Online-Anbieter 29.06.2017, 08:10 Uhr

"Die Margen sind auf dem Reisemarkt unterirdisch"

Niedrige Margen, hoher Konkurrenzdruck: Der Online-Reisemarkt bleibt weiterhin angespannt. Dominik Rossmann erklärt, warum trotzdem Konzerne aus USA und China hier auf Einkaufstour gehen und zukaufen.
Urlaubsstimmung: Reisende sparen an Hotel, Flügen und Fahrten. Daher erzielen Veranstalter und Anbieter nur geringe Margen.
(Quelle: shutterstock.com/Alena Ozerova)
Kein Interesse mehr am ersten Platz: Für einige hundert Millionen Euro hat sich ProSiebenSat.1 mit Etraveli, Weg.de, Tropo und Billiger-Mietwagen.de eine Reisesparte zusammengekauft, die nach der Insolvenz von Unister 2016 zumindest auf dem Heimatmarkt zum Marktführer der Online-Anbieter wurde. Doch das Wachstum blieb hinter den Erwartungen des Münchner Medien-Konzerns zurück, er hat sich daher gerade wieder von Etraveli getrennt und überlegt, weitere Reisetöchter zu verkaufen.
"Die Margen sind auf dem Reisemarkt unterirdisch", erklärt Dominik Rossmann, Geschäftsführer der Beratung Ulysses, die sich auf Reiseanbieter konzentriert, im Interview. "Aus anderen Branchen sind Investoren Renditen von bis zu zwölf Prozent gewöhnt, die sind im Reisegeschäft nicht zu erzielen." Der Online-Reisemarkt wird weiter konsolidieren. Neben Expedia und Priceline, die hier und in Europa gerne zukaufen, schauen sich auch Alibaba und Ctrip aus China um. Ausserdem treibt der Mobile Commerce das Geschäft.
Wie entwickelt sich der Reisemarkt im Internet?
Dominik Rossmann: Er wächst und wird sich auch weiterhin positiv weiterentwickeln. Es gibt keine Gründe, sich Sorgen über grundlegende Veränderungen zu machen. Das bedeutet allerdings umgekehrt nicht, dass der Offline-Reisemarkt kränkelt. Der Reisemarkt wächst weiter - und davon profitieren beide Vertriebswege, der Online-Vertrieb stärker und schneller.
Dr. Dominik Rossmann startete nach dem BWL-Studium in München und der Promotion in Eichstätt seine Karriere in der Beratung. Seit 1992 ist er für die Marktforschung Ulysses tätig, seit 1996 deren  Geschäftsführer. 
Quelle: Unternehmen
ProSiebenSat.1 hat sich in den letzten Jahren eine Reisesparte zusammen gekauft, die nach der Insolvenz und Zerschlagung von Unister der grösste Online-Anbieter Deutschlands war. Jetzt wird aber Etraveli verkauft und auch die anderen Reisetöchter stehen zur Disposition. Führt das zur Konzentration von Marktmacht?
Rossmann: Eine Tendenz zur Konzentration oder Konsolidierung ist schon seit Jahren zu beobachten. Das wird sich so wie in anderen Branchen auch weiter entwickeln. Hintergrund der Konsolidierung auf dem Reisemarkt ist, dass eines der geilsten Produkte - Reisen - schon seit Jahrzehnten allein über den Preis verkauft wird und daher die Margen unterirdisch sind. Dass das Produkt Reisen selbsterklärend ist, von Kunden meist mit positiven Dingen wie Spass, Urlaub, Sonne verbunden wird und daher eigentlich mit einem Aufschlag verkauft werden könnte, verleitet viele Unternehmen sich in diesem Bereich zu stärken. Aber die Realität sieht anders aus: Aus anderen Branchen sind Investoren Renditen von bis zu zwölf Prozent gewöhnt, aber die sind im Reisegeschäft nicht zu erzielen. Hier arbeiten die meisten Unternehmen mit ein, zwei Prozent Rendite, und diejenigen mit zwei Prozent gehören schon zu den Superstars der Branche.
Warum sind die Gewinnchancen so niedrig im Tourismus?
Rossmann: Der Preiskampf ist in allen Bereichen unverändert hoch. Das gilt für Flugtickets wie für Hotelübernachtungen und Pauschalreisen. Ausserdem wurden die Kunden seit Jahrzehnten auf den Preis getrimmt. Das führt dazu, dass eine Preissenkung von einem Euro tatsächlich zu einem spürbaren Kundengewinn führt und umgekehrt die Wettbewerber Umsatzeinbussen beobachten. Ein, zwei Euro Preisveränderung führt richtiggehend zu Wanderbewegungen, das ist doch ein Irrsinn. Zwei Euro - so viel kostet noch nicht mal ein Bier oder eine Kinokarte. Der Kunde hat folglich gelernt, bei den Reiseleistungen zu sparen, um dann vor Ort im Urlaub mehr auszugeben und zu geniessen. Reiseleistungen sind zu Beiwerk verkommen, die keinen eigenen Wert haben.

Junge Reiseanbieter verstärken die Preissensitivität

Sehr viele Reisende buchen im Internet nicht mehr eine Pauschalreise, sondern Flug und Hotel getrennt und legen dabei im Vergleich oft zum Pauschalpreis drauf. Ein Grund zur Hoffnung für Reiseanbieter?
Rossmann: Das ist die Überlegung, auf denen Angebote wie Dynamic Packaging oder individualisierte Pauschalreise basieren. Daraus könnte die Branche Profit schlagen, aber die Kunden wollen weiterhin Kontrolle behalten und suchen auch in diesem Feld nach Transparenz und Kontrolle, die ihnen Flugsuchen und Vergleichsportale bieten. Trotzdem ist die Pauschalreise nicht out, sie bildet immer noch einen grossen Teil der Touristen ab. Das darf man trotz dieser Entwicklung nicht verkennen, auch wenn die Reisebranche selbst meist über Trends, die superneuen Anbieter, Unternehmen wie Airbnb, Secret Escape spricht. Pauschalreisen, Familienreisen, Buchungssicherheit und Komfort - das sind bekannte Themen und daher langweilig.
Neue Preisvergleichs- oder Last-Minute-Buchungsmöglichkeiten im Internet verändern folglich das Reiseverhalten und den Markt gar nicht so stark?
Rossmann: Doch, sie verändern den Markt. Weil über sie gesprochen wird, weil sie die Preissensitivität der Kunden weiter bestärken und weil darüber eine grosse Dynamik besteht, die andere Anbieter mitzieht und vielleicht sogar zu ähnlichen Angeboten führt. Doch ein Grossteil der Reisenden sucht den Komfort und die Sicherheit, und oft funktioniert das individuelle Buchen ja auch nicht oder führt zu weiteren Problemen.
Mit Expedia und Priceline mit Booking.com sind hier Wettbewerber aus den USA aktiv: Erreichen beide eine ebenso starke Marktmacht wie sie Amazon im E-Commerce aufgebaut hat?
Rossmann: Dass US-Unternehmen hier aktiv werden, hat einen banalen Grund: Die Europäer geben mehr für Reisen aus und reisen deutlich öfter. Expedia ist weiterhin in den USA stärker, Priceline verstärkt gerade durch Zukäufe sein Geschäft in Europa, in den Fokus geraten dabei Geschäfte wie Ferienwohnungen oder neue Buchungsservices, die mehr Marge als eine Pauschalreise oder ein Reiseveranstalter versprechen. Aber sie sind beide nicht mit Amazons Position im E-Commerce vergleichbar. Allerdings steht im Reisemarkt auch Google auf der Liste - Google vereinnahmt allein durch die Suche und die dortigen Werbemöglichkeiten viel Marktmacht auf sich. Und: Viel interessanter ist der Blick nach Osten, zu Alibaba und anderen Reiseanbietern in Asien, die ebenfalls nach Europa schielen und hier Chancen sehen, ihre Geschäfte zu erweitern. Auch in Sachen Mobile rollt da etwas auf Europa zu, wofür es hier noch keine vergleichbaren Strategien gibt.
Sie meinen Big Data und Mobile?
Rossmann: Auch das, ja. In Indien, Asien, insbesondere in China kaufen bereits Milliarden Menschen ganz selbstverständlich online und mit dem Smartphone ein und buchen so auch ihre Reisen. Gerade in China reduziert sich das Internet auf drei Anwendungen oder Dienste wie Wechat und damit wird der ganze Alltag bestritten, auch das Reisen. Das Smartphone ist Bezahlmittel, Geschäft, Laden - das lässt ja heute schon erahnen, dass diese Entwicklung auch auf uns zukommt. Big Data und mobile Buchungen stecken bei uns eher noch in den Kinderschuhen, auch Künstliche Intelligenz, Augmented und Virtual Reality sind in Asien schon deutlich weiter entwickelt im Reisemarkt. Aber bei uns gibt es starke Kundengruppen, die diesen Themen eher noch reserviert gegenüber stehen und ein Problem in der Auswertung von ihren Daten sehen. Aber auch hier wird immer mehr Alltägliches mit dem Smartphone erledigt, das Buchungs- und Kaufverhalten ist hier anders als auf dem Desktop.



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