Pflicht oder Kür? 31.07.2016, 14:33 Uhr

Facebooks Rolle im Kampagnen-Mix

Facebook ist aus dem Kampagnen-Mix eines Unternehmens nicht mehr wegzudenken. Oder doch? Eine Suche nach dem Wert und der Bedeutung des Netzwerks für Werber und Publisher.
Ist Facebook ein Must-have oder doch sogar an einigen Stellen schon verzichtbar?
(Quelle: Shutterstock.com/Endermasali)
Der 29. Juni 2016 könnte für viele Publisher und auch einige Werbungtreibende als Schwarzer Freitag in die Geschichte eingehen. Es war der Tag, an dem Facebook ein neues Update für den Newsfeed des sozialen Netzwerks publik ­machte. Der Inhalt der Meldung lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: ­weniger Dauerwerbesendung, weniger News und dafür wieder mehr Posts von Freunden und Familie.
Dass dieser Schritt zurück zu den Wurzeln des Tech-Giganten aus Menlo Park, Kalifornien, die Nachrichten- und Werbeindustrie so sehr trifft, liegt daran, dass man sich in den Chefetagen in den letzten Monaten immer mehr Facebook gegenüber geöffnet hatte. Jeder wollte von der gigantischen Reichweite des Zuckerberg-­Imperiums profitieren.

Community-Management: Facebook ist verzichtbar

Im Dezember 2015 gab es laut Facebook weltweit 50 Millionen Unternehmensseiten von kleinen und mittleren Unternehmen. 82 Prozent der Nutzer in Deutschland sind mit mindestens einem Unternehmen auf Facebook verknüpft. Hinzu kommen weltweit drei Millionen Werbungtreibende, die das Netzwerk als Werbeplattform nutzen. Eine Million davon versucht, den Nutzer durch das Schalten von Anzeigen auf mobilen Endgeräten zu erreichen.
Wer im digitalen Deutschland jemanden erreichen möchte, so scheint es zumindest, kommt heutzutage nicht mehr am blauen Riesen vorbei. Auch für Audi zählt Facebook seit nun mehr sieben Jahren zum festen Repertoire in der Kampagnenplanung. Insbesondere um jüngere Zielgruppen zu erreichen, wird in Ingolstadt verstärkt auch mit digitalen Trends wie 360-Grad-Videos und -Fotos experimentiert. Die sozialen ­Medien ermöglichen "einen offenen und authentischen Dialog. Dabei geht es nicht primär darum, dass wir in einer Art Einbahnstrasse potenzielle Kunden mit Content versorgen", erklärt Thomas Müller, Leiter Digitales Marketing bei Audi in Deutschland, und fügt hinzu: "Durch die umfangreichen Tracking-Möglichkeiten können wir quasi in Echtzeit die Performance auswerten und sowohl Werbemittel als auch das Targeting optimieren."
Wer nun untersuchen möchte, wie gross der Einfluss von Facebook auf die Werbe- und Kommunikationsbranche ist, muss als Erstes differenzieren: Was kann Facebook als Werbekanal? Und: Wie wichtig ist Facebook als Community-Plattform.
"Facebook ist beim Targeting weiter vorne als die meisten Mitbewerber, weil sie einfach mehr über den Nutzer wissen", sagt Gero Quast, Client Service Director bei der Kreativagentur Scholz & Friends.
Bei der Beantwortung gehen die Meinungen immer mehr in eine Richtung. Ein eigener Unternehmensauftritt, sei es beispielsweise, um sich als Marke zu profilieren oder um für potenzielle neue Mitarbeiter erreichbar zu sein, ist vielerorts selbstverständlich, aber längst kein Muss mehr. "Es hat sich in den letzten Jahren herauskristallisiert, dass nicht jede Marke auf Facebook sinnvoll Social-Media-Aktivitäten betreiben kann", sagt Gero Quast. Er ist bei der Hamburger Kreativagentur Scholz & Friends als Client Service Director ­unter anderem für den Grosskunden Opel verantwortlich.
Und auch David Eicher, Inhaber der Agentur für kreative Werbeformen Webguerillas schlägt in die gleiche Kerbe: "Nicht jedes Unternehmen braucht einen Facebook-Auftritt. Wer aber auf Facebook ist, braucht eine klare Strategie." Firmen, die nur auf Facebook sind, um auf Facebook zu sein, können sich ihr Engagement gleich sparen. Der User erwartet auf der Plattform oder im dazugehörigen Messenger schnell Antworten. Lange Wartezeiten sind ein Tabu. Hinzu kommt, dass der Mehrwert einer Seite deutlich werden muss – für User und Marke. Wer noch nicht weiss, welches Ziel mit der eigenen Fan-Page verfolgt werden soll und anhand welcher Messparameter Erfolg und Misserfolg beurteilt werden können, sollte noch am Konzept feilen.
Wenn seitens eines Unternehmens nicht sichergestellt werden kann, dass der ­Account regelmässig gepflegt wird und auf die Anfragen und Wünsche der User ­reagiert wird, schadet sich durch einen ­Facebook-Auftritt mehr, als er davon profitiert. In diesem Fall wäre das (Human-)Kapital sicherlich an anderer Stelle besser investiert.

Spitze und fliehende Zielgruppen

Amerikanische Werbemacht mit kleineren Mängeln

Einfacher und eindeutiger ist die Antwort-Findung auf die Frage nach der Wirksamkeit der gebotenen Werbe- und Targeting-Optionen. "Es gibt kaum einen Fall, in dem man von Facebook abraten muss. Wir haben sämtliche Optionen durchgetestet", gesteht David Eicher ein.
Die Vorzüge, die der Webguerillas-­Inhaber aufzählt, scheinen kein Ende zu nehmen: kostengünstige Reichweite, gutes und tiefgehendes Targeting, Mobil-optimierte Werbeformate, ein umfangreiches Werbeportfolio, ein gutes Reporting, ein Social Login (Anmeldung auf Portalen über die Profildaten von sozialen Netzen wie Facebook oder Twitter) sowie die Möglichkeit, eigene Kundendaten zu ­importieren und mit den Daten aus der Community abzugleichen.
Trotz dieser überzeugenden Aneinanderreihung von Vorteilen, die ein Stück weit einer Machtdemonstration Facebooks gleichkommen, gibt es Umfelder, in denen das Multimilliardenprojekt von Mark Zuckerberg seine Schwächen hat oder andere Werbe­kanäle einen höheren Impact erzielen.
Ein Stichwort, das in diesem Zusammenhang schnell fällt, ist B2B. Es sei kompliziert, so liest man häufiger, auf sozialen Netzwerken eine derart spezifische Zielgruppe anzusprechen. "Im B2B-Bereich, wo es bei vielen Unternehmen, insbesondere im Mittelstand, um einen begrenzten Kundenkreis geht, sind eine Facebook-Präsenz und Ads weniger wichtig", bestätigt auch Rolf Anweiler, Regional Leader Marketing International bei Teradata Marketing Applications, den geschilderten Eindruck.
Nichtsdestotrotz ergeben sich durch die feinen und stark ausgeprägten Targeting-Optionen von Facebook einige Möglichkeiten, die eigene Zielgruppe zu erreichen. ­Allerdings gibt es in diesem speziellen ­Bereich andere Werbeträger, die eine grössere Werbewirkung erzielen und vertrauenswürdiger sind. "Gerade für die B2B-Kommunikation gibt es bessere Kanäle", erklärt Eicher. Dazu zählen für den Agentur-Inhaber zum Beispiel Blogs, Foren oder Informations-Sharing-Portale.
"Ich bin bestimmt nicht der grösste Fan von Facebook. Aber unter werblichen Gesichtspunkten wird schon sehr viel geboten", erklärt David Eicher, Inhaber der Agentur für alternative Werbeformen Webguerillas.
Einen vergleichbaren Fall skizziert auch Gero Quast. So sei es zum Beispiel bei ­bestimmten Opel-Modellen so, dass Printanzeigen eine deutlich höhere Reichweite haben. Das liegt daran, dass je nach Preisklasse der Autokäufer in einer Altersgruppe anzusiedeln ist, die man über Facebook und Co. bislang nur schwer erreicht. "Trotzdem würde man digital nie komplett ausschliessen", betont der Scholz & Friends-Kreative und unterstreicht die Intention seiner Aussage nochmals: "Was reine Werbung angeht, kann ich mir keine Zielgruppe vorstellen, die man auf Facebook nicht erreicht - möglicherweise nur zu einem geringen Prozentsatz, dafür aber ohne Streuverlust."

Werbe-Overload und Flucht der Zielgruppe

Durch die Hinzunahme und Gestaltung immer neuer Werbeformate (etwa Canvas oder Carousel Ads) und durch die Erweiterung des Werbenetzwerks um weitere Kanäle (zum Beispiel durch das Bildernetzwerk Instagram) erhöhen Mark Zuckerberg und sein Team beständig die Attraktivität der eigenen Plattform.
Was jedoch offenbar bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken wie Twitter und Snapchat mit der Zeit und unter dem hohen Druck der Werbemilliarden aus der Weltwirtschaft vergessen wird, ist das eigentliche ­Kapital: der Nutzer. Er ist Einnahmequelle und Überlebensgarantie. Ohne eine attraktive Zielgruppe und ­eine aktive Nutzerschaft auf der Plattform helfen selbst die besten Werbeformate und das tiefgehendste Targeting nichts mehr.
Doch gerade hier rumort es zurzeit gewaltig. Immer mehr Studien belegen, dass vor allem jüngere Zielgruppen Facebook mehr und mehr den Rücken kehren und sich sichere Kommunikationsumfelder suchen. Das war lange Zeit unter ­anderem Snapchat und wird sich demnächst erneut verlagern. Der Grund für den ­Verdruss: Die User fühlen sich zunehmend an die Werbe­industrie ausgeliefert.
So veranschaulicht eine Studie aus den USA, die im Januar 2016 durch den Social-­Technology-Spezialisten Lithium Technologies unter mehr als 2.300 ­Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter zwischen 16 und 39 Jahren durchgeführt wurde, dass in sozialen Netzwerken in der jüngeren Generation langsam, aber kontinuierlich ein Klima der Angst aufkommt. 75 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich von Marken gezielt verfolgt fühlen. Die Werbungtreibenden scheint das nicht weiter zu stören.
Bedeutender dürfte da das zweite Ergebnis der Untersuchung sein: 56 Prozent, also mehr als jeder zweite Digital Native, verlässt soziale Netzwerke, auf denen er sich ungeschützt fühlt. Sie fliehen an Orte, die noch nicht von der Werbebranche infiltriert sind. "Das Schalten von Anzeigen in sozialen Medien ist der sicherste Weg für Marken, Nutzer zu verprellen", verdeutlicht Rob Tarkoff, CEO von Lithium Technologies.
Trotz des offensichtlichen Trends zur Abwanderung bleiben sowohl die Führungsetage von Facebook in Kalifornien als auch Experten wie ­David Eicher gelassen: "Es gibt eine negative Entwicklung, was junge Nutzer angeht. Dass das ein akutes Krisenszenario ist, glaube ich nicht. Im DACH-Raum ­haben wir 34 Millionen Nutzer. Wenn da ein paar Hunderttausend wegbrechen, muss man dies nicht überbewerten."




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