Geschlechterspezifische Ansprache 14.03.2016, 14:15 Uhr

Female Commerce: "Andere Präferenzen"

Die weitaus meisten Kaufentscheidungen im E-Commerce treffen Frauen: eine
Annäherung an die wichtigste Zielgruppe im Netz - mithilfe von fünf Expertinnen.
(Quelle: Shutterstock.com/lightwavemedia)
Frauenansprache ist ganz einfach: Färb deine Website rosa, designe alle Produkte etwas zierlicher und klebe ein paar Swarovski-Steine drauf - und die Damenwelt wird dich lieben. Dieser grandiosen Fehleinschätzung unterlagen vor einigen Jahren viele, auch etablierte Unternehmen. Mittlerweile ist klar: So leicht sind die Damen nicht zu begeistern. Aber wie denn dann? Höchste Zeit für ein klärendes Gespräch mit fünf Frauen aus der Branche: She-Commerce-Beratungsexpertin Diana Versteege, Tijen Onara, Gründerin des Netzwerks Women in Digital e.V., Outfittery-Chefin Julia Bösch, Catchys-Gründerin Franziska Majer und Payment-Expertin Miriam Wohlfarth.

Frau Versteege, Sie haben vor vier Jahren Ihre Beratung "She Commerce" gegründet, um den Blick für die weibliche Zielgruppe im Online-Handel zu schärfen. Wie weiblich ist der E-Commerce heute?
Diana Versteege: Der E-Commerce ist weiterhin extrem männlich. Das ändert sich aber gerade - und damit ändert sich auch der Blick auf die weiblichen Konsumenten. Ich glaube, dass Männer die Ansprüche der Kundinnen nicht immer verstehen und deshalb oft an der Zielgruppe vorbei programmieren.
Tijen Onaran: Ich bin skeptisch, was diese geschlechtsspezifische Argumentation ­betrifft. Natürlich gibt es Thematiken wie beispielsweise den Lifestyle-Bereich, wo Frauen eher mit spannenden Bildern zum Beispiel auf Instagram angesprochen werden können - wobei es mittlerweile ja auch ganz viele Männerblogs mit starker grafischer Ansprache gibt. Die Zielgruppenansprache im E-Commerce richtet sich heute ­weniger nach dem Geschlecht, sondern ist eher abhängig davon, wie die Person sozialisiert ist, was sie beruflich macht oder was ­ihre Interessen sind.
Versteege: Dafür muss ich aber auf diese Zielgruppen eingehen. Bisher wurden doch alle über einen Kamm geschoren. Es geht nur, wenn man jede Zielgruppe - auch die der Männer und der Frauen - ­individuell anspricht, auch ohne übertriebenes Gender Marketing.

Frau Bösch, Ihr Geschäftsmodell fusst ja ­darauf, dass Männer anders einkaufen als Frauen …

Julia Bösch: Ja, unserer Erfahrung nach gibt es schon klare Unterschiede. Unsere Kunden sind sehr Convenience-orientiert, sie wollen schnell und bequem gut aussehen können. Und sie suchen jemanden, der dieses Problem für sie löst, und vertrauen dieser Person dann auch komplett. Frauen kaufen im Modebereich dagegen viel mehr über Inspiration ein. Es gibt sicherlich auch Männer, die Inspirationskäufer sind, aber ­generell gibt es grosse Unterschiede. Diese wirken sich natürlich nicht nur auf die Kundenansprache und das Marketing aus, sondern auch auf die Produkte und Services, die man anbietet. Wir gehen spezifisch auf Männer ein, was im Modehandel eher selten ist. Männer bekommen ja sonst im Modehandel immer nur die Ecke ganz hinten im Kaufhaus.
Franziska Majer: Pauschalisieren kann man nie. Aber ich finde, dass auch in ­Sachen Frauenansprache im E-Commerce schon sehr viel gemacht wird - im Modebereich sowieso, aber auch in anderen Branchen, Stichwort Amorelie. 80 bis 90 Prozent der Online-Kaufentscheidungen werden immerhin von Frauen getroffen, egal in welcher Branche. Diesen Umsatz will sich niemand entgehen lassen. Gezielte Männeransprache fällt da eher runter.

Obwohl die Entscheider im E-Commerce weiterhin vornehmlich Männer sind?
Miriam Wohlfarth: Ja, das führt mitunter zu amüsanten Diskrepanzen. Wir haben zum Beispiel einen grossen Kunden, der Luxushandtaschen mit Ratenkauf anbietet. Wenn ich Männern von diesem Geschäftsmodell erzähle, treffe ich meistens auf ungläubiges Unverständnis. Sie können sich einfach nicht vorstellen, dass Frauen eine teure Handtasche auf Raten kaufen würden - obwohl sich so mancher Mann teure Alufelgen auf Raten kauft, was vielleicht wiederum Frauen wenig eingängig ist.  

Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern ziehen sich also bis in die präferierten Zahlungsweisen hinein?
Wohlfarth: Auf jeden Fall, da sind sich die Payment-Studien einig. Männer bevorzugen Zahlungsmethoden wie Paypal und Lastschrift, Frauen kaufen lieber per Rechnung. Frauen sind sicherheitsbewusster, Männer wollen eher schnell etwas erledigt haben.

Welche anderen Unterschiede zwischen den Geschlechtern lassen sich beim Shopping-Verhalten denn noch ausmachen?
Bösch: Der Hauptunterschied liegt meines Erachtens nach in der Herangehensweise. Ein Mann hat ein klares Ziel, eine To-do-Liste, die abgearbeitet werden muss. Dafür geht der durchschnittliche deutsche Mann zweimal im Jahr einkaufen, investiert ­dafür irgendwas zwischen einer halben Stunde und einer Stunde, und danach ist die Liste abgearbeitet und der Einkauf erst mal wieder erledigt. Frauen gehen da ganz anders vor. Dementsprechend ergeben sich auch ganz andere Präferenzen, was das Thema Service, Produktdarstellung oder auch Produktvielfalt angeht. Unser Kunde will gar nicht konfrontiert werden mit Zehntausenden von Optionen. Der will einfach seine zehn bis zwölf Teile ­haben und daraus entscheiden können. Ausserdem sind Männer sehr viel offener für Beratung und Unterstützung als ­Frauen, zumindest im Modebereich.
Majer: Ja, gerade in Sachen Mode sind Frauen eher selbst proaktiv, wollen selbst entdecken und entscheiden. Bei Catchys stellen wir ausserdem immer wieder fest: Frauen sind die gewiefteren Schnäppchenjäger und viel eher bereit, über die Preise zu verhandeln. Im Secondhand-Bereich gilt ausserdem: Auch beim Verkaufen sind Frauen deutlich aktiver als Männer.
Versteege: Das deckt sich mit unseren Erkenntnissen: Die Frau berücksichtigt viel mehr Aspekte beim Einkauf. Zudem kauft sie nicht nur für sich, sondern auch für den Mann, für die Kinder, für Freunde und Kolleginnen - deren zusätzliche Präferenzen spielen beim Einkaufen immer eine Rolle. Ausserdem setzen Frauen ein Produkt immer in einen grösseren Kontext. Da ist eben nicht nur die Farbe einer Handtasche relevant, sondern auch zu welchem Outfit sie in welchen Anwendungssituationen passt. Es spielen einfach viel mehr Aspekte in den Kaufprozess ­hinein, weshalb der Kaufprozess der Frau im Durchschnitt deutlich länger dauert als der des Mannes.

Wollen Frauen also im Umkehrschluss die grosse Auswahl des kompletten Sortiments, während Männer eine Kuratierung brauchen?
Versteege: Das würde ich so nicht unterschreiben. Julia sagte, dass Männer nicht mit einer Auswahl von Zehntausenden Produkten konfrontiert werden wollen - aber uns mutet man das zu! Wenn man als Neukundin in einen Shop kommt, gibt es meistens keinerlei Kuratierung - da sind dann auch Frauen überfordert.
Onaran: Ich finde schon, dass Frauen mittlerweile besser abgeholt werden. Curated Shopping für Frauen nimmt zu und ­gewinnt an Bedeutung und an Akzeptanz. Es gibt ja nicht nur Kisura, sondern auch andere Anbieter, die beispielsweise nach Hause kommen und vor dem offenen Kleiderschrank beraten. Geschlechter­übergreifend wird Einkaufen im Internet zielgerichteter.

Also sind Personal Feeds für alle der ­nächste Evolutionsschritt nach der geschlechterspezifischen Ansprache?
Versteege: Ich würde eher sagen: Sie sind eine Ausprägung davon. Ein Personal Feed ist eine Stöberfunktion, in der die Produkte zumindest auf mich zugeschnitten sind. Die meisten Kunden sind von der Riesenauswahl im Internet überfordert und wollen eben doch die Beratungsleistung, die sagt: "Das ist gut für Dich". Aber man darf die Stöberfunktion nicht ganz rausnehmen, sonst fühlen sich die Frauen bevormundet.
Majer: Sehe ich ähnlich. Ich denke, es wird in Zukunft in Richtung Shoppable Content gehen: Man holt sich die Inspiration, aber man bleibt selbstbestimmt und proaktiv. Es reicht einer Frau nicht, wenn sie einfach etwas vorgesetzt bekommt, das ihr zu ­gefallen hat. Sie will trotzdem noch die grosse Auswahl haben. Es muss also eine Kombination aus beidem sein - beispielsweise in Form eines Online-Magazins, das verschiedene Looks vorstellt, die man dann direkt nachshoppen kann. Aber sobald man die einzelnen Produkte anklickt, finden sich unten alle Produkte zur Auswahl.
Bösch: Und da liegt der Unterschied zwischen den Geschlechtern, denke ich. Auch der Mann will natürlich am Ende die ­letzte Entscheidung haben, das ist ganz wichtig. Aber Frauen investieren wesentlich mehr Zeit, sich selbst zu informieren, zu stöbern, Produkte zu entdecken. Männer sind einfach nicht interessiert daran, so viel Zeit in diesen Prozess zu stecken.




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