Online-Gaming 01.03.2015, 21:04 Uhr

Faszination Online-Multiplayer-Games

Online-Multiplayer-Games sind nicht nur ein globales Geschäft, sondern auch eine Massenbewegung. E-Sport-Events gleichen Popkonzerten; im Netz spielen Millionen gegeneinander.
(Quelle: Helene Kristansson / ESL)
Er war schon Serienkiller, Gangsterboss und US-Präsident. Zurzeit ist Kevin Spacey Jonathan Irons, Begründer von ­Atlas, dem grössten privaten Militärunternehmen der Welt. In "Call of Duty - Advanced Warfare" vertritt Spacey alias Irons die Ansicht, dass die USA mit ihrem Vorhaben, die Demokratie überall auf der Welt zu verbreiten, gescheitert seien. Deshalb erklärt der Oscar-Preisträger den Vereinigten Staaten von Amerika den Krieg - in einem Computerspiel, einem sehr blutigen Computerspiel.
"Call of Duty" gehört zu den Klassikern der Online-Multiplayer-Games, in denen mehrere Spieler in Teams gegeneinander spielen. Im Herbst 2003 erschien die erste Version. Sie versetzte den Spieler an die verschiedenen Fronten des Zweiten Weltkriegs, wo er als Infanteriesoldat gegen die Wehrmacht kämpfen musste.
Allein bis 2009 wurden weltweit über 50 Millionen Kopien des Spiels verkauft. Die deutsche Version musste immer wieder geschnitten werden, um nicht auf dem Index zu landen - die blutige Handlung und die reiche Verwendung von Nazi-Insignien riefen den Jugendschutz auf den Plan.
Wenn sich in der aktuellen Version ­"Advanced Warfare" Atlas-Söldner und US-Soldaten gegenseitig niedermähen, spielt das Dritte Reich keine Rolle mehr. Dennoch geht es nach wie vor ums Töten und Getötetwerden.
Ein Gespräch mit ­Michael Bister vom Gaming-Netzwerk ESL kann deshalb nicht komplett sein ­ohne die Frage, wie er es findet, dass Millionen junger Menschen ihre Zeit damit verbringen, sich gegenseitig abzuknallen.
Bister, Jahrgang 1986, ist die Frage nicht unangenehm. Sie wird ihm nicht das erste Mal gestellt. "Den jungen Leuten geht es bei Spielen wie 'Call of Duty' oder 'Counter-Strike' nicht ums Töten. Sie wissen, dass es ein Computerspiel ist, und sie sehen es als Sport."
Und die sportliche Seite ist Bisters Spezialgebiet: Als Head of Pro ­Gaming organisiert er für den Kölner Veranstalter Turtle Entertainment die Turniere von Online-Multiplayer-Games, der Electronic Sports League, kurz ESL.

Online-Multiplayer-Games: Spezialeinheit versus Terroristen

Rund fünf Millionen Computerspieler sind in der ESL organisiert, sie spielen gegen virtuelle Gegner oder gegeneinander. Im Fall von "Counter Strike" bedeutet das, dass zwei Teams mit jeweils fünf Mitgliedern gegeneinander antreten, miteinander vernetzt über das Internet.
Das eine Team spielt die Terroristen, das andere die Antiterrorkämpfer. Die einen müssen eine Bombe legen, die anderen Geiseln befreien. Um sich zu verständigen, tragen die Spieler eines Teams Headsets. Auch andere Online-Multiplayer-Games wie "League of Legends", "Dota 2" und "Starcraft" werden so ­gespielt.
Allen gemeinsam ist: Sie üben enorme Anziehungskraft auf Jugendliche und junge Erwachsene aus - und sie füllen Stadien. Denn die Ausscheidungskämpfe der internationalen Ligen werden live und vor Publikum ausgetragen.
Egal ob in Katowice in Polen oder in Taipeh in Taiwan - Online-Multiplayer-Gaming ist zu einer Publikumsattraktion geworden. Öffentlich ausgetragene Turniere, wie sie die ESL organisiert, ziehen Zigtausende von Besuchern an.
Statt zwei Fussballmannschaften beim Kicken oder einer Rockband beim Musizieren sehen die begeisterten Zuschauer professionellen Computerspielern beim Ballern zu.
So beeindruckend die vollen Stadien auch wirken, die Zahlen im Netz sind noch viel gewaltiger: Allein "League of Legends", ein Fantasy-Adventure Game, wird weltweit von rund 80 Millionen Menschen gespielt, 30 Millionen spielen es täglich.
Auch hier geht es - ähnlich wie bei "Call of Duty" - darum, über die andere Mannschaft zu siegen. Ziel ist es, den "Nexus", das gegnerische Hauptquartier, zu zerstören. Dennoch ist "LoL", wie „League of Legends“ in der Szene ­abgekürzt wird, bei Weitem keine so blutrünstige Angelegenheit wie die Online-Multiplayer-Games "Call of Duty" oder "Counter-Strike", die FSK-Altersfreigabe liegt bei 12 Jahren. Und: Geschossen wird beim Biathlon schliesslich auch.

Mit Computerspielen in 24 Stunden 800 Millionen US-Dollar verdienen

Krieg oder nicht - Online-Gaming ist ein Riesengeschäft. So meldete der amerikanische LoL-Entwickler Riot Games für 2013 einen Umsatz von 624 Millionen Dollar ­allein bei diesem Spiel. Gemessen an "Grand Theft Auto 5" scheint das wenig - das Konsolenspiel, das zum Durchbruch von Sonys Playstation beitrug, gehört mit über 150 Millionen abgesetzten Kopien zu den bestverkauften Computerspielen aller Zeiten.
Die 5. Auflage des Games erschien 2013 und stellte mit Produktionskosten von 265 Millionen US-Dollar nicht nur die meisten Hollywoodfilme in den Schatten, sondern auch alle jemals zuvor programmierten Computerspiele.
Doch der Aufwand lohnte sich: Nur drei Tage nach dem weltweiten Launch hatten die Verkaufsumsätze von "Grand Theft Auto 5" die Milliarden-Dollar-Marke überschritten - 800 Millionen davon kamen in nur 24 Stunden zusammen.
Noch heute, 18 Monate nach der Veröffentlichung des Computerspiels, in dem der Spieler eine Karriere im kriminellen Milieu anstrebt, kostet eine Kopie von "Grand Theft Auto 5" um die 40 Euro. "League of Legends" ist dagegen für den Spieler kostenlos. Und womit verdienen dann Riot Games und die ESL ihr Geld?

"League of Legends" ist gratis - zumindest fast

Die Kostenloskultur spielt auch im ­Online-Multiplayer-Gaming eine wichtige Rolle. Sogenannte "Free-to-Play"-Games - gewinnen immer mehr an Popularität. Lange Zeit galt "World of Warcraft" als erfolgreichstes Online-Multiplayer-Game der Welt.
Es kam in seinen besten Tagen auf zwölf Millionen Abonnenten weltweit, die nach dem Kauf des Spiels (rund 30 Euro) ein Abo abschliessen mussten, um in die ­Online-Welt des Spiels einzutauchen - für weitere 13 Euro im Monat.
Doch von der Popularität des kostenlosen, millionenfach gespielten "League of Legends" ist ­sogar dieser Klassiker weit entfernt. Vom LoL-Entwickler Riot Games werden die Spieler erst zur Kasse gebeten, wenn sie bereits "angefixt" sind.
"Die Grafik von 'League of Legends' ist in der Grundver­sion ziemlich schlicht," erklärt ESL-Mann Bister: "Über Micropayments können die Spieler Elemente hinzukaufen, die das Spielerlebnis erweitern."
Dabei bleibe aber die Chancengleichheit gewahrt, so Bister weiter. Im Gegensatz zu anderen Spielen könne man sich bei LoL nicht gegen klingende Münze mehr Waffen, Macht und Fähigkeiten hinzukaufen. Die Ausgaben für einzelne Spieler bleiben dabei übersichtlich, "von wenigen Cent bis hin zu ein, zwei Euro".

Spielerpässe schaffen Vertrauen bei Online-Multiplayer-Games

Neben den Grossveranstaltungen organisiert Turtle Entertainment auch den ­Ligabetrieb für die Fans der ­Online-Multiplayer-Games. Wie in einer Partnerbörse führt das Kölner Unternehmen Teilnehmer zusammen, nur nicht als Paare, sondern als Teams.
Und damit der ein­zelne Spieler weiss, mit wem er es zu tun hat, vermarktet Turtle Spielerpässe, soge­nannte Playercards. Die Playercard Trusted Basic kostet derzeit 8,95 Euro und gilt drei Jahre lang. Mit ihr erhält der Spieler ein qualifiziertes Spielerprofil, seine ­Anmeldezeiten für Ligaspiele reduzieren sich und für bestimmte Ligen ist eine solche Karte Voraussetzung.
Einen Schritt weiter geht die Playercard Trusted Pro. Sie wird in Kooperation mit der Deutschen Post herausgegeben und umfasst eine Altersverifikation mit Post-Ident-Verfahren. Damit kann der Spieler seine Volljährigkeit nachweisen - Voraussetzung für die Teilnahme an Matches in Games mit Altersbeschränkung.
Obwohl die Profi-Karte einen höheren Leistungsumfang besitzt, bringt Turtle sie für einen Euro weniger unters Volk als die Basic-Karte. Möglicher Grund: Jeder Pro-Gamer bekommt von der Post gleich noch eine ­E-Postbrief-Adresse verpasst - und geht damit eine dauerhafte Beziehung mit dem gelben Konzern ein.

Das grosse Geld kommt von der Werbung

Das ganz grosse Geld kommt indes aus der Werbung, denn nirgends lassen sich junge Konsumenten so gut "branden" wie im Spielesegment. Sponsoring ist der wichtigste Eckpfeiler bei der Finanzierung der Ligen und der Mega-Events auf Messen wie der Gamescom oder in Stadien rund um den Globus. Auch ein von ESL betriebener Web-TV-Kanal, in dem spannende Matches übertragen werden, finanziert sich ausschliesslich aus Werbung.
Als einer der aktivsten E-Sports-Sponsoren weltweit gilt Intel. Der Chip-Hersteller ist bereits seit zehn Jahren dem Genre verbunden und sponsert mit den Intel Extreme Masters eine internationale Liga für Online-Multiplayer-Games. Die  ESL führt Intel als Hauptwerbepartner. In den USA engagieren sich auch FMCG-Marken im E-Sport: Coca-Cola und Red Bull gehören zu den Geldgebern.
In den Pro-Ligen werden dann aus Hobby-Daddlern echte Profisportler. Ähnlich wie ein Autohersteller, der in verschiedenen Rennserien antritt, oder ein Fussballverein, der Mannschaften in unterschiedliche Ligen schickt, gibt es auch im E-Sport "Rennställe", in denen Teams für die verschiedenen Games zuständig sind.
Die Preisgelder gehen in den sechsstelligen Bereich. So wurde der 21-jährige Südkoreaner Kim Yoo Jin im Oktober 2014 in Katowice Weltmeister im Spiel "Star Craft 2" - und gewann 100.000 US-Dollar Preisgeld. Kim gehört dem Team Jin Air Green Wings an, gesponsert von der südkoreanischen Regionalfluggesellschaft Yin Air.
Preisgelder erhöhen den Marktwert der Spieler, aber das Sponsoring füllt die Kassen. Die Weltmeister bei "League of Legends" sind Profis und spielen für die Teams SK Telecom T1 und Samsung White - mit Sponsorengeldern der genannten Konzerne.
In Deutschland, so sagt ESL-Mann Bister, ist die Profispieler-Szene noch klein, aber er weiss von Spielern zu berichten, die 10.000 Euro und mehr nach Hause bringen.
Die IT-Branche schätzt die leistungshungrigen Online-Multiplayer-Gamer als interessante Zielgruppe. Erst eine hochleistungsfähige Grafikkarte - die schnell mehr kosten kann als ein ganzer Office-PC - macht aus einem normalen Rechner ein Gamer-Teil.
Schnelle Speicherchips, individuell anpassbare Mäuse und spezielle Gehäuse im aggressiven Ninja-Look gehören in der Szene zum guten Ton. Hersteller wie Dell und Acer haben sogar eigene Produkt­linien für Gamer aufgelegt.
Bei Dell laufen die heissen Sportgeräte unter dem Label "Alienware" und haben mit biederen Latitude-Notebooks nicht mehr viel zu tun. Während sich überall auf der Welt das Rechnergeschäft auf bil­lige Einheitsware reduziert und von Tablets und Smartphones bedrängt wird, locken im Gamer-Bereich noch ­satte Margen.
Dabei setzen viele der Online-Multiplayer-Games, die Millionen ins Netz ziehen, zunächst keine teure Hardware voraus. Ein nicht zu langsamer Office-PC mit Maus, Tastatur, Headset und Internet-Verbindung reicht zumindest für den Anfang aus.
Doch dabei muss es nicht bleiben. Der Virtual-Reality-Experte Oculus verspricht mit seiner Video-Brille Rift ganz neue Einsichten. Die Brille besitzt einen Head ­Tracker und reagiert so auf Kopfbewegungen ihres Trägers.
Noch realer wird die Jagd auf Terroristen oder Monster mit einem Virtuix Omni, einem Laufgestell, in dem sich der Spieler durch virtuelle Welten ­bewegen kann. Beide Komponenten ­zusammen versprechen ein völlig neues Spielerlebnis. Übrigens: Oculus wurde 2014 von Facebook übernommen - und auch bei Virtuix gehört die Zuckerberg-Company zu den Investoren.  



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