Amazon und die Hersteller 02.01.2020, 07:14 Uhr

Die Beziehungskrise: Wie Marken mit Amazon umgehen

Markenhersteller und Amazon verbindet seit Jahren eine Hassliebe. Führt der aktuelle Trend zum Direct-to-Consumer-Handel Brands aus der Abhängigkeit?
(Quelle: Shutterstock / Burhanuddin )
Am Cyber Monday war der Online Shop von Nike ganz auf Abverkauf getrimmt: 15 Prozent Rabatt räumte der Sportartikelhersteller seinen Kunden auf alle nicht ­reduzierten Artikel ein. Mit dieser Preisminderung bewegte sich Nike zumindest in die Nähe des im Netz üblichen Pricing für Nike-Produkte - und setzte seinen Online Shop damit gezielt auf die Landkarte von online shoppenden Markenfans. 
Rund zwei Wochen zuvor hatte die Sportmarke das Ende ihrer Partnerschaft mit Amazon bekannt gegeben. Zwei Jahre lang hatte Nike als Vendor einige seiner Produkte an Amazon geliefert; das Pilotprojekt war damals als prestigeträchtiger Erfolg für Amazon gewertet worden. 
Doch Nikes neuer CEO John Donahoe - der zuvor sieben Jahre lang als Präsident und Vorstandsvorsitzender die Geschicke von eBay geführt hatte - sieht die Zukunft seines Unternehmens offenbar anderswo. "Als Teil von Nikes Schwerpunkt auf einer Steigerung der Kundenzufriedenheit durch direktere, persönlichere Beziehungen ­haben wir uns entschieden, unser aktuelles Pilotprojekt mit Amazon Retail abzuschliessen", kommentierte die Nike-Presse­stelle den Amazon-Ausstieg. 
Tatsächlich gehört das Direct-to-Consumer(DTC)-Geschäft unter anderem über den Online Shop Nike.com zu den am schnellsten wachsenden Bereichen des Unternehmens. Im Geschäftsjahr 2019 stieg der Umsatz von Nike Direct währungsbereinigt um 16 Prozent auf 11,8 Mrd. US-Dollar. 30 Prozent von Nikes Gesamtumsatz kommen aus dem DTC-Geschäft. 
Kaum eine Woche später kam der ­nächste Schlag für Amazon: Ikea ­beendete den Direktverkauf seiner Produkte auf Amazon.com, ebenfalls das Ende eines kurzen Gastspiels auf der Plattform. Die schwedische Möbelhauskette gab keine Gründe für den Rückzug an, stellte aber klar, dass man weiterhin offen für Kooperationen mit Dritthändlern sei. Nur wie es scheint aktuell nicht für Amazon. 
Seither warten Marken-Experten ­gespannt, ob sich die beiden Ereignisse zu einem Trend auswachsen und noch mehr Marken Amazon den Rücken kehren. Ist Amazon auf einmal nicht mehr das "coole Kind, mit dem alle spielen wollen", wie das US-Marketing-Portal "The Drum" es ausdrückte?

Birkenstock, Klappe die zweite

Die Debatte ist nicht neu: Vor zwei Jahren verabschiedete sich die Schuhmarke Birkenstock, genervt von einer aus Sicht des Unternehmens unzureichenden Anti-Fraud-Strategie, lautstark von Amazon. Schon damals brach eine Diskussion um die Frage los, ob Marken ohne Amazon in einer amazonisierten Welt überhaupt ­lebensfähig sind - und ob ein Rückzug von der grössten E-Commerce-Plattform der Welt mehr sein kann als ein Feigenblatt für die Unternehmenswürde. Schliesslich ­erzielt eine Suche auf Amazon.de nach "Birkenstock" über 5.000 Treffer - der Schuhhersteller ist also auf Amazon durchaus prominent vertreten. Ohne dessen Zutun - und ohne Einfluss darauf, was mit der Marke auf Amazon passiert. 
Ist ein Leben also für Marken ohne Amazon überhaupt möglich? Können Brands darauf verzichten, einen so entscheidenden Vertriebskanal zu bespielen - und damit die unvermeidliche Präsenz und Darstellung ihrer Produkte auf diesem Kanal anderen zu überlassen? "Grosse Marken, so wie Nike und Ikea, sind auf die Reichweite von Amazon tatsächlich nicht angewiesen", meint Marcel Brindöpke, der nach jahrelanger Mitarbeit bei Otto.de jetzt mit seiner eigenen Firma Heyconnect Hersteller und Händler bei der Entwicklung einer Plattformstrategie unterstützt. "Denen fällt es relativ leicht, sich von der Plattform zurückzuziehen, weil die Kunden sie aufgrund ihrer Strahlkraft aktiv aufsuchen. Unter einem gewissen Bekanntheitsgrad ist es für Marken aber schwierig bis unmöglich, vollständig auf Amazon zu verzichten."

Abhängigkeit von Amazon

Das hat vor allem wirtschaftliche Gründe: Ähnlich wie viele Händler, die einen Grossteil ihres Umsatzes auf Amazon ­erwirtschaften, sind auch viele mittelständische Hersteller von dem Marktplatz-Riesen abhängig. Hier hat sich an der Grundkonzeption der Beziehung von Hersteller und Verkaufsplattform wenig geändert: Realisierten Marken früher den grössten Teil ihres Umsatzes über den Verkauf bei einer stationären Handelskette, so nimmt eben heute Amazon den Part des mit Abstand wichtigsten Handelspartners ein - mit allen Folgen. "Die Plattform kann die Bedingungen diktieren, beispielsweise indem sie Liefermengen oder -zeiträume und Rücknahmebedinungen festlegt oder die Konditionen zu ihren Gunsten festschreibt", so Brindöpke. "Die Hersteller haben kaum eine Wahl und müssen dort sein, wo die Kunden sind - oder sie müssen den schmerzhaften Umsatzeinbruch in Kauf nehmen."
In der Folge hat sich die Sichtweise auf Amazon bei vielen Herstellern gewandelt: Dass ihre Marke auf Amazon präsent ist, damit haben sich viele Hersteller mittlerweile abgefunden - aber von einer echten Liebesbeziehung kann man in den meisten Fällen kaum sprechen, auch weil die Bedingungen für Hersteller wie Händler durch den gnadenlosen Konkurrenzkampf immer härter werden. "Der klassische Hersteller, der Produkte regional vertreibt, muss plötzlich auf Amazon Platzierungen kaufen, um seine Markenware oben in den Listings zu platzieren", fasste E-Commerce-Berater Alexander Graf die Lage vieler mittelständischer Brands im OMR-Podcast zusammen. "Ich kenne keinen Hersteller, der seine Abhängigkeit von Amazon erhöhen will. Die verdienen da keine Marge."
Ein schönes Beispiel für Grafs Argument: Kaum hatte sich Nike aus dem Vendor-Programm zurückgezogen, fand sich unter dem Suchbegriff "Nike" auf Amazon auf Platz eins der Suchergebnisse eine Sponsored-Product-Anzeige des Konkurrenten Reebok.

Amazon bemüht sich um mehr Transparenz

Ein weiterer Kritikpunkt vieler Hersteller an Amazon: Lange Jahre fand der Marktplatz kein probates Mittel gegen Produktfälscher. Fakes standen Seite an Seite mit Originalprodukten der Hersteller; und durch die gemeinsame Lagerhaltung in den FBA-Lagern konnte es durchaus passieren, dass Kunden bei einer Bestellung beim Originalhersteller ein gefälschtes Produkt zugestellt bekamen. Nach jahrelangen Klagen hat Amazon Mitte 2019 das "Transparency Program" auf den Markt gebracht. "Dabei werden einmalige Produktcodes als QR-Code am Produkt angebracht, um das Produkt in der Supply Chain als echt zu identifizieren", erklärt Klaus Forsthofer von der Marktplatz-Beratung Markplatz1 das System. "Kein Lager, Transporteur oder Kunde soll mehr Produkte annehmen, die nicht über so einen Code als echt verifiziert werden können. Damit gibt Amazon Markeninhabern eine starke Waffe an die Hand, um sich vor illegalen Produktkopien beziehungsweise nicht legalen Importen zu schützen."
Für Forsthofer ist das Transparency Program nur ein Anzeichen dafür, dass Amazon die Klagen der Hersteller ernst nimmt. Ebenfalls gab Amazon mit dem neuen Tool "Brand Analytics" Händlern und Herstellern mehr Einblick in den Datenschatz des Marktplatzes; soziodemografische Käuferstruktur, kategoriespezifische Umsatz- und Klickzahlen sowie Vergleichsprodukte können damit eingesehen werden. "Mit Brand Analytics wird Amazon zum Marktforschungsinstitut, das Seller und Vendoren für ihr Geschäft nutzen können - kostenlos", so Forsthofer. Auch hier reagiert Amazon auf die Kritik seiner Partner, der Marktplatz würde nur den Umsatz an die Verkäufer weitergeben - nicht aber den immer wichtiger werdenden Datenschatz. Ob der Vorstoss grosse Marken davon abhalten wird, Amazon den ­Rücken zu kehren, bleibt abzuwarten.



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