Future Retail 16.09.2025, 09:22 Uhr

Hologramme im Laden: Was ein Praxistest zeigt

Die Rid Stiftung hat mit dem Future Retail Store einen Experimentierraum für den Handel geschaffen. Erste Ergebnisse: Hologramme faszinieren, stossen in der Beratung aber an Grenzen – und ein Gartencenter im Rathaus liefert weitere Erkenntnisse.
Beratung per Hologramm: Die Cairo AG testete die Technologie im stationären Handel
(Quelle: picture alliance/dpa | Daniel Karmann)
Ein Designberater, der plötzlich als Hologramm im Laden erscheint und mit Kundinnen und Kunden spricht, als stünde er direkt vor ihnen. Oder ein Gartencenter mitten im Münchner Rathaus, ausgestattet mit KI-Chatbot und 3D-Drucker. Was nach Science-Fiction oder Start-up-Idee klingt, wurde im „Future Retail Store“ der Günther Rid Stiftung Realität. Nun liegen die ersten Auswertungen vor – mit teils überraschenden Erkenntnissen.
Die Nürnberger Cairo AG war das erste Handelsunternehmen in Deutschland, das Live-Hologramme im stationären Handel testete. Eingesetzt wurde die Technik sowohl im eigenen Store in Nürnberg als auch im Innovationslabor Josephs. Fachverkäuferinnen und Fachverkäufer konnten dabei „teleportiert“ werden – aufgenommen an einem Standort, projiziert als lebensechtes 3D-Bild an einem anderen.
Die Idee dahinter: Beratung parallel an mehreren Orten ermöglichen, ohne dass zusätzliches Personal physisch vor Ort sein muss. Für Kundinnen und Kunden war das Erlebnis zunächst ein Hingucker. Realistische Darstellung, Neuheitswert und einfache Bedienung führten zu viel Neugier – ein echter Wow-Effekt im Laden.
Gero Furchheim, Vorstand der Cairo AG, liess im Future Retail Store erstmals Live-Hologramme im Handel erproben
Quelle: Michael Gueth
Doch in der Praxis zeigte sich: Die Beratung per Hologramm hat klare Grenzen. Produkte lassen sich nicht anfassen, die Tonqualität war nicht durchgehend überzeugend, und die fehlende Nähe im Gespräch wurde deutlich. „Hologramme haben grosses Potenzial als Erlebnisfaktor für Präsentation und Marketing, stossen in der klassischen Beratung aber noch an klare Grenzen“, fasst Cairo-Vorstand Gero Furchheim zusammen.
Hinzu kommt die Kostenfrage. Die Implementierung ist aufwendig und teuer. Für den dauerhaften Einsatz im Regelbetrieb fehlt aktuell die wirtschaftliche Grundlage. Die Rid Stiftung bewertet das Experiment daher als wichtigen Praxistest: Die Technik kann Aufmerksamkeit erzeugen und ein Markenbild stärken, taugt aber noch nicht für die flächendeckende Beratung im Handel.

Urban Gardeners: Gartencenter im Rathaus

Ein zweites Projekt ging in eine ganz andere Richtung – und doch mit ebenso vielen Erkenntnissen. Jakob und Valentin Kiefl, Betreiber eines Gartencenters im Münchner Umland, eröffneten von März bis August 2024 ein temporäres Gartencenter im Münchner Rathaus am Marienplatz.
Das Experiment war ambitioniert: In nur zwei Wochen wurde eine rund 600 Quadratmeter grosse Ladenfläche auf drei Etagen umgebaut und eingerichtet. Neben Pflanzen und Zubehör bot der Store digitale Hilfsmittel wie den selbst entwickelten KI-Chatbot „Plantfinder“, der Fragen zu Standort, Pflegeaufwand und Pflanzenauswahl beantworten konnte – mehrsprachig und ohne auf Personal angewiesen zu sein. Ergänzt wurde das Angebot durch 3D-Drucker, die individuelle Übertöpfe und Accessoires produzierten.
Urban Gardeners - Rid Stiftung
Jakob und Valentin Kiefl brachten mit Urban Gardeners ein temporäres Gartencenter in das Münchner Rathaus
Quelle: Rid Stiftung / Jan Schmiedel
Besonders erfolgreich war der integrierte „Gardeners Coffee Club“ mit Café- und Eisbetrieb. Rund 20 Prozent des Gesamtumsatzes – am Ende knapp 345.000 Euro – stammten allein aus Gastronomie. Und die Frequenzzahlen waren beeindruckend: Über 155.000 Besucherinnen und Besucher kamen in den fünf Monaten, durchschnittlich mehr als 1.200 pro Tag.

Herausforderungen und Learnings

Die hohe Sichtbarkeit garantierte aber nicht automatisch hohen Umsatz. Die Conversion Rate blieb mit knapp 15 Prozent unter dem Einzelhandelsdurchschnitt von 20 bis 30 Prozent. Viele Gäste kamen zum Schauen, für ein Eis oder einen Kaffee, weniger zum Einkauf. Workshops zu Themen wie Microgreens oder Blumenkränzen mussten teils abgesagt werden, da das Interesse zu gering war.
Gleichzeitig machte das Projekt deutlich, wie wichtig Preispolitik und Kommunikation sind: Ein Beispiel war das Eis vor dem Laden. Anfangs für einen Euro verkauft, griffen viele Kunden wegen Zweifeln an der Qualität nicht zu. Erst als der Preis auf zwei Euro angehoben wurde, stiegen die Verkaufszahlen deutlich – ein klassisches Beispiel für Preispsychologie.
Auch äussere Faktoren hatten massiven Einfluss: Baustellen vor dem Rathaus-Eingang reduzierten die Frequenz zeitweise um mehr als 70 Prozent. Grossereignisse wie die Fussball-EM in München sorgten eher für Umsatzrückgänge als für Zuwächse – weil Besucher die Innenstadt zwar bevölkerten, aber nicht zum Einkaufen kamen.
Trotzdem gelang es den Urban Gardeners, aus der Zeit im Rathaus zahlreiche Lehren zu ziehen. Social Media erwies sich als zentrales Instrument, sowohl im Recruiting als auch im Marketing. Binnen weniger Monate wuchs die Instagram-Community auf über 3.600 Follower. Influencer-Kooperationen brachten zusätzliche Aufmerksamkeit, wenn auch nicht sofort mehr Umsatz. Und nicht zuletzt entstand ein unerwartetes B2B-Geschäft: Unternehmen aus der Umgebung fragten nach Begrünung für ihre Büros – ein neues Potenzialfeld.
„Für uns war die Zeit im Rathaus Unternehmertum auf Steroiden“, sagt Jakob Kiefl. „Wir konnten vieles ausprobieren und haben täglich gelernt. Jetzt wissen wir, was funktioniert – und wo wir beim nächsten Mal anders ansetzen müssen.“

Ein Labor mit Übertragbarkeit

Der Future Retail Store ist kein Showroom, sondern realer Handel mit echten Kundinnen und Kunden. Die Rid Stiftung übernimmt einen Teil der Investitionskosten, das Fraunhofer IIS begleitet die Projekte wissenschaftlich. Ziel ist es, Erfahrungen zu sammeln, die für den gesamten mittelständischen Einzelhandel relevant sind – und diese Erkenntnisse in die Branche zurückzuspielen.
„Mit dem Future Retail Store ermöglichen wir es Händlerinnen und Händlern, risikoarm mit neuen Technologien und Geschäftsmodellen zu experimentieren. Unser Ziel ist es, reale Anwendungsbeispiele und übertragbare Erkenntnisse für die Zukunft des Einzelhandels zu gewinnen“, sagt Maximilian Perez von der Rid Stiftung.



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