Thomas Duhr im Interview 28.09.2020, 03:33 Uhr

"Datenschutz-Diskussion kann die Digitalwirtschaft lähmen"

Das Top-Thema der Digitalwirtschaft ist und bleibt der Datenschutz. Das betont Thomas Duhr, Vizepräsident des BVDW, im Interview. Ein Gespräch über Lobbyarbeit, die Macht der grossen Plattformen und die Frage, warum ein Digitalministerium nach wie vor wichtig wäre.
Thomas Duhr, Vizepräsident des BVDW
(Quelle: IP Deutschland)
Herr Duhr, Sie sind Vizepräsident im BVDW und dort für die Bereiche Bereiche Daten, Technologie, Politik und Internationales zuständig, Wie können wir uns das vorstellen? Kennen Sie Sven Scheuer persönlich oder gehen Sie mit Dorothée Bär auch mal zum Mittagessen, um Ihre Positionen klarzumachen?
Duhr:
Der Alltag sieht ein wenig anders aus. Zuerst muss man einmal auf Gremienebene zu einer gemeinsamen Position aller Markteilnehmer kommen, damit man einen übergreifenden Standpunkt der Digitalwirtschaft in Deutschland überhaupt vertreten kann. Das ist vor allem internes Management. Hier muss man  ausgleichend agieren und ein übereinstimmendes Meinungsbild zu Fragestellungen des Datenschutzes, des Wettbewerbsrechts, zu anstehenden europäischen Regulierungen und Vorhaben herstellen. Das ist durchaus ambitioniert. Diese Positionen muss man dann im Rahmen von Stellungnahmen, Hearings, Roundtables mit Ministerien, aber auch in persönlichen Terminen vertreten.

Das klingt so, als müsste man sehr langfristig denken und alle Teilnehmer um Geduld bitten, weil es dauert, bis es zu einer Entscheidung kommt.
Duhr: Das ist so. Wir reden über langfristige Prozesse. Da geht es nicht um jugendliches Voranmarschieren, sondern um perspektivisches Denken. Jedes Gesetzgebungsverfahren in Deutschland ist mehrstufig und die Verfahren auf europäischer Ebene sind auf mehr als nur ein Jahr ausgelegt. Der Werdegang der Datenschutzgrundverordnung oder der E-Privacy-Verordnung sind da treffliche Beispiele. Und zwischendurch gibt es immer wieder Veränderungen, weshalb man sich mit den einzelnen Themen durchaus zwischen zwei und vier Jahren auf allen möglichen Ebenen befasst.

"Digital Services Act wird uns Jahre beschäftigen"

Was ist denn das derzeit heisseste Thema?
Duhr: Das heisseste Thema aus unserer Sicht ist und bleibt die Datenschutzgrundverordnung in Kombination mit der E-Privacy-Verordnung. Beispielsweise wurde vor kurzem an der ein oder anderen Stelle über ein grundsätzliches Verbot von Cookies gesprochen, was zeigt, dass man auf allen Ebenen Deutschlands nicht in der Lage ist, zu differenzieren was eigentlich Digitalwirtschaft bedeutet. Wir reden immer noch über unterschiedliche Auslegungen der DSGVO und wir diskutieren immer noch darüber, wie sich die E-Privacy-Verordnung entwickeln soll, deren erster Entwurf ja bereits seit Januar 2018 vorliegt. Es geht jetzt darum, eine Harmonisierung zwischen DSGVO und E-Privacy-Verordnung herzustellen. Dieses Thema ist überfällig. Denn es kann nicht nur das Leben der Digitalwirtschaft in Deutschland lähmen, sondern auch den Aufsichtsbehörden und anderen Marktteilnehmern das Leben erschweren.

Weitere aktuelle Themen, die dem BVDW am Herzen liegen?
Duhr: Das nächste grosse Thema der EU ist aus unserer Sicht der Digital Services Act. Hier sollen Regelwerke für Plattformen gefunden werden. Das steht jetzt auf der Agenda der Europäischen Kommission und wird uns die nächsten Jahre beschäftigen. Und vor kurzem kehrte ein altes Thema wieder zurück: das Thema der Digitalsteuer.

Ein Satz von Ihnen lautet: "Falsch verstandener Datenschutz hilft nur wenigen. Er verstärkt vielmehr die Abhängigkeit ganzer Volkswirtschaften." Was bedeutet das?
Duhr: Datenschutzbehörden und datensicherheitsbewusste Mitbürger haben leider einen Teufelskreis in Bewegung gesetzt. Das heisst: Mit unseren Bemühungen, die Datenschutzkonformität der nationalen Marktteilnehmer verstärkt zu beleuchten, haben wir einen Kreislauf in Bewegung gebracht, der den grösseren Plattformen in die Hände spielt: sowohl den Browserbetreibern als auch den grossen Plattformanbietern. Damit drohen Abhängigkeiten von Plattformen und Browser-Technologien. Es gelingt Unternehmen wie Apple mit Safari oder Alphabet mit Google Chrome aber auch Firefox zunehmend, die Betreiber digitaler Geschäftsmodelle und digitaler Wertschöpfungsketten von der Erhebung von Daten abzuschneiden oder diese technisch zu reglementieren. Ähnliches sehen wir im Bereich des mobilen Internets auf der Ebene der Betriebssysteme. Viele Massnahmen werden von den oligopolistisch agierenden Marktteilnehmern unter der Massgabe verkündet, dass es um Datenschutz der Nutzer geht. Gleichwohl führt es dazu, dass Märkte zunehmend von wenigen Technologie-Regulatoren und weniger politischen Regulatoren dominiert werden. Wir enden also in technokratisch orientierten Wertesystemen.

"Wir haben nationale Heroes im E-Commerce"

Das alles sind sehr komplexe wirtschaftliche und rechtliche Fragestellungen. Eigentlich sind Sie aber Molekularbiologe mit einem Master of Science. Haben Sie damit einen anderen Blick auf diese Entwicklungen als beispielsweise ein Jurist?
Duhr: Ich glaube schon. Ich bin ja auch Betriebswirt, was dazu führt, dass ich auch mit juristischen Sachverhalten umgehen kann. Ich habe also gelernt, aus zwei Perspektiven auf ein Thema zu schauen - aus einer naturwissenschaftlich-analytischen und einer wirtschaftswissenschaftlich-analytischen. Die jeweiligen Modellannahmen unterscheiden sich da fundamental. Das hat mir in meinem Werdegang sicherlich geholfen.

Sie befassen sich jetzt seit 1996 beruflich mit dem Internet. Was sind denn für Sie die grössten Überraschungen der letzten 25 Jahre?

Duhr: Die grösste Überraschung ist sicher, dass es uns in Deutschland gelungen ist, eine funktionale Digitalwirtschaft zu entwickeln. Wir haben bei den Inhalten, der Vermarktung, der Agenturen, im E-Commerce durchaus nationale Heroes und gesunde Marktstrukturen. Das unterscheidet uns von einigen anderen  Ländern. Das ist eine grandiose Leistung vor allem vor dem Hintergrund, mit welch schwierigen rechtlichen Rahmenbedingungen wir zu kämpfen haben.

"Es fehlt eine vernünftige digitale Infrastruktur in Schulen"

Lange hat der BVDW einen Digitalminister gefordert. Hat sich diese Forderung inzwischen überlebt?
Duhr: Mit dieser Forderung waren wir einer der ersten in Deutschland. Inzwischen hat sich viel getan. Aber eigentlich müsste nach wie vor jedes Gesetz unter einem Digitalisierungsvorbehalt stehen. Digitalexperten müssten überprüfen, ob sich Gesetzesvorhaben nicht kontraproduktiv auf die Digitalisierung in Deutschland auswirken. Das wäre beispielsweise beim Digitalpakt Schule vorteilhaft gewesen, dann hätten wir den ein oder anderen Fehler vermeiden können. Man wollte alle Schulen in Deutschland digital zukunftsfähig machen. Aber aufgrund einer unglücklichen Umsetzung haben wir jetzt, 18 Monate später, in den wenigsten Grundschulen eine vernünftig funktionierende digitale Infrastruktur. Und eben nicht nur da. Nur wenige Lehrkräfte konnten wirklich gut mit den Herausforderungen der Corona-Krise umgehen, obwohl das Geld vorhanden gewesen wäre. Vielleicht ist deshalb die Diskussion, ob es ein Digitalministerium geben muss, nach wie vor höchst aktuell.

Ist das eine Lehre aus der Corona-Krise?
Duhr: Mit Sicherheit. Die Digitalisierung ist nicht nur "irgendwas mit dem Internet“. Sie umfasst nahezu alle Lebensbereiche und wird immer wichtiger werden. Sie ist ein, wenn nicht der zentrale Baustein für den zukünftigen Wohlstand unseres Landes und unserer Bevölkerung.




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