Kommentar 07.04.2016, 09:31 Uhr

WhatsApp: Das FBI ist nur die halbe Wahrheit

Mit der neuen WhatsApp-Verschlüsselung kann niemand ausser dem Empfänger eine Nachricht lesen. Ein klarer Fingerzeig Richtung FBI, mit dem die Facebook-Tochter im Clinch liegt. Aber das ist nicht der einzige Grund.
(Quelle: shutterstock.com/Twin Design)
WhatsApp verschlüsselt jetzt. Und zwar alles, was bei der beliebtesten Messenger-App der Welt über den Äther geht: Textnachrichten, Fotos, Videos, Anrufe. Und das von Ende-zu-Ende, so dass nicht einmal eigene Mitarbeiter mitlesen können.
Klar, Verschlüsseln ist "in" im Silicon Valley. Seit Apple im Herbst 2014, etwas mehr als ein Jahr nach Snowdens Aufdeckung der NSA-Massenüberwachung, angefangen hatte Verschlüsselung für iOS anzubieten, zogen alle anderen grossen Tech-Companies nach. Trotzdem kommt der Schritt von WhatsApp die Kommunikation komplett zu verschlüsseln auf den ersten Blick überraschend daher.
Denn: Auch wenn selbstverständlich nie bestätigt, ist davon auszugehen, dass nicht nur der Empfänger eine Nachricht liest, sondern auch WhatsApp. Ähnlich wie Google es mit Gmail macht und die E-Mails seiner User nach Keywords durchforstet. Natürlich zu einem Zweck: die perfekt auf den User zugeschnittene Werbebotschaft zum perfekten Zeitpunkt, nämlich dann wenn er von einem Produkt spricht, auf der Plattform von Mutter Facebook auszuspielen. Man stelle sich folgende (wahre) Geschichte vor: User A schreibt an User B: "Ich brauche unbedingt neue Kopfhörer. Meine alten sind gerade kaputt gegangen." Wenige Minuten später erscheint auf Facebook von User A zum allerersten Mal eine Anzeige für Kopfhörer. Zufall oder nicht? Entscheidet selbst.

WhatsApp ist für User kostenlos

Seit kurzem ist WhatsApp für seine über eine Milliarde-Nutzer komplett kostenlos. Die Finanzierung dürfte als Tochter und Werbe-Wasserträger des Social-Media-Giganten aus Palo Alto kein Problem gewesen sein. Auch der Erfolg des Messengers ist unbestritten und die aktuelle Milliarde Nutzer, die WhatsApp zu einer der grössten Internet-Plattformen der Welt machen, markieren wohl kaum das Ende.
Wieso also die Verschlüsselung? Ein Grund, den auch die Gründer Jan Koum und Brian Acton gegenüber Wired nannten, ist: WhatsApp soll für die User sicherer werden. Vor Hacker-Angriffen, aber sicher auch vor zu neugierigen Sicherheitsbehörden. Schon längere Zeit tobt der Krypto-Krieg durch die Tech-Welt. Die Ursache: Angst der Behörden. Die Angst davor, dass alles dunkel wird und sie durch den ganzen Verschlüsselungshype ihre geliebte Massenüberwachung aufgeben müssen. Die Going-Dark-Debatte hat auch vor WhatsApp nicht haltgemacht. Im vergangenen Jahr hatte der britische Premier David Cameron den Messenger noch verbieten wollen, weil der sich weigerte, Hintertüren in seine Verschlüsselung einzubauen.
Aktuell liegt die Facebook-Tochter im Clinch mit dem FBI. Denn WhatsApp-Programmierer haben im vergangenen Jahr die Verschlüsselungsmethode von der Open-Source-Software TextSecure, die als besonders sicher gilt, in den Messenger eingebaut. Seitdem können US-Sicherheitsbehörden die Kommunikation nicht mehr mitlesen, wenn WhatsApp sich weigert.
Nun soll der Messenger also noch sicherer werden. So, dass das FBI auch mit dem noch so festangezogensten Schraubstock nicht erfahren wird, was die User sich so schreiben. Doch der Fingerzeig in Richtung FBI dürfte nur die halbe Wahrheit sein.

Unternehmen hatten Angst vor User-Verlust

Der Verschlüsselungs-Zug, auf den seit eineinhalb Jahren alle Tech-Companies aufspringen, fährt nicht in Richtung selbstloser Service für den User. Die Unternehmen hätten gar keine andere Wahl gehabt als mitzufahren, sagte Snowden-Vertrauter und Journalist Glenn Greenwald vor kurzem auf einer Veranstaltung der University of Arizona. Vor Bekanntwerden des PRISM-Programms hätten die Internet-Companies (Greenwald nennt Microsofts Skype als Beispiel) noch Deals mit den Behörden gemacht. Kaum kam der Skandal ans Licht, wurde natürlich eifrig dementiert. Und um die User, die sich nun der leichten Verletzbarkeit ihrer Privatsphäre bewusst waren, nicht zu verlieren, wurde verschlüsselt, so Greenwald.
Nun wird WhatsApp diese Angst aktuell nicht treiben, dafür ist der Messenger zu dominant. Allerdings wird man auch in Santa Clara nicht verpasst haben, wie viele Sympathien Apple durch die Weigerung das Terroristen-iPhone zu entsperren ernten konnte. Nicht nur die komplette Silicon-Valley-Elite sprang dem Konzern zu Hilfe, Apples konsequentes Vorgehen schwappte eine riesige Welle positiver PR nach Cupertino. Die neue Komplett-Verschlüsselung kann WhatsApp in der Gunst der User noch etwas weiter nach oben treiben. Und als netten Nebeneffekt räumt man den USP von Zwergen-Konkurrenten wie Threema oder Signal auch gleich noch aus dem Weg.

Für Unternehmen immer weiter offen

Doch von der User-Liebe allein lässt sich natürlich nicht leben, das wird man auch bei WhatsApp wissen. Und da kommt der zweite grosse Vorteil, den die End-to-End-Verschlüsselung mit sich bringt. WhatsApp kann sich nun immer weiter der Business-Kommunikation öffnen. Mehrere Massnahmen haben bereits die Richtung gezeigt, in die es bei WhatsApp gehen soll - die Verschlüsselung ist ein weiterer Schritt. Denn aus Datenschutzgründen war es zwischen Unternehmen und Kunden bisher nicht möglich, bestimmte Daten über WhatsApp zu übermitteln.
Weshalb der Messenger, wie übrigens auch der Facebook Messenger, von Unternehmen eher für eine allgemeine Beratung genutzt wird. Durch Verschlüsselung plus Authentifizierung des Gegenübers steht WhatsApp jetzt auch dem Transfer sensibler Bank-, Kunden-, oder Patientendaten offen. Und damit auch einem neuen, finanziell vielversprechendem Geschäftsmodell.




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