Fachkräftemangel 28.03.2019, 20:11 Uhr

Entwickler gesucht

Kaum ein Wirtschaftsprozess kommt noch ohne IT aus, gute Software ist gefragt wie nie. Trotz des Fachkräftemangels finden IT-Dienstleister (noch) Auswege oder leisten es sich, auf Projekte zu verzichten. Die Knappheit verlangt jedoch zunehmend nach neuen Lösungen.
Die Software-Branche boomt. Verschiedene Studien warnen, dass der Wirtschaft in den nächsten Jahren Tausende Entwickler fehlen werden
(Quelle: Alex Brylov/Shutterstock)
Neue Geschäftsprozesse, technische Trends wie Cloud Computing, Internet of Things oder Machine Learning erfordern Software. Entsprechend steigen die Ausgaben für Applikationen. Die Marktforscher von Gartner prognostizieren für dieses Jahr weltweit 8,3 Prozent höhere Ausgaben gegenüber dem Vorjahr allein für Unternehmens-Software. Auch hierzulande steigt die Nachfrage und mit ihr der Bedarf an Entwicklern. Die Software-Branche boomt, sie sei ein Jobmotor für die Schweiz, sagte Andreas Kaelin, Geschäftsführer von ICTswitzerland, anlässlich der Vorstellung der Ergebnisse der jüngsten Swiss Software Survey im Herbst letzten Jahres.
Doch der Fachkräftemarkt ist angespannt, die Jobmaschine stottert. Gemäss der Top-500-Umfrage aus dem Sommer 2018 von Computerworld sind offene Stellen in der Software-Entwicklung (inklusive Testing) am schwierigsten zu besetzen. Das könnte noch auf längere Sicht so bleiben. Die Studienautoren der Swiss Software Survey prognostizieren, dass die heimischen Software-Unternehmen planen, ihre Belegschaft massiv und mit zunehmendem Tempo auszubauen: letztes Jahr um 8,2 Prozent, dieses Jahr um 13,6 Prozent. Dies entspricht rund 20 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen für den Zeitraum 2018 bis 2019. Demzufolge dürften auch die Löhne steigen, da sich Coder ihre Arbeitsplätze zurzeit aussuchen können. Die Autoren der Swiss Software Survey stellen die These auf, dass dies die Margen für Software-Lösungen schmälern könnte.

Projekte über Ländergrenzen hinweg

Lohnkosten sind aber weniger das Problem. Ärgerlicher dürften entgangene Umsätze sein, da Hersteller zum Teil kein Personal mehr für zusätzliche Aufträge zur Verfügung haben. Der IT-Dienstleister T-Systems Schweiz bietet seinen Kunden Lösungen in mehreren Portfoliosparten: Outsourcing, bei T-Systems Managed Infrastructure genannt, Telekommunikations-Business, SAP und Security. Eine weitere Einheit sind die Digital Solutions. Die Mitarbeiter kümmern sich um Projekte wie Blockchain, IoT und In­dividualentwicklung. «Hier haben wir die meisten offenen Stellen, denn erfahrene Software-Entwickler sind am Markt schwer zu finden. Zurzeit sind in diesem Bereich 80 Personen tätig. Wir haben aber genügend Aufträge, um deutlich mehr Mitarbeitende zu beschäftigen», beschreibt T-Systems’ Managing Director Stefano Camuso die Situation.
Beim Innovationspartner Zühlke gibt es schweizweit aktuell 30 offene Stellen. «Vergangenes Jahr konnten wir nicht allen Kundenanfragen nachkommen. Wir mussten Prioritäten setzen und teilweise auch für uns spannende Projekte ablehnen, wodurch wir auch mögliche Umsätze verloren», sagt Ueli Kleeb, Managing Director Competence Center und Partner von Zühlke. Gesucht würden beispielsweise Fachleute mit DevOps-Hintergrund, mit Wissen in den Bereichen Data Analytics/Data Science und Machine Learning, um Infos aus grossen Datenmengen zu gewinnen. Immer gefragter werde Know-how bei der Entwicklung von Mobile-Applikationen aufgrund des Mobile-First-Ansatzes, den immer mehr Unternehmenskunden verfolgen. Ein Trend, der nach Asien und den USA schon zunehmend Einzug in Europas Märkte hält. Der Cloud-Boom führe zu weiteren Aufträgen. Hier müssten etwa Microservices zusammengeführt werden. Ein heisses Thema sei auch Augmented Reality (AR) für Unternehmenskunden. Hier entstünden neue Geschäftsmodelle wie AR im Service und Unterhalt von Maschinen oder in der Modewirtschaft.
“Wenn ein Expat ins Land kommt, bleibt der Job hier. Geht aber die Stelle ins Ausland, ist diese weg„
Ueli Kleeb, Zühlke
Zühlke setzt deshalb auf weltweit verteilte Standorte. Das Unternehmen beschäftigt Mitarbeiter in Serbien und Bulgarien, dem Vereinigten Königreich, Deutschland und Österreich, aber auch in Singapur und Hong Kong. Die Mitarbeiter können dann je nach Projekt länderübergreifend hinzugezogen werden. Erschwerend für Software-Anbieter seien auch die Folgen der Masseneinwanderungsinitia­tive. Kleeb versteht den Schutz der inländischen Arbeitsplätze. Aufgrund der Auflagen sei es aber schwieriger, ausländische Fachkräfte ins Land zu holen. Also setzen Hersteller wie Zühlke auf Filialen im Ausland. Eine Entwicklung, die Kleeb mit gemischten Gefühlen betrachtet: «Wenn wir Expats ins Land holen, bleiben die Stellen hier. Auch nachdem die ausländischen Fachkräfte wieder gegangen sind. Wenn stattdessen die Stelle ins Ausland geht, ist diese weg.»

Kunden bevorzugen lokale Ansprechpartner

Nicht alle Unternehmer setzen auf Near- respektive Offshoring. So etwa Thomas Wüst von ti&m. Er verzichtet bewusst auf die Möglichkeit und sieht zudem organisatorische Hürden: «Zu unseren Mehrwerten zählen auch eine kurze Time-to-Market und die Agilität. Das lässt sich aber nur vor Ort realisieren. Wer remote, also über Near- und Offshoring agil arbeiten will, hat meiner Meinung nach agiles Arbeiten nicht verstanden.» Camuso von T-Systems verweist darauf, dass die Sprache in der neuen digitalen Arbeitswelt an Bedeutung gewinne. Früher sei es in Wasserfall-Projekten noch einfach gewesen, die Entwickler zu briefen. Ihnen wurde einmal der Auftrag erteilt und dann konnten sie loslegen. In agilen Projekten werde hingegen permanent diskutiert. Die Sprache und die geografische Nähe seien daher Fak­toren, die zum Teil bei Kunden eine wichtige Rolle spielten. «Wir haben noch viele Kunden, die deutschsprachige Ansprechpartner bevorzugen», konstatiert Camuso.
Bei Zühlke organisiert man die Projektarbeiten dem Wunsch der Kunden entsprechend. Man weise diese darauf hin, dass man verteilt entwickelt, erklärt Kleeb. Zudem betreuten auch Schweizer Ansprechpartner die Abläufe. Der Ansatz sei aber nicht vergleichbar mit dem klassischer Offshoring-Anbieter. «Unsere Valueproposition ist, dass wir die Verantwortung übernehmen. Wir betreiben kein Body­leasing. Wenn etwa bei einem Kundenprojekt Kollegen aus Belgrad und Zürich involviert sind und die Mitarbeiter in Belgrad kein Deutsch sprechen, übernehmen die Kollegen von hier den Kundenkontakt», stellt Kleeb klar.




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