Gruselalarm bei Kunden 13.08.2019, 02:03 Uhr

"Uncanny Valley": Wenn Chatbots unheimlich sind

Als "Uncanny Valley" werden künstliche Figuren bezeichnet, die beim User kein Vertrauen, sondern vielmehr Unbehagen auslösen. Wir erklären, wie Händler dafür sorgen können, dass ihre Chatbots nicht in die Gruselfalle tappen.
(Quelle: shutterstock.com/sdecoret)
Digitale Sprachassistenten sind beliebt: Über ein Viertel (27,3 Prozent) der Deutschen nutzt bereits digitale Helfer wie Google Assistant, Amazon Alexa, Siri oder Cortana. 5,7 Prozent der Deutschen haben ihre smarten Lautsprecher dabei sogar mehrmals täglich im Einsatz - so das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage von eco - Verband der Internetwirtschaft e. V.
"Digitale Sprachassistenten unterstützen uns in allen Lebenssituationen immer stärker und werden darin auch immer besser - ob zuhause, im Auto oder im Job", erklärt Bettina Horster, Leiterin der Kompetenzgruppe IoT im eco Verband und Vorstand Vivai Software.
Roboter und im besonderen Chatbots gelten also bis dato vor allem als Arbeitsmaschinen, effiziente und präzise Vollstrecker oder kompetente Ansprechpartner in Servicehotlines. In der deutschen Industrie sehen sie Menschen kaum ähnlich, um emotionale Verstrickungen auszuschliessen. In Asien hingegen werden schon länger humanoide Roboter entwickelt, etwa für die Alterspflege oder sogar als Sexpartner. Eine äusserliche Ähnlichkeit zu Menschen soll hier die Akzeptanz der Maschine erleichtern. Sie weckt aber auch Misstrauen: Was ist Mensch, was Maschine? Diese unheimliche Ähnlichkeit nennen japanische Roboterforscher "Uncanny Valley".
Auch hierzulande hat man bereits mit diesem Phänomen experimentiert, etwa auf einer der letzten CeBIT in Hannover: So wurden beispielsweise Staubsaugerroboter vorgeführt, die - wenn der Stromvorrat zur Neige ging - nach einer Steckdose suchten, um sich aufzuladen - und das umso dringender, je geringer die Stromreserven waren. Die Zuschauer fanden dies meist lustig, vor allem, wenn demonstriert wurde, wie "aufgeregt" diese Geräte werden konnten, wenn sie auf dem Weg zur Steckdose fortgesetzt behindert wurden.

Menschliches Verhalten in einem "Wesen"

Das wirkte niedlich, weil die Zuschauer sich darin wiedererkannten, also menschliches Verhalten in einem "Wesen" entdeckten, das sonst überhaupt nicht menschlich ist. Andererseits wurden Roboter, die besonders menschenähnlich aussahen, auf der CeBIT oftmals sehr argwöhnisch beobachtet. Es wirkte so, als würde sich ein Mensch nähern, der in seinem Ausdrucksverhalten etwas merkwürdig ist. Erwachsene zeigen sich dann Robotern gegenüber zurückhaltend, Kinder fingen manchmal an zu weinen, wenn diese Roboter mit ihnen Kontakt aufnehmen wollten.
Mit Chatbots lässt sich die Beantwortung von einfachen und häufig gestellten Fragen automatisieren. Diese kommen daher typischerweise in Call- und Service-Centern oder fachseitigen Anwendungen zum Einsatz, bei denen häufig immer wieder die gleichen Fragen anfallen.
Wolfgang Hildesheimer, Director Watson, Data Science und Artificial Intelligence DACH IBM Deutschland, erklärt dazu: "Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Chatbots sich auf ihr Kompetenzfeld konzentrieren und nicht Kompetenzen vorgaukeln, die sie nicht haben. Fokus und Klarheit über das, was der Chatbot kann, ist wichtig für seinen Erfolg."

Uncanny Valley - so entstand das Gruselproblem

Doch wie ist man überhaupt auf das Symptom des "Uncanny Valley" gestossen? Meist werden Chatbots doch eher das das "nächste grosse Ding" gesehen? Das Problem liegt für Hildesheim an der Weiterentwicklung der Chatbots: Normale Chatbots basierten bis vor einiger Zeit auf Text, also die Frage wird per Text gestellt und der Chatbot antwortet per Text. Typischerweise kommen diese auf Internetseiten oder in den Social Media zum Einsatz. Als weiteren Schritt kann man nun Sprache hinzufügen oder auch ein Gesicht. Die marktüblichen Text-To-Speech- und Speech-To-Text Lösungen erlauben Sprache in Text umzuwandeln und dann den Text des Chatbots in Sprache, so dass der Chatbot dann eine Stimme bekommt. Als Gesicht für den Chatbot werden Avatare eingesetzt. Diese können einfache bewegte Logos sein, wie zum Beispiel Smileys oder auch sehr realistische menschenähnliche Avatare.
Wolfgang Hildesheimer meint dazu: "Hierbei beobachtet man bei Akzeptanzstudien, dass das Vertrauen von Menschen in Chatbots steigt, sobald gute Chat-Technologie mit einfachen Avataren kombiniert wird." Diesen Studien zufolge steigt das Vertrauen sogar bis zu 50 oder 60 Prozent. Doch wenn dann Avatare immer menschenähnlicher werden, nimmt das Vertrauen erstaunlicherweise ab. Der Nutzer hat das Gefühl beispielsweise mit einem Zombie oder einem Untoten zu reden - eben der Effekt des "uncanny valley". Das hat auch eine sofortige Auswirkung auf das Vertrauen - es sinkt auf zehn bis 30 Prozent. Erst wenn der Avatar sehr gut ist und dem Menschen sehr gleicht, steigt das Vertrauen wieder auf Werte von über 60 Prozent. "Insofern ist es wichtig, dass die Gesamtlösung so optimiert wird, dass die Nutzerakzeptanz am höchsten ist", resümiert Hildesheim.
Wenn Roboter dem Menschen also zu ähnlich werden, sinkt also die Akzeptanz. Wie können Händler nun verhindern, dass ihr Chatbot als gruselig wahrgenommen wird? Für Wolfgang Hildesheimer ist die Lösung die, dass der Chatbot auf die Nutzergruppe hin optimiert werden sollte: "Techniker, die auf einer Ölplattform Pumpen warten, erwarten eine schnelle und sachlich genaue Antwort ohne viel 'Spielerei'. Ein Chatbot, welcher in einer Einkaufsstrasse Luxusprodukte für junge Käufergruppen anpreist mag das Gegenteil sein. Hier liegt das Schwergewicht der Lösung auf einem grossen, unterhaltsamen optischen Effekt. Daher sollte die Gesamtlösung immer unter Berücksichtigung der Nutzergruppe und dem gewünschten Ziel - einmal beispielsweise die genaue technische Information und einmal die Käufer in den Laden zu locken - designed werden."

Ausblick und Rat für Händler

Was raten nun also Experten Händlern, damit diese es besser machen? Wolfgang Hildesheimer meint dazu: "IBM rät Kunden Chatbot-Projekte Schritt für Schritt anzugehen. Bei jedem Schritt lernt man etwas. Zum Beispiel kann man einfach einen ersten eigenen Chatbot bauen mit Watson Assistant und einigen wenigen Intents. Als nächsten Schritt kann man dann wahlweise weitere Plattformen, etwa Smartphone, Internetseite, App oder Social Media hinzufügen. Bei mobilen Kanälen mag die Integration von Sprache eine gute Alternative sein. Oder man kombiniert Chatbots mit einem Avatar. Dieser sollte unter Berücksichtigung des uncanny valley optimal ausgesucht werden."

Dunja Koelwel
Autor(in) Dunja Koelwel




Das könnte Sie auch interessieren