Thorsten Scheib, Philip Morris 21.09.2019, 10:23 Uhr

Bye, bye Marlboro: Wie Philip Morris digital wird

Der Tabakkonzern Philip Morris setzt derzeit alles auf eine Karte: Der Tabakerhitzer Iqos wird weltweit als Alternative zur klassischen Zigarette aufgebaut. Ein Gespräch mit Marketingchef Thorsten Scheib über die Folgen für Vertrieb und Marketing.
Thorsten Scheib, Director Marketing Philip Morris Deutschland
(Quelle: Philip Morris)
Der Tabakkonzern Philip Morris befindet sich in einem tief greifenden Transformationsprozess. Klassische Marken wie Marlboro werden nicht mehr beworben, 95 Prozent des Etats fliessen stattdessen in den Markenaufbau von "Iqos".
Iqos ist ein elektronisches Gerät, über das Tabaksticks (Heets) erhitzt werden. Dadurch werden beim Rauchen deutlich weniger ­Schadstoffe frei als bei der Verbrennung von Tabak - ­also bei der normalen Zigarette. Ein ­Gespräch mit Thorsten Scheib, Director Marketing Philip Morris Deutschland. 
Noch vor wenigen Jahren hat Philip Morris in der Kommunikation gefühlt alles auf die Marke Marlboro gesetzt. Damit, so scheint es, ist es jetzt vorbei.
Thorsten Scheib: Absolut. Wir haben ­inzwischen alle Ressourcen im Marketing komplett auf Iqos fokussiert. Wir machen für unsere klassischen Zigarettenmarken wie Marlboro, LM und Chesterfield keine Werbung mehr, eingeschlossen klassische Kampagnen und Events. Das bringt uns im konventionellen Bereich vielleicht ­einen Wettbewerbsnachteil, aber wir wollen die Transformation bei Philip Morris glaubwürdig kommunizieren.
Wie sieht die Bilanz bei Iqos inzwischen aus?
Scheib: Wir machen jetzt 18,8 Prozent ­unserer weltweiten Net-Revenues über Iqos. Das bedeutet: Wir haben schon ein Sechstel unseres Weges zurückgelegt. Ich glaube nicht, dass andere Unternehmen wie BMW mit ihrer E-Mobility schon so weit sind. In Deutschland fokussieren wir uns mit Iqos momentan auf acht grosse Städte, in einigen davon haben wir bereits einen Marktanteil von drei Prozent. Und jeden Tag werden es mehr. Das sind sehr gute Ergebnisse, denn der Tabakmarkt ist in der Regel sehr träge.
Iqos: Ein Sechstel des weltweiten Umsatzes kommt über den Tabakerhitzer.
Quelle: Philip Morris
Jeden Tag mehr Geräte oder Heets?
Scheib: Vor allem Heets. Uns geht es ja nicht darum, möglichst viele Geräte zu verkaufen. Iqos hat ja nur dann den Risikoreduzierungseffekt, wenn die Menschen es annehmen und jeden Tag nutzen. Für uns stellen die Tabak-Sticks, die Heets, die konstante Einnahmequelle dar. Es ist also wichtig, dass wir jede Woche neue Kunden aquirieren, die von der Zigarette zu Iqos wechseln und auch dabeibleiben. Das nennt sich bei uns Conversion.
Wer ist denn die Zielgruppe?
Scheib: Der erwachsene Raucher. Wenn heute jemand in den Iqos-Store geht und sagt, er ist Nichtraucher, kriegt er kein ­Gerät. Unser klares Ziel ist, bestehende Raucher von Iqos zu überzeugen. Es sind vor allem die Konsumenten ab 35 Jahren, die das grösste Interesse haben.

"Iqos ist ein Lifestyle-Produkt"

Die klassische Zigarette hat in den letzten Jahren ihren Coolness-Faktor verloren. Iqos ist ein Lifestyle-Produkt. Macht dies das Rauchen wieder cool?
Scheib: Es ist ein Lifestyle-Produkt, und wir werden oft gefragt, ob wir Iqos nicht zu trendy machen. Natürlich wollen wir aber den bestehenden Raucher vom Wechsel überzeugen. Eines der Hauptargu­mente in diesem Zusammenhang ist die Hygiene, der fehlende Rauchgeruch - nicht cool oder uncool. Aber wir sagen ihm: Du hast kein Feuer mehr, keine Asche, keinen Rauchgeruch, nichts, was in der Kleidung hängen bleibt. Deswegen ist unser Markenauftritt etwas cleaner. Wir müssen die Produktvorteile herausstreichen.
Damit hat sich in der Kommunikation viel geändert. Statt emotionaler Welten müssen Sie jetzt ein Produkt erklären.
Scheib: Das ist auch eine Transformation. Früher hatten wir ein Produkt, das wir niemandem erklären mussten, da hat sich ­alles um die Emotionalisierung der Marke gedreht. Jetzt bauen wir eine neue Kategorie auf, die man erst einmal verstehen muss, wie einst das erste Mobiltelefon. Gleichzeitig müssen wir den Rauchern mit Fakten die Produktvorteile erklären. Dann kommt noch hinzu, dass der Konsument weiterhin Tabak geniessen und nicht von Fakten erschlagen werden will. Die emotionale Seite dürfen wir also nicht vergessen.
Die habe ich allerdings bislang in der Werbung nicht wahrgenommen.
Scheib: Wir mussten bisher die Verbraucher aufklären, und werden es weiterhin tun, sonst fehlt das Fundament. Wir werden aber wieder auch die Genussmo­mente in den Vordergrund rücken, denn Rauchern sind die Rituale wichtig. Das ist eine meiner Aufgaben für die nächsten zwölf Monate. 
Wo erklären Sie denn Ihr Produkt? Auf Youtube ist beispielsweise kein offizieller Iqos-Channel auffindbar.
Scheib: Wir beachten natürlich die gesetzlichen Beschränkungen in diesem Bereich. Was wir aber schon machen: Wir erklären dem Verbraucher das Produkt im Sinne ­einer Service-Funktion auf unserer E-Commerce-Website Iqos.com. Was uns übrigens wichtig ist: Jeder, der dort kauft, ­unterläuft einen Schufa-Alterscheck, ­sodass niemand unter 18 Jahren online ­bestellen kann. 

"Wir sind jetzt viel näher am Konsumenten"

Da mussten Sie ja auch umsteuern: Früher lief der Verkauf Ihrer Produkte ausschliesslich über den Handel, jetzt zum grossen Teil online.
Scheib: Es war sogar noch extremer. Es war ein klassisches B2B-Business. Wir haben gar nicht an den Endkunden verkauft, sondern an den Fachhandel. Heute haben wir den Online Shop auf Iqos.com, wir haben Flagship-Boutiquen und Pop-up-Stores. Das bedeutet: Wir sind jetzt auch B2C unterwegs, was eine grosse Veränderung darstellt. Damit sind wir viel näher am Konsumenten dran.
Wie hoch ist denn inzwischen der Online-Anteil?
Scheib: Zahlen können wir Ihnen hier aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht nennen. Die Konsumenten nutzen den Online Shop vor allem zum Kauf von ­Geräten. Heets kaufen sie eher in anderen Kanälen.
Ist Philip Morris mit Iqos in sozialen Kanälen präsent?
Scheib: Wir haben auf Facebook das Iqos Care Team. Dort kommunizieren wir mit den Kunden, die ein Problem haben. Hier kann ich eine Frage stellen und erhalte ­eine Antwort. Beispiel: Mein Gerät leuchtet rot. Was bedeutet das? Oder: Kann ich mein Gerät bei der Flugreise mit ins Handgepäck nehmen. Also: Verkaufsunterstützung. Sie können für diese Fragen übrigens auch den Chat-Button auf unserer Website nutzen. 
Wie gehen Sie mit Usern um, die sich nicht an die Spielregeln halten? Die zum Beispiel sagen "Schmeckt gar nicht so toll, wie ich ­gedacht habe", die Sie also gewissermassen zu einer werblichen Aussage verleiten …
Scheib: Tatsächlich kommen ganz viele Fragen zum Geschmack. Dann beantworten wir diese allein aus der faktischen Perspektive. Wir sagen zum Beispiel: Das liegt daran, dass der Tabak nicht verbrannt, sondern erhitzt wird. Der Dampf, den man inhaliert, ist anders als bei einer klassischen Verbrennungszigarette. 
Sie haben mit dem Online-Verkauf oder dem über Ihre Stores nun erstmals die Chance, mit Ihren Konsumenten direkt ins Gespräch zu kommen. Wie nutzen Sie das?
Scheib: Zunächst einmal: Wir haben eine ziemlich hohe Registrierungsrate bei ­jedem Gerät. Damit willigt der Konsument ein, dass wir mit ihm kommunizieren können und über welchen Kanal das geschehen soll. Dabei schätzt er es, dass er keine lästige Werbung erhält, was wir an den hohen Öffnungs- und Engagement­raten unserer E-Mails und Newsletter merken. Er kriegt stattdessen Tipps und Hilfestellungen, die er wirklich braucht. 
Und das wird nicht als Werbung emp­funden?
Scheib: Nein. Beispielsweise können Sie bei unserer klassischen Iqos derzeit nur ­einen Heatstick konsumieren, dann muss das Gerät erst wieder geladen werden. Jetzt wissen wir aber von unseren Kunden, dass sie in ihrer Raucherpause gerne auch mal zwei Heets in Folge konsumieren wollen. Das bedeutet: Wenn wir eines Tages ein Gerät auf den Markt bringen, das ­diese Nachfrage bedient, freuen sich die User darüber. So was wollen sie wissen. Sie ­sehen dies nicht als ungewollte Werbung, sondern als gewollte Information. 

"Wertvolle Kommentare der Kunden"

Diese Erkenntnis haben Sie jetzt vermutlich relativ leicht erhalten. Früher mussten Sie dafür Marktforschungsinstitute beauftragen.
Scheib: Genau, das ist ein grosser Unterschied zur Vergangenheit. Durch die User-Daten müssen wir viel weniger offline analysieren, weil wir viel mehr online one-to-one mitbekommen. Die Lernkurve, die wir aus den Konsumentendaten und dem Feedback vollziehen können, ist sehr wertvoll, das hatten wir früher so nicht. Wir ­erhalten jetzt aber auch eine grössere ­Menge an Daten. Wir erhalten in unserem Callcenter in Lissabon - allein für den deutschen Markt - Tausende Anrufe im ­Monat, das ist gewaltig. In den Gesprächen sind auch viele Kommentare der Kunden, die gar nichts mit der konkreten Anfrage zu tun haben, aber für uns unheimlich wertvoll sind. Das muss alles gefiltert, segmentiert und eingeordnet werden. Nur so können wir daraus Aktionen ableiten, die zu Verbesserungen führen. 
Wann werden Sie den Dialog mit dem Nutzer emotional aufladen?
Scheib: Erst kommt die Care-Phase, dann geht es um das Produkt und irgendwann wollen wir natürlich die Nutzer an unsere Marke Iqos binden. Dies ist für das Unternehmen essenziell, insbesondere dann, wenn ein weiterer Wettbewerber in den Markt tritt.
Diese Art Werbung ist über digitale Kanäle erlaubt?
Scheib: Wir kommunizieren hier wie früher auch mit registrierten Konsumenten aus unserer Datenbank, die uns dafür die Einwilligung gegeben haben.




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