Augmented und Virtual Reality 16.05.2019, 10:01 Uhr

Online-Handel: Produktdarstellung in 3D

Gute Produktbilder können den Ausschlag dafür geben, dass der Kunde kauft. Dreidimensionale Abbildungen heben die Visualisierung auf ein neues Level.
(Quelle: Shopify)
Der Möbelhandel hat das Potenzial von Augmented Reality (AR) entdeckt. Anwendungen, die virtuelle Produkte in echte Räume hineinversetzen, finden nun ihren Weg auf Smartphones oder Tablets. Das zeigen erste Beispiele wie die "Yourhome"-App von Ottos Einrichtungs-Spezial-Shop Yourhome oder die App "See Your Space In Real Life" der US-amerikanischen Kaufhauskette Macy’s.
Mit der Yourhome-App können Nutzer testen, wie neue Möbel in den eigenen vier Wänden aussehen und ob die Masse passen. Dazu werden die virtuellen Objekte über die Kamera des Smartphones oder des Tablets massstabsgetreu in den Raum platziert.
Beim Möbelkauf bietet AR einen wirklichen Mehrwert. Schliesslich ist eine der Hauptfragen, die sich Kunden stellen: Passt das neue Möbelstück in meine Wohnung? Damit das funktioniert, brauchen die Shops dreidimensionale Abbildungen der Möbelstücke.

3D-Modelle mit Computer Generated Imagery

Beim Versandhandelsunternehmen Otto werden die 3D-Bilder am Computer ­erschaffen. Der Fachbegriff dafür lautet "Computer Generated Imagery", kurz CGI. Sind solche 3D-Modelle einmal hergestellt, können sie für viele Zwecke eingesetzt werden: für Produktkonfiguratoren im Online Shop, für Augmented Reality, für die Herstellung von Werbemitteln und Katalogen oder künftig für die Darstellung der Produkte in virtuellen Welten.
Ein Blick ins CGI Lab von Otto
Quelle: Otto Group
Während das CGI-Content-Lab von ­Otto CAD-Daten aus der Konstruktion verwendet (mehr darüber im Interview mit Tobias ­Nientiedt, Leiter des CGI Content Lab bei Otto), bieten Dienstleister wie Scanblue Engineering in Auetal und Carl Zeiss in Oberkochen die Herstellung von foto­realistischen 3D-Scans an.

3D-Scans von Scanblue Engineering und Carl Zeiss

Scanblue Engineering erfasst Produkte digital durch ein fotooptisches 3D-Scanverfahren. Anschliessend erzeugt eine Software aus den Daten ein 3D-Modell. Ein Finishing-Prozess sorgt dafür, dass die optische Qualität stimmt.
Kunden können entweder Scanblue beauftragen, 3D-Modelle für sie zu erstellen, oder sie holen sich das 3D-Scansystem ins eigene Unternehmen und produzieren die 3D-Modelle selbst. Der Scan-as-a-Service empfiehlt sich laut Ulrich Clemens, Head of Corporate Communications bei Scanblue Engineering, bei bis zu 100 Produkten im Monat.
Die Kosten belaufen sich auf ­etwa 390 Euro pro Produkt. Steht das 3D-Scansystem im eigenen Unternehmen, sind die Scans preisgünstiger. Dann wird nach einem Pay-per-Scan-Modell abgerechnet. Scanblue betreibt ein Content-Delivery-Netzwerk, damit die ­3D-Modelle schnell ausgeliefert werden. Mit einem Link werden sie in das jeweilige Content-Management-System eingebunden.
Die Nachbearbeitung eines Scans
Quelle: Zeiss Realscan
Der Optik-Spezialist Carl Zeiss bietet seit 2018 unter der Bezeichnung "Zeiss Realscan" die Digitalisierung von realen Gegenständen an. Ebenso wie Scanblue betreibt Zeiss Realscan ein eigenes Scan-Center oder vermietet alternativ sein "Realscan"-System.
Es besteht aus einem Scanner, der ein Objekt mit optischer Messtechnik und hochaufgelöster Fotografie von allen Seiten erfasst, und aus ­einer Software, die aus den Daten ein fotorealistisches 3D-Modell erstellt. Die Herstellung eines Masterscans im Scan-Center von Zeiss kostet rund 350 Euro. Damit ein Produkt in 3D gezeigt werden kann, benötigen Online Shops einen 3D-Viewer, der meist von einem Entwicklungsdienstleister stammt.
Zur Zielgruppe von Scanblue und Zeiss Realscan zählen Hersteller und Händler, die ihren Kunden bei der Kaufentscheidung Produkte dreidimensional oder in AR-Umgebungen zeigen wollen. Franz Troppenhagen, Senior Product Marketing Manager Virtual Media bei Carl Zeiss, ­benennt die Vorteile von 3D-Scans: "Wenn ein 3D-Modell eines Produkts vorliegt, kann dessen Oberfläche, Aussehen oder der Kontext, in dem es erscheint, schnell am Computer ausgetauscht werden."

Gute Produktbilder kosten Geld

Online-Händler wissen, dass präzise Produktbilder immer Geld kosten. Denn auch professionelle Fotografen verlangen für ­gute Bilder einige Hundert Euro. Ein wichtiges Argument für aussagekräftige Abbildungen ist, dass sie die Retourenquote senken, weil Kunden eine bessere Vorstellung von den Produkten erhalten. Dennoch spielen die Kosten für 3D-Scans ­eine Rolle. Die Marge eines Produkts muss hoch genug sein, um Bildkosten zwischen 350 Euro und knapp 400 Euro zu rechtfertigen. Händler müssen abschätzen, ob ein Produkt tatsächlich öfter verkauft wird, weil Kunden es in 3D betrachten können.
Scanblue-Manager Clemens hebt als Vorteil hervor, dass ein 3D-Scan für viele Zwecke eingesetzt werden könne und dass er Mehrwert ermögliche. Wenn der ­Kunde einen echten Mehrwert habe, weil er ­beispielsweise eine Lampe oder ein ­Möbelstück mit AR in die eigenen vier Wände versetzen kann, rechtfertige das die Kosten.
Der Shopsoftware-Anbieter Shopify unterstützt Online-Händler mit einer "3D Warehouse"-App dabei, 3D-Modelle von Produkten in den Shop einzubinden. Sie können dann in Augmented Reality präsentiert werden. Hagen Meischner, Partner Manager Lead bei Shopify, betrachtet AR als Zukunftsthema, weil sich mit ihr Produkte ­anschaulicher darstellen lassen.
Gefragt, wie häufig Shopify-Händler die "3D-Warehouse"-App verwenden, sagt er: Wenn 3D-Modelle von Herstellern oder Marken bereitgestellt werden, werde AR in Shopify-Shops immer häufiger ein­gesetzt. Wenn Händler die 3D-Modelle jedoch selbst erstellen müssen, sei die Verbreitung noch gering, da der Aufwand und die Kosten im Vergleich zu klassischen Produktbildern höher sei.
Noch sind 3D-Produkt­abbildungen in Online Shops oder AR-Anwendungen im stationären Handel rar. Es deutet sich ­jedoch an, dass sich das bald ändert.

Interview mit Tobias Nientiedt von Otto

Otto erstellt mit Computer Generated Imagery (CGI) 3D-Bilder von Produkten. Produziert werden sie im unternehmenseigenen CGI-Content-Lab. Tobias Nientiedt, Leiter des CGI Content Lab bei Otto, erläutert, welche Vorteile CGI gegenüber herkömmlicher Produktfotografie hat.
Tobias Nientiedt, Leiter CGI Content Lab bei Otto
Quelle: Otto Group
Warum investiert Otto in digitale Bildtechnologie und wie arbeitet das CGI Content Lab?
Nientiedt: Wir erstellen Content für den Home&Living-Bereich über Computer Generated Imagery. Die Grundlage für unser CGI sind CAD-Daten (Computer Aided Design). Wir nutzen CGI für Otto.de und für die Yourhome-App.
Können Sie ein Beispiel geben?
Nientiedt: Wenn heutzutage beispielsweise Kastenmöbel entworfen werden, geschieht dies meist am Computer. Die daraus resultierenden CAD-Produk­tionsdaten können wir so umwandeln, dass wir sie für unsere fotorealistischen Bildproduktionen nutzen können.
Ist CGI im Vergleich zur herkömmlichen Fotografie teurer?
Nientiedt: Das kommt darauf an. Wenn Sie von einer Küche, die Sie verkaufen wollen, Bilder benötigen, müssen Sie sie im Fotostudio aufbauen. Das ist kostenintensiv, da ist CGI günstiger. Das Gleiche gilt für Couch-Varianten: Abbildungen können ohne grossen Mehraufwand mit verschiedenen Stoffen oder Mustern produziert werden. Ein weiterer, viel wichtigerer Grund, warum wir unseren Content mit CGI produzieren, ist Augmented Reality. Zum ersten Mal hat unser Kunde die Möglichkeit, das ausgewählte Möbelstück schon vor dem Kauf in den eigenen vier Wänden zu sehen und zu beurteilen.
Auch wenn AR-Technologie in die ­Betriebssysteme der Smartphones einzieht, ist diese Technologie bei Konsumenten noch nicht weitverbreitet. Wie viele Nutzer verwenden die AR-Funktion der Yourhome-App?
Nientiedt: Tatsächlich unterstützen ­heute noch nicht alle Smartphones die Technologie. Wir veröffentlichen keine Zahlen zur AR-Nutzung, doch die Entwicklung ist positiv.
Die Yourhome-App
Quelle: Otto Group
Verlangsamen die Datenmengen für das Einblenden von 3D-Objekten das Laden der App?
Nientiedt: Wir haben lange getüftelt, um eine gute Balance zwischen dem Detailierungsgrad der Modelle und der Performance zu schaffen. Für Augmented Reality haben wir eine Infrastruktur ­geschaffen, die skalierfähig ist.
Welche Hürden mussten Sie meistern?
Nientiedt: AR ist Neuland und wir tasten uns heran. Es gibt für Anwender keine Verhaltensmuster, wie sie mit AR oder 3D-Objekten umgehen. Für uns ist wichtig, die Bedienbarkeit für die Kunden gut zu gestalten.
Werden dreidimensionale Abbildungen demnächst auch in Ottos Online Shop zu sehen sein?
Nientiedt: Ja, aber es steht noch nicht fest, wann.




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