Twitch, YouTube und Co 25.10.2019, 06:30 Uhr

Streaming-Plattformen: Gamer im Visier

Die besten von ihnen verdienen Millionen: Profi-Gamer sind die Superstars auf Plattformen wie Twitch. Die Plattformen ziehen Fans in Scharen an - und eröffnen Marken wie Porsche oder Red Bull neue Wege, junge Consumer zu erreichen.
Rund um die Präsentation seines neuen Elektro-Rennwagens strickte Porsche auf Twitch ein Adventure-Game.
(Quelle: Porsche AG)
Der 2. August 2019 wird dem Management des Streaming-Portals Twitch als der Tag in Erinnerung bleiben, an dem Tyler Blevins umgezogen ist. Der 28-Jährige aus Detroit, dem breiten Publikum bekannt unter seinem Künstlernamen "Ninja", galt als der erfolgreichste Streamer auf Twitch und zählte dort rund 14,5 Millionen Follower. Nach seinem Wechsel zu Mixer, dem Twitch-Konkurrenten aus dem Hause Microsoft, dauerte es nur sechs Tage, bis Ninja auch dort die Marke von einer Million Abonnenten durchbrochen hatte.

Fortnite machte Ninja reich

Blevins verdient nach vorsichtigen Schätzungen bis zu eine Million US-Dollar pro Monat mit Gaming, genauer: mit Fortnite. Dieses Computerspiel versetzt den Spieler in eine apokalyptische Welt, in der die Menschheit von Zombies bedroht wird. Er hat dann beispielsweise die Aufgabe, ein befestigtes Fort zu errichten, um die Nacht zu überleben.
Ninja gilt als einer der besten Fortnite-Spieler der Welt. Er hat zur Popularität dieses Games beigetragen, das seit seiner Präsentation im Juli 2017 über 250 Millionen Nutzer weltweit fand. Das Spiel ist nicht nur für Ninja zur Goldgrube geworden, sondern auch für Epic Games. Das US-Unternehmen, das Fortnite gemeinsam mit dem polnischen Entwicklerteam von People can Fly auf den Markt brachte, erzielte 2018 einen Umsatz von drei Milliarden US-Dollar, der grösste Teil davon entfiel auf Einnahmen für die digitale Währung "V-Bucks", mit der Spieler sich zusätzliche digitale Ausrüstung für ihre Fortnite-Abenteuer kaufen können.
Blevins Geschäftsmodell ist ein anderes: Er verdient Geld damit, Fortnite zu spielen und sich von seiner Fangemeinde dabei über die Schulter blicken zu lassen. Mindestens zwölf Stunden am Tag sitzt Ninja am Rechner, kämpft gegen Zombies, löst Aufgaben und verrät, wie er diese und jene Klippe umschifft. All dies streamt er bis zu 80 Stunden in der Woche live in seinem Kanal auf der Streaming-Plattform. Bis Ende Juli war das Twitch, seit Anfang August ist er auf Mixer unterwegs. Zuvor hatte er gemeinsam mit dem Rapper Drake einen Twitch-Rekord aufgestellt. Als die beiden gemeinsam Fortnite zockten, sahen 635.000 Menschen weltweit gleichzeitig zu. Twitch hat Ninja reich gemacht. In einem "Forbes"-Interview bezifferte er seine Einkünfte für 2018 auf rund zehn Millionen US-Dollar. Blevins ist an den Einnahmen für Werbung beteiligt, die während der Livestreams eingeblendet wird, ausserdem erhielt er bei Twitch eine Umsatzbeteiligung für rund 40.000 Abonnenten, die zwischen fünf und 25 US-Dollar im Monat dafür zahlen, bevorzugten Zugang zu ihrem Star und seinen Inhalten zu haben. Ninja ist inzwischen mehr als ein Gamer, er ist eine Marke. Zu seinen Sponsoren gehören Namen wie Red Bull und Uber Eats.

20 Millionen Abonnenten auf YouTube

Seinen Umstieg von der Amazon-Beteiligung Twitch zum Microsoft-Netzwerk Mixer liess sich der Profi-Gamer dem Vernehmen nach fürstlich vergüten. Angeblich soll Microsoft eine Wechselprämie von bis zu 25 Millionen US-Dollar gezahlt haben. Diese Summe wirft ein Schlaglicht auf einen hart umkämpften Markt: eSports.
Dass Gamer nicht nur selbst zum Joystick greifen, sondern gern auch Könnern an der Konsole dabei zusehen, ist keine neue Erscheinung. Weltmeisterschaften in der neuen Disziplin eSports füllen inzwischen Stadien von Warschau bis Singapur und lassen Top-Fussballturniere blass wirken. Für das Streaming von Games in die gute Stube etablierte sich schnell das für Publisher und Zuschauer kostenlose Video-Netzwerk YouTube - dort hat zum Beispiel Ninja auf seinem Kanal rund 20 Millionen Abonnenten.
Doch inzwischen hat YouTube diese Vormachtstellung abgeben müssen an Twitch, das im Juni 2011 in einer Betaversion veröffentlicht wurde. Twitch ist für das Streamen von Games besser geeignet als YouTube. Besitzer der populären Spielekonsolen Sony Playstation 4 und Microsoft Xbox One benötigen keine zusätzliche Software, um andere via Twitch direkt an ihrem Spielerlebnis teilhaben zu lassen. Nutzer können die Streams einzelner Gamer abonnieren. Wenn sie dafür Geld lockermachen, bekommen sie Emoticons und Logos, die sie im Chat mit anderen Nutzern im Channel verwenden können. Die Kombination aus Live-Event und Instant Communication mit anderen Channel-Abonnenten macht den Reiz dieser Plattform aus. Unternehmen können auf Twitch - ähnlich wie auf YouTube - Werbung schalten. Oder sie machen gleich einen eigenen Kanal auf, wie etwa der Sportwagenhersteller Porsche, der im September 2019 rund um seinen neuen Elektro-Rennwagen für die Formel E ein Adventure-Game strickte, in dem sich erfahrene Gamer bis auf den Fahrersitz des Boliden vorkämpfen mussten.
Mit diesen Anlagen hat es Twitch innerhalb kurzer Zeit zum Marktführer in einem neuen Genre geschafft - mit beeindruckenden Zahlen. So gab das Unternehmen bekannt, dass 2014 45 Millionen Zuschauer rund 12 Milliarden Minuten Twitch-Inhalte pro Monat konsumiert hatten. Heute kommt Twitch auf rund 20 Milliarden Minuten Livestream pro Monat, etwa das Vierfache von YouTube. Weltweit zeichnete Twitch zeitweilig für 1,8 Prozent des Internet-Traffics verantwortlich und landete auf Platz 4 hinter  Netflix, Google und Apple. Im Sommer des Jahres 2014 übernahm Amazon Twitch für 970 Millionen US-Dollar. Seitdem ist das Portal nicht nur in das Amazon-Werbenetzwerk eingebunden, sondern auch in das Prime-Kundenbindungsprogramm: Prime-Kunden können jeden Monat einen Twitch-Kanal ohne Werbung gratis abonnieren.
An dieser Führungsposition haben die Wettbewerber einstweilen zu knacken - und sie versuchen es auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Microsoft setzt bei der 2016 übernommenen Bean-Plattform, die seit 2017 Mixer heisst, auf Interaktivität zwischen den Gamern und den Zuschauern. So können Zuschauer laufend in das Spiel eingreifen. Die nahtlose Integration der Plattform in das hauseigene Xbox-Ökosystem ist Ehrensache, ebenso wie in das Betriebssystem Windows 10. Gamer wie Ninja werden im Moment dadurch beim Reichweitenaufbau unterstützt, dass die Abos ihrer Channels für die Kunden kostenlos sind. Aktuell spielt Microsoft auf Mixer die ersten Werbebanner aus - bislang werden die Gamer an den Einnahmen noch nicht beteiligt. Gemessen an Twitch ist Mixer noch ein kleines Licht: Im 2. Quartal 2019 betrug der Anteil am Live-Streaming-Markt nur drei Prozent.

Noch kein Jubel bei Facebook

Auch Facebook sucht nach Wegen, die Zielgruppe der Gamer, Streamer und ihrer Fans an sich zu binden: Die Plattform Facebook Gaming bietet den Spielern die Möglichkeit an, Livestreams einzustellen und an einem Partnerprogramm teilzunehmen. Gemessen an den Nutzerzahlen, mit denen die Zuckerberg-Company sonst zu faszinieren weiss, sorgt das noch nicht für Jubelstürme, allerdings ist Facebook Gaming mit 5,3 Prozent Marktanteil auch ohne Promi-Transfer immer noch erfolgreicher als Microsoft Mixer.
Google setzt derweil auf Monetarisierung statt auf Masse: Mit immer häufigeren Werbeeinblendungen testet YouTube die Schmerzgrenze der Nutzer aus - und ködert sie gleichzeitig mit einem werbefreien Premiumangebot, das allerdings nicht gratis ist. Eine ähnliche Strategie fährt das Gaming-Portal Stadia, das Google derzeit in immer mehr Ländern im Testbetrieb startet. Auch hier soll der Basiszugang nichts kosten, Extras werden gesondert berechnet. Wer Top-Spiele spielen will, muss eine Monatsgebühr zahlen.

Was steckt hinter Cloud Gaming?

Mit Stadia wagt sich Google in ein technologisch anspruchsvolles Feld: Cloud Gaming. Das eigentliche Videospiel läuft nicht mehr auf dem Endgerät des Nutzers, sondern in der Cloud. Das hat für den Nutzer viele Vorteile: Die hohe Rechnerleistung, die für moderne Computerspiele erforderlich ist, muss nicht mehr sein Endgerät bringen, dafür stellt Google entsprechende Kapazitäten in der Cloud bereit.
Zudem kann der Gamer während des Spiels nahtlos das Endgerät wechseln. Ein Spiel, das zu Hause am Smart-TV begann, kann unterwegs am Smartphone weiter­gespielt werden - ohne Performance-Einbussen und ohne Verlust des Spielstands. In der Praxis funktionieren Games auf ­Stadia aber noch nicht so gut, wie es die Theorie verheisst: Vor allem die Latenz, also die Dauer zwischen einer Eingabe am Controller und der Reaktion am Bildschirm, ist oft noch grösser, als es Enthusiasten von ihrer Konsole gewohnt sind. Auch mobile Nutzer erreicht Stadia bislang nur unzureichend: Es läuft noch längst nicht auf allen Android-Smartphones. Da bleibt bis zum offiziellen Marktstart im November noch allerhand zu tun.
Für die mögliche Vermarktung von Games bietet Cloud Gaming interessante Ansätze, die ganz zur Werbemaschine Google passen: Wenn etwa ein Computer-Autorennen nicht mehr lokal auf dem Smartphone gespeichert ist, sondern live vom Google-Server gestreamt wird, dann kann der Konzern Werbeflächen im Spiel problemlos an interessierte Kunden verkaufen - bei Bedarf im Realtime-Bidding-Verfahren. Vor allem kann Google eins tun, wofür bislang vor allem Microsoft bekannt ist: Konsumenten sowohl bei der allgemeinen Internet-Nutzung als auch beim Gamen mit Werbung erreichen.

Jeder Dritte spielt regelmässig

Gamer sind bereits seit Längerem eine heiss umkämpfte Zielgruppe, wobei viele Klischees, die Computer-Zockern zugeschrieben werden, gar nicht mehr zutreffen. So ist nach Erkenntnissen des deutschen Branchenverbands "Game" das Bild des pickeligen Jünglings an der Konsole überholt: Fast die Hälfte aller Deutschen (42 Prozent) spielt zumindest gelegentlich mal ein Computerspiel, 35 Prozent tun dies regelmässig. 47 Prozent der Deutschen, die zumindest gelegentlich ein Computerspiel nutzen, sind Frauen. Das Durchschnittsalter der Gamer hier­zulande nimmt immer weiter zu, 2018 ­betrug es 36,1 Jahre - und die mit 9,5 Millionen Mitgliedern zahlenmässig stärkste Altersgruppe unter den Nutzern ist inzwischen über 50. Die Gruppe der 10- bis 19-Jährigen schrumpft dagegen seit 2014 und zählt heute nur noch 5,8 Millionen, das sind 17 Prozent der deutschen Gamer-Gemeinde.
Mobile Gaming spielt eine immer wichtigere Rolle: 2018 verdrängte das Smartphone in Deutschland mit 18,2 Millionen Nutzern den PC erstmals von Platz eins der meistgenutzten Zocker-Endgeräte. Damit einher geht auch ein Trend, der die Musik-Industrie schon länger begleitet: Statt auf physischen Datenträgern werden Spiele ­zunehmend per Download oder im Abo bezogen. Von 2012 bis 2017 stieg der Anteil der im Netz gekauften Spiele in Deutschland von 16 auf 42 Prozent, ihr Anteil am Umsatz verdreifachte sich von neun auf 29 Prozent.
Diese Zahlen, erhoben von der GfK im Jahr 2018, bilden die ganze Verschiebung des Geschäfts ins Internet ­jedoch nur unvollkommen ab, denn sie enthalten nicht die Zahlen für Gaming-Apps, die ausschliesslich über die App-Stores von Apple und Google angeboten werden. Das gilt auch für den boomenden Sektor der Abonnements und Mikrotransaktionen, der sich in Deutschland laut GfK zwischen 2013 und 2017 auf eine Milliarde Euro verdreifachte. Auch hier ist es schwer zu erfassen, wie viele Umsätze über die App-Stores laufen. Weltweit wurden laut dem Marktforschungsunternehmen Newzoo 2017 knapp 109 Milliarden US-Dollar mit Computerspielen umgesetzt. Bis 2020 soll der Markt um weitere 20 Milliarden US-Dollar auf dann knapp 130 Milliarden US-Dollar wachsen. Rund um den Globus spielen heute bereits rund 2,2 Milliarden Menschen. Und die meisten fangen gratis an.

Logo für die Credibility

Games wie Fortnite setzen ganz darauf, den Spieler mit einer kostenlosen Grundausstattung zu ködern und anschliessend über In-Game-Verkäufe oder aufwendigere Spieleversionen Einnahmen zu generieren. So kostet bei Fortnite die Grundver­sion Battle Royale nichts, das sogenannte Standard-Gründerpaket liegt bei knapp 40 Euro, das Deluxe-Gründerpaket bei 60 Euro. Die kostenpflichtigen Versionen enthalten nicht nur zusätzliche Spieleausstattung, sondern auch digitale Batches und Logos, mit denen die Spieler ihren ­Luxus-Status auch in ihrem Community-Profil darstellen können. Denn auch die Vorstellung, dass ein Gamer allein vor sich hin zockt, ist Schnee von gestern: Spiele wie Fortnite, World of Warcraft, League of Legends oder Assassin’s Creed funktionieren nicht ohne die Community dahinter. Spieler schliessen sich zu Teams zusammen, ihre Fans treffen sie auf Streaming-Plattformen wie Twitch. Und ein Deluxe-Logo vor dem Nickname sorgt für die notwendige Credibility.
Dieser Community-Effekt ist es auch, der das Thema Gaming für Social-Media-Kampagnen interessant macht. Influencer-Marketing-Expertin Caroline Bellanger vom Fachblog "Upfluence" sieht Twitch als die wichtigste Social-Media-Plattform für Gamer: "Twitch hat sich zu einem Platz entwickelt, in dem Gamer ihre Leidenschaft für das Spielen ausleben können. Und obwohl viele Influencer dort nicht Millionen von Followern haben, sind ihre Communities extrem loyal, was ihre Stärke ausmacht."
In Deutschland haben Brands wie Voda­fone, Mercedes und Coca-Cola das Potenzial von eSports erkannt und treten als Team-Sponsoren auf. Sportvereine wie der VfL Wolfsburg oder der FC Schalke 04 haben sogar eigene Mannschaften aufgestellt.

K(l)icken für Werder

Der Bundesligaverein Werder Bremen hat mit Werder eSports einen Bereich etabliert, in dem die Sportler am Monitor das machen, was ihre Kollegen auf dem Rasen auch tun: Fussball spielen. Die Fussballturnier-Simulation FIFA (die neue Version FIFA20 kommt die Tage auf den Markt) steht im Mittelpunkt des Werder-Engagements, das über alle sozialen Kanäle ausgerollt wird. Und sie hat ihre eigenen Stars.
Erhan Kayman zum Beispiel: Der 28-Jährige spielte in der abgelaufenen Saison noch beim VfB Stuttgart und ist jetzt im Werder-Team. Sein Jura-Studium hat Kayman, online als "DrErhano" bekannt, bis auf Weiteres auf Eis gelegt. Der zweimalige Deutsche Meister gilt als einer der 16 besten FIFA-Spieler der Welt auf der Sony Playstation 4 und streamt seine Einsätze auf YouTube und Twitch. Dort hat er immerhin schon rund 45.000 Follower - und ein paar illustre Sponsoren, vom Wurstfabrikanten Wiesenhof bis zur Digitalagentur Team Neustra.
Im Interview mit dem Branchenblatt "Sport Bild" erklärt Kayman den Zusammenhang zwischen eSports und Sport: "Wichtig ist, dass man den realen Sport nicht vernachlässigt. Wenn man körperlich nicht fit ist, hat man vor allem auf Turnieren Probleme, die Konzentrationsfähigkeit langfristig aufrechtzuerhalten.“



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