

Deswegen verwundert nicht, dass neben den digitalen Anstrengungen auch die OEM-eigenen Online Shops immer noch dahindümpeln. Unterzieht man diese ohne Berücksichtigung der Verkaufsfunktion einer Analyse, dann hinken diese bei allen deutschen Automobilherstellern den heute gängigen Standards im Online-Handel um Jahre hinterher: Bis auf eine relativ gute Produktdarstellung sind sämtliche Usability-Faktoren wie Produktzugänge, Beratungsfunktionen, Kundeneinbindung sowie Multichannel-Services weit unterdurchschnittlich ausgeprägt. Tesla ist hier deutlich besser aufgestellt und ermöglich bereits die komplette Kauf-, Bestell- sowie Zahlungsabwicklung.
Dabei dürfte im unternehmensinternen Investitionsvergleich der erforderliche technische Investitionsbedarf eher "Peanuts" darstellen. Wenn BMW und Mercedes jeweils eine halbe Milliarde Euro in die unter Jurbey hängenden Gemeinschaftsunternehmen Car2G0, DriveNow, MyTaxi, Chauffeur Privé, Clevertaxi, Parkmobile und ParkNow buttern, löst das das enorme Defizit im Verkauf der eigenen Fahrzeuge nicht. Vollgas hätte bedeutet, hier mindestens das Zwanzigfache zu investieren, zumal auch hier die Formel "Zielumsatz = Investitionssumme" gilt.
Das Gleiche trifft für HeyCar zu. Hier müssten die Investitionen allerdings weniger in die technische Konzeption der Plattform fliessen, sondern in die Kundenakquise. Offene Flanke bliebe dann aber das noch gar nicht angesprochene B2B-Geschäft oder "Neuwagen-Flottengeschäft" mit immerhin rund 33 Prozent Anteil inklusive Mietwagenkunden und geschätzt rund 40 Milliarden Euro Umsatz. Hier sind sämtliche deutschen KfZ-Hersteller völlig blank. Gleiches gilt für den in der Regel völlig unterschätzen Nutzfahrzeugmarkt mit knapp fünfhunderttausend Neuzulassungen im Jahr. Hier zeigt der mittelständische Traktorenhersteller Claas, dass es keine Frage der Grösse ist, professionellen B2B-E-Commerce zu betreiben, und sei es nur für das wichtige Ersatzteilgeschäft. 
Fazit: Die Imperien schlagen nicht zurück. Das digitale Endkundengeschäft bleibt eine offene Flanke.




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