Auf der Suche nach Digitaltalenten 26.07.2016, 16:10 Uhr

Recruiting 2.0: Wie lässt sich die Generation Y locken?

Es gibt Jobs in Hülle und Fülle, aber kaum einen, der sie besetzen kann? Das scheint im Moment das grosse Problem der Digitalbranche zu sein. Fakt ist: Wer gute Leute für den Online-Sektor sucht, muss umdenken. Das gilt auch für Bewerber.
Mit der Tageszeitung auf der Suche nach jungen Digitaltalenten? Keine gute Idee
(Quelle: shutterstock.com/Maxx-Studio)
Wer heutzutage online-affin ist und sich noch dazu mit dem Titel "Experte" oder "Manager" schmücken darf, muss keine Jobsorgen haben. So scheint es zumindest auf den ersten Blick. Denn dank fortschreitender Digitalisierung suchen Unternehmen händeringend nach SEO-Experten, Social-Media-Experten, Social Media Managern, Digital Marketing Managern oder Content Managern. Auch Web-Entwickler sind heiss begehrt, ebenso wie E-Commerce-Verantwortliche oder "neuere" Berufsbilder wie Head of Digital Innovations, Data Scientist, Cloud Specialists oder App Developer. Die Liste der Berufe, die derzeit bei Stellenportalen gelistet sind, lässt sich beliebig weit fortführen.
Das beobachtet auch Alexandra Kolleth: "Deutsche Unternehmen suchen verstärkt nach Mitarbeitern mit Fähigkeiten wie Digitalkompetenz und Datenanalyse. Auch Programmierer sind sehr gefragt“, so Kolleth, Mitglied der Geschäftsführung DACH bei LinkedIn.
In ganz Deutschland gesucht: SEO-Manager
Quelle: Stepstone/Screenshot

Fachkräftemangel? Ja und nein

Es sieht also ganz so aus, als ob es im Digitalbereich einen verstärkten Bedarf an Fach- und Führungskräften gibt, der sich in den kommenden zehn Jahren laut Kolleth noch verstärken wird. In Zahlen belegt das die aktuelle, zweijährlich erscheinende Migrationsstudie der Karriere-Plattform, für die LinkedIn zusammen mit dem Bitkom rund 1.000 Entscheidern in Personal- oder Management-Rollen befragt hat.
Das Ergebnis: Wie in den Jahren zuvor gaben Grossunternehmen und der Mittelstand an, dass sie einen Digital-Fachkräftemangel empfinden. Der Wert ist seit 2013 mit 51 Prozent gestiegen auf aktuell 60 Prozent. Suchten 2013 und 2014 vor allem Grossunternehmen (mehr als 500 Mitarbeiter) nach Personal, ist heute vor allem der Mittelstand betroffen. 61 Prozent haben hier Probleme, bei den grossen sind es 56 Prozent.
Trotzdem lässt sich die Frage, ob es denn nun ein Fachkräftemangel in der Digitalbranche gibt, nicht allgemeingültig beantworten. Die Antworten variieren von Unternehmen zu Unternehmen. Eine Bonner SEO-Agentur etwa steht vor einem deutlich grösseren Problem entsprechenden Nachwuchs zu finden als Google oder ProSiebenSat.1 in München.
Vor allem im Online-Handel zeigt sich ein anderes Bild: Eine Umfrage vom ECC Köln unter 383 Online-Händlern im Januar 2016, ergab dass "nur" 19 Prozent der Befragten aktuell Schwierigkeiten damit haben, geeignete Fachkräfte zu finden. Fast 59 Prozent kennen das Problem nicht.
Doch unabhängig davon, wie sehr Firmen Probleme haben Nachwuchs zu finden, müssen sich alle mit einer grundlegenden Fragestellung auseinandersetzen: Wo sind die Young Professionals, die Digitaltalente? Wo findet man die Google-, Facebook- oder Amazon-Experten von heute und morgen?

War for talents - auf allen Plattformen

Ob es nun um erfahrene Fach- und Führungskräfte oder um die jüngere Generation Y geht: Wer gute Leute mit Digital-Know-How möchte, muss die Wege der klassischen Personalgewinnung verlassen. Die samstägliche grosse Stellenbörse in der Tageszeitung liest in der Zielgruppe kaum noch einer, beim Thema Recruiting ist das Web die erste Anlaufstelle. Laut monster.de wurden im vergangenen Jahr über die klassischen Internetkanäle rund 73 Prozent der Neueinstellungen generiert.
Hinweis: Für das Jahr 2015 wurden die Recruiting Kanäle "Unternehmens-Website" und "Internet-Stellenbörse" nicht abgebildet. Dafür wurde der Kanal "Klassische Internetkanäle" eingeführt.
Quelle: Statista
ProSiebenSat.1 mit Sitz in München setzt beim Recruiting inzwischen ebenfalls auf einen breiten Ansatz und ist auf allen relevanten Plattformen vertreten. Dazu gehören Stellenportale wie Stepstone, Xing oder LinkedIn, aber auch Social Media, Talentry, Fachzeitschriften, DWDL und andere Branchenmedien. Auch mit Hochschulen arbeite man eng zusammen. "Im Kern geht es heute bei Recruiting um den Aufbau eines Netzwerks, den Kontakt zu halten, um potenzielle Kandidaten direkt ansprechen zu können. Wir sprechen daher vom Aufbau von Talent Funnels", erklärt Thomas Wagner, Vorsitzender der Geschäftsführung des ProSieben-Vermarkters SevenOne Media.
Bei der Ausbildung setzt der Konzern auf den Ansatz, Mitarbeiter sowohl im klassischen TV-Geschäft als auch im Digitalen zu schulen. "Es ist zunehmend ein gezieltes Talente-Management beziehungsweise eine gezielte Ansprache im Markt notwendig", so Wagner. Daher hat ProSieben im Recruiting-Bereich ein spezialisiertes Team etabliert, das entsprechendes Markt-Know-How hat, um das Thema "Digital" und die entsprechenden Anforderungen versteht. Aktuell hat der Konzern 20 Trainees im Haus.

Was Firmen heute bieten - und Bewerber mitbringen müssen

Nicht nur Thomas Wagner hat zum Ziel, ein Arbeitsklima zu schaffen, in dem sich die Mitarbeiter wohlfühlen. Aber was heisst das nun? Was müssen Firmen bieten, um die jungen Digitaltalente zu bekommen?
"Arbeitgeber, die junge Digitaltalente anlocken wollen, müssen hauptsächlich eines tun: vertrauen", meint Alexandra Kolleth von LinkedIn. Sie glaubt, dass die meisten Vertreter der Generation Y Arbeit nicht mehr als eine Neun-Uhr-bis-fünf-Uhr-Verpflichtung möchten, sondern als Möglichkeit der persönlichen und fachlichen Entfaltung sehen. "Starre Arbeitszeitmodelle oder Home Office-Verbote passen dazu nicht", so Kolleth.
Das ist auch die Einstellung von ProSieben. Der Konzern bietet eine "ausgewogene Balance zwischen Berufs- und Privatleben durch flexible Arbeitszeitmodelle sowie durch besondere Unterstützungsleistungen", glaubt Wagner. Dazu gehören etwa eine interne Kindertagesstätte oder ein breites Sportprogramm. Daneben sollen eine gute technische Ausstattung, moderne Arbeitsräume inklusive mobiler Geräte, Weiterbildungsmöglichkeiten oder interne Wettbewerbe Interessenten locken.

Social Media während der Arbeit ist okay

"Die Unternehmen dürfen es zudem nicht als verschwendete Zeit oder gar Faulheit interpretieren, wenn junge - oder auch ältere - Mitarbeiter während der Arbeitszeit in sozialen Netzwerken aktiv sind oder sich in der Teeküche angeregt austauschen", mahnt LinkedIn-Frau Kolleth. Denn Netzwerken gehört für sie innerhalb und ausserhalb der Firma mittlerweile einfach dazu.
Und was wünschen sich die Millenials noch? "Ein grosses Mass an Eigenverantwortung und immer wieder Feedback, Feedback, Feedback, um daran zu wachsen", sagt Kolleth. Daneben seien Zusatzangebote wie Sport, Gruppenaktivitäten oder eine betriebliche Altersvorsorge gern gesehen.

Gegen den Strom schwimmen

Aber natürlich müssen nicht nur die Firmen in Vorleistung gehen. Die Anfforderungen an Kandidaten wachsen. Auch wenn oft anderes behauptet wird -  Auslandsaufenthalte, Praktika, erste Berufserfahrung, technisches Know How und Co sind natürlich immer noch von entscheidender Bedeutung.
In Sachen Soft Skills gilt: "Die Ypsiloner dürfen nicht ihrem Ruf gerecht werden, verwöhnt und faul zu sein und in den ersten Berufsjahren zu viel zu erwarten", betont Alexandra Kolleth: "Sie müssen sich einbringen und manchmal sicherlich auch den Mut haben, gegen den 'Das war schon immer so'-Strom zu schwimmen."
Die Karriere-Expertin glaubt, dass in einem motivierenden Arbeitsumfeld viele bereit sein werden, mehr als nur Dienst nach Vorschrift zu machen: "Es ist so, dass heute mehr als je zuvor die Chance auf den Traumjob da ist, wenn man sich etwas proaktiv verhält."



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