Online-Audio-Werbemarkt 08.08.2015, 12:08 Uhr

Musik-Streaming-Dienste: Es geht aufwärts

Der Werbemarkt bei Musik-Streaming-Diensten ist noch winzig. Dabei sind die Nutzerzahlen durchaus vielversprechend. Experten rechnen deshalb mit einer steilen Aufwärtsentwicklung.
Frau hört Musik mit Kopfhörern
(Quelle: Shutterstock.com/Ollyy)
Rainer Henze hat einen Arbeitsplatz, um den ihn viele beneiden - in Kon­stanz, nur wenige Meter vom Ufer des ­Bodensees entfernt. Aussergewöhnlich ist auch das Unternehmen, dessen Chef Henze ist: Die Laut AG ­betreibt die Plattform Laut.fm, auf der User ihre eigenen Web-Radio-Sender ausstrahlen können. Über 1.200 unterschied­liche Kanäle sind dort inzwischen  on air - vom Indie-Sender Altertainment bis zum Hip-Hop-Kanal Zockerland99.
Eine Sache vor allem für Musik-Freaks möchte man meinen. Doch das User Generated Radio hat jetzt auch die Axel Springer AG auf den Plan gerufen. Der Medienkonzern hat sich mit 25 Prozent an der Laut AG beteiligt, weil, so die Begründung, der Markt für Musik-Streaming-Dienste "beste Chancen" für Wachstum biete.
Tatsächlich weist im Moment einiges darauf hin, dass musikalische Audio-­Angebote im Internet der nächste grosse Web-Trend sein könnten. Facebook sondiert gerade den Markt. Und vor wenigen Tagen stieg auch Apple in das Geschäftsfeld ein und startete Apple Music. Dazu gehört der Webradio-Sender Beats One sowie ein Musik-Streaming-Dienst, über den die User auf über 30 Millionen Musiktitel zugreifen können.

Über 2.000 Musik-Streaming-Dienste in Deutschland

"Apple Music ist ein klares Signal, in welche Richtung sich der Markt bewegt", sagt Tobias Conrad, Leiter Digitale Medien beim Audiovermarkter RMS. "Die Download-Ära neigt sich dem Ende zu." Rainer Henze sieht es nicht viel anders: "Wir erleben gerade einen Wendepunkt. Das Musik-Streaming ersetzt jetzt die Mp3-Sammlung."
Mit seinem neuen Musik-Streaming-Dienst macht Apple hierzulande vor allem Spotify Konkurrenz - der User kann hier über das Netz ebenfalls auf rund 30 Millionen Titel zugreifen. Der Musik-Streaming-Dienst ist mit 4,5 Millionen Nutzern im Monat bislang unangefochtener Marktführer und das reichweitenstärkste Online-Audio-Angebot in Deutschland (Quelle: Webradio Ratings 2015).
Dahinter folgen Sender, die man aus der klassischen UKW-Welt kennt: Antenne Bayern, BigFM und Hit Radio FFH: Sie erreichen über die Online-Ausstrahlung zwischen zwei und drei Millionen Hörer im Web.
Die Zahlen verdeutlichen: Der Konsum von Musik oder musikalischen Unterhaltungsangeboten verlagert sich auf Plattformen im Netz - auf Musik-Streaming-Dienste, Webradios, Aggregatoren wie Radio.de und andere Audio-Angebote.
"Allein in Deutschland gibt es derzeit über 2.000 Online-Audio-Anbieter", sagt Gero Maskow, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Agentur Crossmedia, "und der Bereich wächst weiter."
Maskow beobachtet die Szene intensiv, weil er wissen will, wie sich die Musik-Streaming-Dienste als Umfeld für Werbebotschaften entwickeln. Noch ist dieser Markt in Deutschland komplett unterentwickelt. Schätzungsweise 15 Millionen Euro werden hier umgesetzt, Peanuts im Vergleich zu den USA.
Die Umsätze im Online-­Audio-Werbemarkt liegen dort bei über 1,2 Milliarden US-Dollar. "Das heisst aber auch: Das Wachstumspotenzial bei uns ist riesig", sagt Conrad. Nicht wenige rechnen deshalb im nächsten Jahr mit einer Verdoppelung der Umsätze in Deutschland.
Dafür spricht, dass Audio im Vergleich zu anderen Online-Werbeformen einige Vorteile aufweist. Üblicherweise muss ­visuelle Online-Werbung auf die einzelnen Screens angepasst werden, Audiowerbung nicht. "Audiowerbung ist per se Multi-Device-fähig", sagt Henze. "Man muss sie nicht reponsive machen." Und darüber hinaus hat sie "kein Adblocker-Problem".
Das wichtigste Argument aus Sicht der Audio-Leute ist aber, dass Audiowerbung eine Form sein könnte, die auf dem Smartphone funktioniert. Bereits jeder Zweite hört Webradio über das Smartphone; dieses dient zudem zu Hause bereits als Fernbedienung: Damit werden Radiosender angesteuert, Musik-Streaming-Dienste bedient und Playlisten abgerufen.

Targeting bei Musik-Streaming-Diensten: möglich, aber noch nicht effizient

Und das geschieht mit hoher Intensität. Der deutsche Spotify-User hört im Schnitt 109 Minuten am Tag, einen Grossteil davon über Kopfhörer - also nicht nebenbei, wie das beim UKW-Radio üblich ist, sondern ganz konzentriert. Für Markenartikler, die mit Audiospots werben, kommt das einer geradezu paradiesischen Nutzungssituation gleich.
"Audio ist das beste Format, um mobil zu werben", sagt Stefan Zilch, Geschäftsführer von Spotify in Deutschland, Österreich und der Schweiz. "Wir brauchen nicht darüber zu diskutieren, ob es sich durchsetzen wird, sondern nur wann." Ähnlich wie andere Musik-Streaming-Dienste auch bietet Spotify seinen Usern zwei Versionen an: eine kostenlose, die sich über Werbung finanziert, und eine gebührenpflichtige.
Neben den üblichen Display-Werbeformen gibt es Pre-Stream Audio Ads - also Spots, die vor dem Start des Streams laufen - und In-Stream Audio-Ads, Spots, die den Musikfluss unterbrechen, entweder als Single Ads oder innerhalb eines Werbeblocks.
Dabei kann der Kunde den User recht genau ansprechen. Targeting ist über ­unterschiedlichste Zielgruppendaten wie Alter, Stimmung des Hörers oder Nutzungssituation möglich. "Ein Sportartikelhersteller kann also genau die Leute ­ansprechen, die gerade joggen", sagt Zilch.
Noch machen extrem ausdifferenzierte Targeting-Kampagnen wenig Sinn, da die Reichweiten zu gering sind. Doch es zeichnet sich ab, dass hier eine interessante Zielgruppe erreicht werden kann. "Der Personenkreis ist relevant", bestätigt Andrea Malgara, Geschäftsführer der ­Mediaplus Gruppe. "Etwa die Hälfte der Nutzer von Musik-Streaming-Diensten hört kein UKW-Radio mehr."
Bislang werben vorwiegend die Kunden in den Online-Audio-Angeboten, die auch im klassischen Radio präsent sind - überwiegend mit Spots, die für das klassische Radio konzipiert wurden, was nicht immer passt.
"Ich muss unseren Hörer nicht anschreien, denn der ist bereits aufmerksam2, sagt Zilch. "Ich kann ganz normal mit ihm sprechen." Das ­"Gebrülle" müsse aufhören, meint auch Henze. Zudem können Musik-Streaming-Dienste mehr als nur Ton. Der Screen kann als Response-Element in die Kampagne mit einbezogen werden.
Technische Innovationen werden den Ausbau des Markts beschleunigen. Wenn die Datenraten für den User günstiger werden, werden auch Musik-Streaming-Dienste unterwegs intensiver genutzt werden. Und derzeit arbeiten Sound-Ingenieure an ­einer massiven Verbesserung der Mp3-Klang­qualität.
Denn die ist, im Vergleich zur Bildqualität, unterentwickelt. Bereits in den nächsten Monaten soll es Sounderlebnisse geben, die den User klanglich in ­einen Konzertsaal versetzen.  Das wäre ein Quantensprung, von dem auch die Audiowerbung profitieren würde.



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