P2P statt P2MP 13.02.2023, 15:25 Uhr

Swisscom krebst zurück

Die Wettbewerbskommission bremste die Swisscom beim Point-to-Multipoint-Glasfaserbau aus. Insider staunen nun über das Tempo, das der Telko bei der Rückkehr zur klassischen Point-to-Point-Technik an den Tag legt.
Hybridtechniken mit Kupfer und Glasfasern (FTTC, FTTS, FTTB) im Vergleich zu FTTH
(Quelle: Rüdiger Sellin)
Seit mehr als 15 Jahren entstehen in der Schweiz Glasfasernetze in FTTH-Technik (Fibre To The Home), dies vorwiegend in Grossstädten. Am runden Tisch der Eidgenössischen Kommunikations­kommission (ComCom) und dem Bundesamt für Kommunikation (Bakom) einigte man sich nach jahrelangen ­Verhandlungen auf eine einheitliche Anschlusstechnik und das Vier-Faser-Modell für FTTH. Dabei werden ab ­Anschlusszentrale vier durchgängige Glasfasern bis zu jedem Haushalt gezogen.

Uraltkupfer aus PTT-Zeiten

Swisscom argumentierte damals für vier Fasern, da mit dem Einzug von nur einer Glasfaser ein Monopol entstehen würde und eine Regulierung nötig wäre. Zudem drohe der Kontrollverlust über das Anschlussnetz, was man unter allen Umständen verhindern wollte. Denn mit der Regulierung des bestehenden Kupferanschlussnetzes aus den PTT-Zeiten hatte der Konzern bereits am Anfang des Millenniums viel schlechte Erfahrungen gesammelt – Thema Entbündelung.
Der langjährige Bakom-Direktor (danach ComCom-Präsident und heute Verwaltungsratspräsident von Salt), Marc Furrer, pochte pressewirksam und erfolgreich auf einen freien Zugang zu den Kupferadern. So musste die damals noch junge Swisscom in jeder Anschlusszentrale abgeschlossene Räume für die Mitbewerber einrichten, damit die Kupferleitung unabhängig beschaltet werden kann. De facto wurde von dieser Möglichkeit aber nur wenig Gebrauch gemacht.

Abschied vom Vier-Faser-Modell

So wollte man beim Thema Glasfasernetz möglichst alle Klippen umschiffen und fuhr zweigleisig. In den Städten ging Swisscom Kooperationen mit lokalen Energieversorgern ein, um die Kosten für FTTH zu teilen, das Risiko zu minimieren und keinen Ärger mit staatlichen Behörden zu provozieren, ob Bakom, ComCom, Weko oder Preisüberwacher. Jedoch war von Anfang an klar, dass nicht jeder noch so entfernte Ort der Schweiz mit Glasfasern bis ins Haus erschlossen wird. Das rief vermögende Gemeinden auf den Plan, ihr eigenes FTTH zu bauen.
Hinzu kam der latente Druck, den lokale Energie­versorger und ehemalige Kabel-TV-Anbieter mit Unterstützung von Salt und Sunrise auf den ehemaligen Monopolisten ausübten. Zudem bläst seit Jahren Swissfibrenet zum Widerstand gegen Swisscom. Der grosse Gegenwind ist bisher aber ausgeblieben und in den meisten Fällen baut man ohnehin mit Swisscom als Partner. Dass sich der Kabel-TV-Bereich über Jahrzehnte erfolgreich der staatlichen Regulierung entzog und UPC Cablecom als Teil von Sunrise weiterhin frei agieren kann, steht nicht gerade für einen Kampf mit gleich langen Spiessen.

Neue Mischtechniken

Das Thema Anschlussnetz ist in der Schweiz also heiss umkämpft und der Wettbewerb zwischen Technologien (Kupfer-, Glasfaser-, Koaxialkabel oder Mobilfunk) oder Anbietern (Swisscom, UPC Sunrise, Salt, Quickline, lokale EWs/Kabelanbieter etc.) funktioniert offensichtlich gut. So erstaunt nicht, dass Swisscom unter Dauerdruck steht – seitens Behörden, Mitbewerbern, Aktionären (Divi­dende) oder Verwaltungsrat (Finanzziele).
Swisscom experimentierte intensiv, wie man aus uralten Kupferanschlussleitungen ohne grosse Investitionen das Optimum herausholen kann, auch um Swisscom TV überall anbieten zu können. Dies gelang dank Hybridtechniken (Glas und Kupfer) wie Fibre To The Cabinet (FTTC), Fibre To The Street (FTTS) und Fibre To The Building (FTTB). Für FTTS baute Swisscom in den Verteilschächten im Quartier ab ca. 2018 sogenannte mCANs (Micro Copper Access Nodes) ein, um das Glasfaserkabel bis Verteilschacht mit den Kupferkabeln in die Häuser zu verbinden. Swisscom gewährte Drittanbietern dabei einen freien Zugang zum Teilnehmeranschluss.
Für erste Unruhe sorgte die Kündigung des Vertrages mit dem Energieversorger Group E in Fribourg. Der Schlachtplan lautete: FTTH für alle, egal wer, egal wo. Doch unterwegs bekam Swisscom wegen der explodierenden Kosten kalte Füsse und kündigte nach dem ersten Ausbaudrittel überraschend den Vertrag. Er wurde erfolgreich neu verhandelt mit dem Ziel, dass Swisscom entscheiden kann, welche Technologie sie wo einsetzt.

Strategiewechsel: Kein «Dark Fibre» mehr

Spätestens Anfang 2020 begann Swisscom laut Weko sich in jenen Gebieten, in denen sie Glasfasernetze allein baut, vom Vier-Faser-Modell mit offenem Netzzugang und der Point-to-Point-Architektur (P2P) zu verabschieden. Zwar wurden weiterhin vier Fasern bis zum letzten Verteilschacht im Quartier eingezogen. Besonders auf dem Land wurden aus Kostengründen ab dort jedoch entweder Kupferdrähte weiterverwendet (FTTS) oder gesplittete Glasfasern (FTTH) bis in die Liegenschaften eingezogen. Statt den zuvor eingesetzten mCANs wurde eine Glasfaser mithilfe passiver optischer Splitter unter mehreren Anschlüssen aufgeteilt, was dem Point-to-Multipoint-Prinzip (P2MP) entspricht. Je nach Split-Verhältnis (meist 1:32 oder 1:64) ergeben sich damit tiefere Bandbreiten.
Ein solches PON (Passive Optical Network) folgt somit einer Baumstruktur, da sich mehrere Endkunden eine gesplittete Glasfaser ab Kabelschacht teilen. Solche PONs sind bei rund 90 Prozent aller weltweiten FTTH-Netze eine gängige Technik. Problem ist dabei der Wechsel vom bisherigen P2P-Schema zum P2MP-Prinzip. Beim Vier-Faser-Modell (P2P) werden zwei Fasern durch Swisscom und (falls vorhanden) den lokalen Energieversorger belegt, während die verbleibenden zwei oder drei Fasern un­beschaltet bleiben («Dark Fibre»). Diese stehen anderen Anbietern technologieunabhängig zur Verfügung.

David gegen Goliath

Bei P2MP hingegen kann Swisscom ihren Mitbewerbern wegen der Splittung auf dem Endkundenanschluss keinen freien Layer-1-Zugang mehr anbieten, weil die Glasfaser ab Kabelschacht beschaltet ist. Zwar erhalten alternative Provider einen logischen Zugang zum Kundenanschluss, der aber auf einem höheren Layer mit vorgegebener Übertragungs- und Anschlusstechnik erfolgt. Auch ein physischer Zugang ab Kabelschacht wurde offeriert, der jedoch mit hohen Kosten verbunden ist. Dagegen klagte der kleine Anbieter Init7 mit Erfolg und zwang Swiss­com schlussendlich dazu, bei FTTH wieder zum Vierfasermodell zurückzukehren.
Die Weko sprach hier von «Vorleistungen» der Swisscom, auf welche die Mitbewerber angewiesen sind. Laut Weko «wird damit eine Wettbewerbssituation geschaffen, die derjenigen vor der Regulierung der Kupferkabelinfrastruktur von Swisscom gleicht.» Die Weko erkannte «in der Verhaltensweise von Swisscom Anhaltspunkte für ein kartellrechtswidriges Verhalten, durch welches Wett­bewerber von Swisscom beim Zugang zur Netzwerkinfrastruktur erheblich beeinträchtigt werden können». Eine Marktbeherrschung liegt in der Regel dann vor, wenn der Marktanteil 50 Prozent übersteigt, was hier gegeben ist.
So wurde Swisscom am 14. Dezember 2020 verpflichtet, anderen Fernmeldedienstanbietern «unabhängig von der von Swisscom gewählten Netzwerkarchitektur weiterhin den Zugang zur physischen Netzwerkinfrastruktur zu gewähren. Bis auf Weiteres wurde ein Baustopp für die verbaute Splittertechnik verfügt, gegen den Swisscom erfolglos klagte. Denn am 29. November 2022 bestätigte nach dem Bundesverwaltungsgericht auch das Bundesgericht das Vorgehen der Weko.
Splitten von Glasfasern in einem passiven optischen Netzwerk (PON)
Quelle: Rüdiger Sellin

Erneuter Strategiewechsel: doch wieder P2P

Vielleicht in Vorahnung der Entwicklung verzichtet Swisscom nach eigenen Angaben bereits seit Oktober 2022 auf optische Splitter und baut ihr FTTH nun wieder mit vier Glasfasern pro Anschluss. Damit wird eine zentrale Forderung von Swissfibrenet erfüllt. Der breite Technologiemix im häppchenweisen Ausbau von «Ultrabreitband» mit ­allen möglichen Hybridtechnologien sowie mit reinem FTTH und optischen Splittern verursachte am Ende un­nötigen Aufwand – nicht zuletzt wegen der Gerichtskosten und der im Laufe von 2023 zu erwartenden Busse in noch unbekannter Höhe. Gespart hat Swisscom damit rein gar nichts, vom erneuten Imageschaden zu schweigen. Zudem wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit die etwa 400 000 bereits mit optischen Splittern eingerichteten FTTH-Anschlüsse wieder auf vier Fasern zurückbauen müssen – ein ökonomisches Desaster.

Rüdiger Sellin
Autor(in) Rüdiger Sellin




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