Leadership: «Command and Control hat es jetzt schwerer»

Der Faktor Vertrauen

Auch Antoinette Weibel geht davon aus, dass im neuen Normal Unsicherheit zum ständigen Begleiter wird. «Und zwar eine Form von Unsicherheit, die wir nicht durch gute Pläne bezwingen können», wie die Professorin des Forschungs­instituts für Arbeit und Arbeitswelten der Universität St. Gallen festhält. «Vielmehr müssen wir auf das Umsteuerungspotenzial im Unternehmen zählen – auf mit- und umdenkende Mitarbeitende, die gemeinsam mit neuen Ideen auf die veränderte Situation reagieren.» Die Unternehmen müssten daran arbeiten, dass dieses Um- und Mitdenken sowie das dafür bestimmende gegenseitige Vertrauen und die psychologische Sicherheit möglich werden. «Für Führungskräfte bedeutet das mehr ‹Menschen lieben›, mehr Coaching statt anweisen, mehr zuhören statt besser wissen. Für das Unternehmen bedeutet das mehr Selbstorganisation und kein Taubentraining mehr (keine Karotten, keine Bewertungssysteme, keine Planwirtschaft).»
“«Die grösste Gefahr  ist doch, das Gefühl von Gemeinschaft zu verlieren und das Suchen nach kreativen Lösungen  zu vernachlässigen» „
Daniela Dollinger, Team-Factory
Und Weibel betont, dass Vertrauen tatsächlich ein Geheimtrank sei, wenn es um den Umgang mit Unsicherheit geht. So helfe Vertrauen bei der Überbrückung, wenn sich Normalität so dramatisch verändere wie jetzt und sich die Fragen stellen wie «Was jetzt? Wer stellt sicher, dass es mir auch morgen hier noch gutgehen wird? Wer kennt den Weg aus der Krise? Vertraue ich der Geschäftsleitung, gibt mir das Hoffnung und die Kraft, einen Schritt nach dem anderen zu gehen?» Doch reiche es nicht, wenn Führungskräfte bei der Beantwortung Vertrauen ausstrahlen. Gleichzeitig müssen sie laut der Professorin den eigenen Mitarbeitenden auch Vertrauen schenken. «Unsicherheit können wir nämlich nur durch gemeinsame Anstrengung ‹durchdringen› und nicht selten werden Lösungen – wie man in diesen Zeiten vielleicht neue Kunden gewinnen kann oder mit anderen Vertriebswegen an Kunden herantritt – an der Front und in Projektteams gefunden.» Dafür brauche es für die Teams und die Mitarbeitenden Bewegungsspielraum – «und genau den liefert Vertrauen».

Führungskräfte formen Teams

Es verwundert nicht, dass Weibel mit dieser Einsicht nicht alleinsteht. Auch Daniela Dollinger sieht in der Krise die grösste Gefahr darin, «das Gefühl von Gemeinschaft zu verlieren und das Suchen nach kreativen Lösungen zu vernachlässigen». Hier sei Leadership gefragt, betont Dollinger, die mit der von ihr 2005 gegründeten Team-Factory digitale Transformationen und Leadership im Wandel begleitet. Sie warnt davor, diesen Aspekt zu ignorieren: «Ich vermute, dass das ‹soziale Konto› in vielen Teams die nächsten Wochen leer sein wird, obwohl wir gerade in der Adventszeit die Chance hätten, innovative virtuelle Konzepte durchzuführen». Beispiele dafür seien das virtuelle Wichteln oder der moderierte Prozess von Lego Serious Play, der spielerisch persönliche Elemente mit der Geschäftswelt verbindet.
Ohnehin hätten viele die technischen Probleme bereits im Griff. «Aktuell braucht es jedoch noch Skills für das Design der Meetings und Workshops sowie für die Nutzung von Visual Boards, damit die Sessions effizient und erlebnisorientiert durchgeführt werden können», sagt Dollinger weiter. Lange habe man sich damit begnügt, Probleme und Entscheidungen an die Führungskraft hoch zu delegieren. Doch im Übergang in das digitale Zeitalter stosse dieses Muster an seine Grenzen. «Führungskräfte müssen also komplett umdenken und sich auch selbst in ihrem Handeln infrage stellen.» Zu beantworten sei in den Unternehmen, wie man trotz virtuellem Arbeiten die Innovationskraft bewahren könne, wie man New Work in den Alltag integrieren oder wie man selbst den Sprung vom Mikromanager zum «Servant-Leader» schaffe. Kurz: «Die Führungskraft sollte das Lernen wieder mehr in den Fokus stellen», unterstreicht Dollinger.

Fazit

Es herrscht eine auffällige Harmonie zwischen Praktikern und Theoretikern, die in der Krise Leadership stärker als bisher an den Mitarbeitern orientiert sehen wollen. Wenn Professor Schüz erklärt, dass «Führung, die auf einer Vertrauenskultur basiert, nachweislich leistungsfördernder als eine Misstrauenskultur» ist, bringt er die neuen Ansprüche auf den Punkt. Denn Letztere erzeuge durch übermässige Kontrolle Ängste, die mit Zurückhaltung bei der Mitteilung von Ideen oder Fehlern quittiert werde und die Findung von Problemlösungen verhindere, «zumindest aber nachweislich erschwert», wie er anfügt. Deshalb betont Schüz denn auch, das in Krisenzeiten Notwendige zu tun – als die Not wendend – und fordert, «auch das vermeintlich Undenkbare zuzulassen». Dass sich damit Leadern wie Mitarbeitern neue Horizonte auftun, die in den Unternehmen produktiv werden können, liegt auf der Hand.




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