Transformation von analog nach digital

Tipps für Digitalisierer

Schliesslich müssen Unternehmen, die digitale Geschäftsprozesse entwickeln wollen, dafür Sorge tragen, dass die internen Rahmenbedingungen stimmen, so Nils Vieth, Chief Innovation Architect bei SAP: «Digitale Labs und Units zeigen oft nicht den erhofften Erfolg, denn sie werden immer wieder von bestehenden Einheiten als Bedrohung des Status quo angesehen und behindert», spricht er einen neuralgischen Punkt an. Das heisst, Mitarbeiter und Fachbereichsleiter lassen neuartige Ansätze bewusst an die Wand fahren, um ihre eigene Position abzusichern.
Vieth rät: «Kein Plan B, keine Politik, dafür eine ausgeprägte Fehlerkultur und optimale Prozesse, bei denen bestehende Strukturen keine Rolle spielen.»
Eine solche stringente Vorgehensweise setze jedoch voraus, dass Geschäftsführung und Abteilungsleiter die Entwicklung digitaler Ansätze zur Chefsache erklären und unterstützen. Ein Konzept à la «Wir digitalisieren jetzt mal ein bisschen und sehen zu, was dabei herauskommt» sei nicht förderlich.
Eine ähnliche Sichtweise vertritt Raid Naim, Head of Digital Transformation beim Software-Haus Futurice: «Wollen Unternehmen digital erfolgreich sein, dürfen sie sich heute nicht mehr auf Schätzungen verlassen», so der Manager. «Datengetriebene Ansätze helfen dabei, neue Modelle zu validieren und weiterzuentwickeln. Wichtig ist jedoch bei aller Experimentierlust auch, dass die Geschäftsführung geschlossen hinter dem Digitalisierungsvorhaben steht.»

Plattformen zur Integration

Für Kay Müller-Jones von TCS spielt zudem ein technischer Gesichtspunkt eine wesentliche Rolle: «Ein entscheidender Erfolgsfaktor für datenbasierte Geschäftsmodelle ist die Nutzung von Plattformen, mit denen ein Hersteller sein Produkt in eine vorhandene Umgebung integrieren kann.» Durch diese Anbindung profitierten Unternehmen von der Speicherung und Analyse von Daten in der Cloud sowie von Apps, mit denen sie ihren Kunden digitale und datenbasierte Lösungen anbieten könnten.
Müller-Jones betont noch einen anderen Aspekt: «Die Time-to-Market, also die zeitnahe und anforderungsgerechte Umsetzung von digitalen Geschäftsmodellen, benötigt ausserdem eine enge und kontinuierliche Abstimmung von Fachabteilungen und der IT. Unternehmen sollten hier insbesondere den Nutzen agiler Methoden prüfen.»
Einig sind sich alle Digitalisierungs­experten in einem weiteren Punkt: Zu den wichtigsten Faktoren, die über den Erfolg digitaler Geschäftsmodelle entscheiden, zählt die Fokussierung auf die Anforderungen von Kunden. Das ist eine Abkehr von dem bislang gültigen Paradigma, das die Produkte in den Mittelpunkt stellte. Für so manche altgedienten Geschäftsführer, Vertriebsprofis und Produktdesigner bedeutet dies sicher eine Art Kulturschock.
Doch eine Alternative gibt es einfach nicht, es sei denn, ein Unternehmen möchte das Risiko in Kauf nehmen, von seinen Mitbewerbern abgehängt und vom Markt verdrängt zu werden.
Formen digitaler Geschäftsmodelle
In der Praxis haben sich mehrere Ansätze etabliert, mit denen Unternehmen digitale Geschäfte aufbauen und betreiben können. Gennaro Cuofano, Betreiber der Weiterbildungsplattform FourWeekMBA, skizziert die wichtigsten Modelle und ihre wesentlichen Eigenschaften.
Kostenlose Angebote (Free): Diese Strategie ist so alt wie das Internet selbst. Bereits die ersten Anbieter von Internetbrowsern wie Netscape verwendeten es. Auch Facebook und Google setzen auf kostenlose ServicesPrivate Business Cloud. Es gibt mehrere Spielarten. Eine Variante ist das asymmetrische Modell: Nutzer erhalten einen Service kostenlos, der Anbieter bezahlt dafür einen Dienstleister. Auch Open-Source-Software wie Linux-Distributionen und Office-Pakete wie Libreoffice sind frei verfügbar.
Freemium-Offerten: Die Basisversion eines digitalen Produkts ist kostenlos, eine Premium-Ausgabe mit erweiterten Funktionen kostet Geld. Diesen Weg gehen viele Anbieter von Apps für Mobilsysteme und Gaming-Plattformen. Auch Services wie die Cloud-Speicherplattform Dropbox, Job-Boards wie LinkedIn und Xing sowie Musik-Streaming-Dienste wie Spotify setzen auf Freemium. Wichtig ist dabei, dass der Anbieter über eine große Nutzerbasis und eine tragfähige technologische Infrastruktur verfügt. Zudem sind effektive Konversionsprozesse notwendig, um Nutzer zu zahlenden Kunden zu machen.
Subskriptionsbasierte Modelle: Der Abo-Ansatz ist nicht nur Konsumenten bekannt, etwa über Streaming-Dienste wie Netflix und Amazon Prime sowie Online-Dating-Plattformen wie Parship. Auch Unternehmen nutzen solche Modelle, etwa wenn sie Office als Service von einem Cloud-Service-Provider wie Microsoft beziehen. Zu den Vorteilen eines Abo-Modells zählen konstante, berechenbare Einkünfte durch die Abonnementzahlungen und ein überschaubarer Marketingaufwand. Allerdings können die Initialkosten beträchtlich sein, etwa für den Aufbau der IT-Infrastruktur und eines Verkaufskanals. Zudem ist es wichtig, die Nutzererfahrung (Customer Experience) permanent zu optimieren. Sonst wandern Kunden schnell zu Mitbewerbern ab.
On-Demand- und Pay-per-Use-Services: Sie etablieren sich nicht nur im Konsumbereich, sondern zunehmend auch in Handel und Industrie. Ein Beispiel: Ein Anbieter von Werkzeugmaschinen berechnet dem Kunden die Nutzung und Wartung der Systeme auf Basis der Stückzahlen, die dieser damit produziert. Auch das Geschäftsmodell von Transportdienstleistern wie Uber und Lyft basiert auf On-Demand. In diesem Fall wird über eine Online-Plattform eine Verbindung zwischen dem Anbieter und dem Nutzer der Transportmöglichkeit hergestellt. Beim On-Demand-Modell sind mehrere Abrechnungsverfahren denkbar, etwa als Abo oder in Form einer individuellen Bezahlung pro Transaktion.
Peer-to-Peer-Online-Plattformen: Das sind Plattformen, über die zwei Geschäftspartner eine Transaktion abwickeln, die Produkte betreffen kann, aber auch Dienstleistungen. Ein Beispiel aus dem Konsumsektor ist Etsy. Der Marktplatz vermittelt Kontakte zwischen den Anbietern und Käufern von «einzigartigen und kreativen Waren». Es gibt kein Warenlager wie bei Amazon. Vielmehr forciert Etsy den Gedanken einer Community. Ein ähn­liches Modell verfolgt Airbnb beim Vermitteln von Privatunterkünften. Peer-to-Peer-Plattformen verwenden häufig dynamische Preismodelle. Sie orientieren sich an der aktuellen Nachfrage und den adressierten Zielgruppen.
E-Commerce-Plattformen: Vereinfacht gesagt ist dies der elek­tronische Handel mit physischen Waren. Ein Vorreiter war Amazon.com. In Deutschland kaufen nach Angaben des Digitalverbands Bitkom 80 Prozent der Bundesbürger über 14 Jahre online ein. Unternehmen wie der Modehändler Zalando setzen komplett auf Online-Vermarktung, andere, etwa der Elektronik-Spezialist Conrad, auf einen Mix aus Ladengeschäften und E-Commerce. Teils kommen dabei eigene Plattformen zum Zuge, teils werden Shops von Drittanbietern wie Amazon und Ebay genutzt.
Eine Herausforderung für den stationären Handel besteht da­rin, angepasste Geschäftsmodelle für die Online-Welt zu finden. Ein Beispiel dafür ist der Online-Handel mit Lebensmitteln: Ihm wird großes Potenzial zugetraut, doch stagnierte er laut Bitkom in den vergangenen Jahren, unter anderem weil Verbraucher Bedenken bezüglich der Frische der Waren haben und die Liefermodalitäten zu kompliziert sind.
Vermarktung von Daten: Vorreiter sind Facebook, Google und Amazon. Sie vermarkten zielgruppengerechte Anzeigen und stellen ihren Geschäftspartnern teilweise Daten von Nutzern zur Verfügung. Speziell Facebook ist deswegen mehrfach mit Datenschutzbehörden in Konflikt geraten und wurde jüngst von der Federal Trade Commission (FTC) mit einer Strafzahlung von 5 Milliarden Dollar belegt.
Auch im B2B-Bereich ist eine Datenvermarktung denkbar, etwa durch die Hersteller von Produktionssystemen oder die Betreiber von IoT-Plattformen. Sie können Daten der Systeme, die bei ihren Kunden im Einsatz sind, analysieren und daraus Optimierungsoptionen ableiten. Diese Informationen lassen sich gegen Bezahlung allen Nutzern zur Verfügung stellen, die solche Systeme in vergleichbaren Szenarien verwenden.




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