Mehr Marketing, weniger Social
22.02.2016, 16:21 Uhr
Setzt Xing noch auf die richtige Strategie?
Xing wird immer mehr zur Recruitierungs- und Marketingplattform. Etliche Massnahmen sollen Geschäftskunden locken, der Social-Media-Gedanke bleibt dabei auf der Strecke.
von Raoul Fischer
Das ist schon ein interessanter Newsletter, der da im Mail-Postfach landet: Unverwechselbar gestaltet im Xing-Design bietet er Dienstleistungen für den Vergleich privater Krankenversicherungen (PKV) an. Unterschrieben ist die Mail mit "Viel Erfolg beim Vergleichen und Sparen, Ihr Xing-Team". Das Business-Netzwerk als Berater im Bereich PKV? Wer den "Jetzt kostenlos vergleichen"-Button anklickt, merkt schnell: Irgendwie ist auch Verticus an Bord, ein Portal für selbstständige Versicherungsmakler. Die Erklärung von Xing: "Hierbei handelt es sich um einen Co-gebrandeten Newsletter, der an ausgewählte Xing-Kunden mit Log-in per E-Mail versendet wird." Der Klick führe auf eine entsprechende, ebenfalls gemeinsam gestaltete spezielle Internet-Seite - sprich Landing Page -, auf der die Nutzer den Vergleich vornehmen können.
Das Beispiel passt in eine gross angelegte Content- und Werbeinitiative, die die Business-Plattform seit einiger Zeit verfolgt. Was einmal unter dem Namen "OpenBC" als soziales Netzwerk begonnen hat, ist inzwischen unter Xing zu einer Plattform für den beruflichen Bereich herangewachsen. Dazu gehören verschiedenste Angebote für Unternehmen - ob mit Blick auf Kundenakquise oder Recruiting -, aber auch diverse inhaltliche Angebote für die Mitglieder, um diese zu aktivieren und zu binden. Der Aufwand zahlt sich aus. In den letzten Jahren hat Xing den Umsatz deutlich gesteigert, 2014 sogar um knapp 20 Prozent. Dennoch: Der international aufgestellte Wettbewerber Linkedin holt mächtig auf.
Die Basis für alle Aktivitäten von Xing bilden die Mitglieder, die das Businessnetzwerk nutzen. Diese haben natürlich die Möglichkeit, sich mit anderen zu vernetzen, nach Kontaktdaten zu recherchieren und sich über Xing auszutauschen. Sie können sich nach Themen oder anderen Kriterien in sogenannten Communitys zusammenschliessen oder sich über Termine informieren, die auf der Business-Plattform eingestellt werden.
Wandlung vom Netzwerk zur Kommerzplattform
Um die Basis von derzeit 9,2 Millionen Mitgliedern kontinuierlich auszubauen, setzt Xing auf verschiedene Massnahmen. Zum einen wird die Angebotspalette kontinuierlich erweitert. Der Xing-Stellenmarkt bietet Job-Suchenden zum Beispiel das Zusatzangebot, Job-Inserate auch nach Kriterien wie Work-Life-Balance, Karrierechancen oder sozialer Verantwortung zu sortieren und so schneller herauszufinden, welches Unternehmen oder welcher Job zu den eigenen Bedürfnissen passt. Spezielle Projobs-Profile geben den Nutzern die Möglichkeit einer erweiterten Selbstdarstellung. Diese Profile erscheinen auf den Ergebnisseiten von Headhuntern oder Unternehmens-Recruitern besonders hervorgehoben und erhöhen damit die Chance, wahrgenommen zu werden. Job-Suchende bekommen zudem Hilfe angeboten, ihr Profil erfolgversprechend zu gestalten.
Daneben setzt Xing auf inhaltliche Angebote: zum Beispiel auf das Produkt "Klartext", ein journalistisches Format, bei dem Experten und bekannte Persönlichkeiten exklusiv Position beziehen und ihre Meinungen zu aktuellen und kontroversen Themen rund um Wirtschaft und Beruf zur Debatte stellen. Darüber hinaus finden die User eine Seite mit den von Xing-Mitarbeitern zusammengestellten Branchen-News, über die sie per Newsletter auf dem Laufenden gehalten werden - massgeschneidert für 25 Branchen. Alle diese Angebote verfolgen ein Ziel: Mitglieder binden, neue Mitglieder gewinnen.
Wie viele User werden wirklich erreicht?
Sie finden im Markt aber nicht nur ein positives Echo. "Ich erkenne, dass Xing eine Menge unternimmt, um Inhalte zu transportieren. Auch die New-Work-Initiativen, also der New Work Award oder das Themenportal, sind bemerkenswert. Die Frage bleibt nur, ob damit wirklich viele User erreicht werden", sagt zum Beispiel Professor Peter M. Wald von der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK). Michael Witt, Teamleiter Recruiting bei Voith Industrial Services, sieht zudem Angebote wie den Stellenmarkt eher kritisch. "Natürlich sollen damit Mitglieder geworben werden, aber ich finde die Kommerzialisierung der Plattform als Jobbörse falsch", sagt er. Der Netzwerkgedanke trete zurück und die Trefferquote bei den Jobangeboten sei miserabel.
Nicht nur seinen Mitgliedern, sondern auch den Unternehmen bietet Xing viele Möglichkeiten - sowohl für das Recruiting als auch für die Neukundenakquise. Mit dem sogenannten Employer Branding Profil können sich Arbeitgeber über Kununu oder Xing mit einer Beschreibung sowie weiterführenden multimedialen Inhalten in Szene setzen.
Ein "Talent Manager" genanntes Tool erleichtert die aktive Suche nach geeigneten Kandidaten im Xing-Pool. Das heisst dann "Active Sourcing". Es bietet eine erweiterte Suche, spezielle Filter und Werkzeuge zur Verwaltung von Kandidatenprofilen. Für das Marketing bietet Xing weniger Ansatzpunkte: Es sei denn, ein Unternehmen nutzt die Werbemöglichkeiten, die Xing bietet - wie Verticus in dem eingangs erwähnten Newsletter-Beispiel - oder die Möglichkeit, Anzeigen in Gruppen zu schalten.
Bedrohung durch internationale Konkurrenz
Alexander Krapp, Gründer und Geschäftsführer vom Beratungsunternehmen Soulsurf, hebt in diesem Kontext die Suche auf der Businessplattform hervor: "Schnell findet man Unternehmen oder Gruppen verschiedener Branchen", sagt er. Das gilt sowohl für die Suche nach Dienstleistern als auch für die nach potenziellen Kunden. Die Gruppen und Foren selbst sieht er allerdings kritisch: "Hier versuchen Mitglieder auch immer wieder marktrelevante Diskussionen voranzutreiben und Themen vorzuschlagen. Leider reagiert kaum jemand auf solche Posts, und es entsteht einfach keine Diskussion oder Erfahrungsaustausch", so Krapp.
Xing hat sich grosse Ziele gesetzt. Allein im deutschsprachigen Raum hat die Plattform eine potenzielle Zielgruppe mit 20 Millionen Mitgliedern ausgemacht und will weiter wachsen. Zu Internationalisierungsplänen befragt, sagt Xing-Sprecher Frank Legeland jedoch: "Wir konzentrieren uns auf unsere Stärken. Dazu gehören lokale Angebote für unsere Mitglieder in Deutschland, Österreich und der Schweiz ebenso, wie die massgeschneiderten personalisierten Newsletter für derzeit 25 Branchen, lokale Premiumangebote oder auch den Stellenmarkt mit quasi allen verfügbaren Jobs und integrierter Kununu-Bewertung auf den Stellenanzeigen."
Linkedin holt auf
Experten sehen darin einen Fehler. "Nicht verstanden habe ich, warum sich Xing bei der Entwicklung nicht stärker auf Osteuropa und die Nachbarn in Westeuropa fokussiert", sagt HTWK-Professor Wald. "Viele der Studierenden aus diesen Ländern sind dann meines Erachtens recht schnell beim Wettbewerber gelandet. Ohne überregionale Ausdehnung wird es für Xing in Zukunft schwierig“, fügt er hinzu.
In der Tat: Xing liegt zwar derzeit im deutschsprachigen Raum noch vor Linkedin, aber das internationale Business-Netzwerk hat mächtig aufgeholt und ist Xing mit derzeit sieben Millionen Mitgliedern in diesem Gebiet gerade hart auf den Fersen.