Online-Handel 19.08.2015, 17:31 Uhr

Eigenmarken: Abheben von der Konkurrenz

Immer mehr Online-Händler versuchen, sich durch Eigenmarken der Vergleichbarkeit im Web ein Stück weit zu entziehen. Das macht viel Arbeit, bringt aber auch Erfolg.
Horizn Studios Konzept
(Quelle: www.horizn-studios.com)
Bei Florian Heinemann ist die Beschäftigung mit dem Thema Eigenmarken die Folge nüchterner Mathematik: "Wenn Sie die Ambition haben, eine gewisse ­Umsatzflughöhe als Vermarkter zu erreichen, wird das rein margentechnisch mit einem reinen Drittmarkenportfolio relativ schwer", sagt der Geschäftsführer Marketing des Berliner Inkubators Project A Ventures.
Da Drittmarken überall verfügbar und der Wettbewerb gut zu vergleichen ist, können Anbieter nur über den Preis verkaufen. Das mag im kleinen einstelligen Millionen­umsatzbereich und mit Drittmarken, die noch nicht so im Fokus stehen, funktionieren, doch mit solchen Summen hält sich der Investor gar nicht erst auf.
Der neue Ableger Project A Brand Ventures soll den Aufbau vertikal integrierter Eigenmarken vorantreiben.
Das erste Baby erblickte vor einigen Wochen das Licht der Welt: Unter der Marke "Horizn Studios" sollen Taschen und Reisegepäck mit "Smart Services" auf den Markt gebracht werden. Und weitere Babys sind schon im Brutkasten.
"Vertikal integrierte Eigenmarken sind wahrscheinlich eines der wenigen VC-tauglichen ­E-Commerce-Segmente", ist Heinemann überzeugt - in der Welt der Stationärläden von gestern keine neue Erkenntnis: 41,3 Prozent des gesamten Einzelhandelsumsatzes, so analysierte die Unternehmensberatung Bain & Company, entfielen im vergangenen Jahr auf Handelsmarken.

Kritische Grösse ist wichtig für Eigenmarken

Den meisten Online-Händlern fehlte bisher ­jedoch die kritische Grösse, um Eigenmarken in solchen Stückzahlen zu produzieren, dass die Hersteller vernünftige Preise berechnen können. ­Ausserdem verfügen viele auch erst jetzt über statistisch relevante Datenmengen, um aus ihnen ableiten zu können, welche Produkte sich die Kunden überhaupt wünschen.
Diese Hürden haben mittlerweile allerdings eine Reihe von Webhändlern genommen: So begann der Berliner Modeversender Zalando bereits vor fünf Jahren damit, Eigen­marken zu produzieren. Der Tierbedarfversender Zooplus erzielt mit Handelsmarken wie Rocco, Smilla und Lukullus inzwischen acht Prozent seines Gesamtumsatzes und auch beim Online-Möbelhändler Home24 sind die Eigenmarken laut Geschäftsführer ­Domenico Cipolla im Hinblick auf die Umsatzperformance, aber auch die Investments einer der dynamischsten Bereiche.
"Uns geht es darum, nicht nur ein Händler zu sein, sondern zunehmend auch unsere eigene Produkt- und Designkompetenz auszubauen", erklärt Cipolla. So entwickelte das Home24-Team mit "Smood" eine eigene ­Matratze und mit "Kinx" ein Boxspringbett. Beide Produkte können qualitativ mit Markenprodukten mithalten, sind aber trotzdem preislich attraktiver als vieles, was wir auf dem Markt gesehen haben", so der Home24-Chef.
Jüngstes Eigenmarkenprojekt ist eine ­Möbelkollektion, die die deutsche Moderatorin Johanna Klum für Home24 ­kreiert hat. Erste Absatzzahlen lassen erwarten, dass das Projekt ein Erfolg werden könnte - auch, weil Home24 es versteht, via Content Marketing eine Geschichte zu den Produkten zu erzählen.

Aufbau einer Eigenmarke durch Content Marketing

Für Florian Heinemann von A Ventures ist dies eines der Erfolgskriterien. "Eine Eigenmarke zu launchen reicht nicht", ist er überzeugt. Wer nicht den Anspruch hat, eine ­gewisse Profilierung zu erzielen, ­profitiere nur von einmaligen Cross-Selling-Vorteilen, weil das eigene Produkt fünf Euro ­weniger kostet als das Markenprodukt.
Stattdessen sollten Händler daran arbeiten ein Produkt zu entwerfen, das eine gute Qualität und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis hat, und dann ein Storytelling entwickeln, das die Marke emotional auflädt. Das bewirke, dass die Leute wiederkommen und generiere einen Lifetime-Value.
Was sich so einfach anhört, ist aber auch die grösste Herausforderung bei der gesamten Operation. Dass selbst E-Commerce-Riesen hier nicht vor Misserfolg gefeit sind, zeigt das Beispiel Amazon: Die Amerikaner mussten ihre eigene Windelmarke Elements wieder zurückziehen, weil sich Kunden im Social Web lauthals über die Qualität beschwerten. Das ist nicht nur auf Produktebene ärgerlich, es schadet auch dem Markenimage von Amazon allgemein.
Für den Markenprofi Hermann Sievers, der seit 23 Jahren im Bereich Handelsmarketing aktiv ist, kam dies nicht überraschend: "Ich muss als Händler eine Kompetenz für mein Produktfeld haben. Aber Amazon steht für ­alles und nichts und Windeln sind ein sehr sensibler Bereich, wo es um Vertrauen geht", sagt er. Wäre Amazon zu ihm gekommen, hätte Sievers eher zu Commodities-Eigenmarken wie ­Toilettenpapier, H-Milch oder Konfitüre geraten.
Bei Florian Heinemann entscheidet nicht das Bauchgefühl über die Weiterentwicklung ­einer Eigenmarke, sondern der Rechenschieber und ganz rigoros ein Key-Performance-Indicator (KPI)-Set. Testmärkte wie Facebook oder der Amazon-Marktplatz zeigen, ob eine Produktkonfiguration von den Kunden überhaupt angenommen wird.
Erst dann wird mehr in Media investiert. "Der Pitch ist nicht, jedes Mal zu treffen. Unser Pitch ist, relativ schnell zu iterieren und relativ schnell herauszufinden, wenn wir auf dem Holzweg sind", sagt der Investor, "aber genau darin sehen wir ja unsere Kompetenz, dass wir Predic­tive Analytics praktisch umsetzen können."
Nu3 Low-Carb Spaghetti
Nicht jedes Produkt unter der Eigenmarke Nu3 funktioniert. KPIs helfen bei der Einschätzung
Quelle: Nu3
Läuft es gut, kostet solch ein Projekt anfänglich 50.000 bis 100.000 Euro. Danach wird so lange am Produktdesign gefeilt, bis Response und Kundenverhalten gut sind - und erst dann wird der nächste Schritt ­getan. "Das ist bei unseren vertikal integrierten Marken genauso wie bei den Eigenmarken bei unserem Nahrungsergänzungsmittel-Versender Nu3", erklärt Heinemann. Henning Pröpper, Mitgeschäftsführer von Off Price, der unter anderem den Künstlerbedarf-Shop Staffeleien-shop.de betreibt, ging ähnlich vor: Die Produkte werden auf Amazon oder Ebay getestet und bei entsprechender Nachfrage produziert.

Amazon: Aufbau von Eigenmarken statt Preiskampf

Erfolgreichste Eigenmarke ist das Label Artina, unter dem vom Keilrahmen über Farbe bis zum Pinsel der gesamte Künstlerbedarf abdeckt wird. "Es ist nicht schnell. Sie brauchen Extrageld. Aber es lohnt sich", zieht Pröpper auf dem Pixi-User-Treffen Bilanz. Er profitiere von ­einer höheren Wertschöpfung, mehr Flexibilität bei der Lieferantenwahl, einer besseren Sichtbarkeit und einer Stärkung der eigenen Corporate Identity.
Bei Amazon liefert sich Pröpper keinen Preiskampf mit der Konkurrenz mehr, sondern baut gezielt seine Eigenmarke auf: "Amazons Vermerk 'hergestellt von' ist beispielsweise ein perfekter Punkt, um die Marke zu transportieren", weiss er. Und wer bei Amazon nach "Leinwand" sucht und die Suche über den Markenfilter eingrenzt, sieht "Artina" an erster Stelle. Dass Amazon Marken alphabetisch sortiert, hat Pröpper bei der Namensfindung gezielt berücksichtigt, steht also nicht zufällig ganz oben.




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