Swico-Chefin und GLP-Nationalrätin 29.06.2020, 09:48 Uhr

«Für die ICT ist die Corona-Krise ein Sprungbrett»

In ihrem ersten Amtsjahr als Geschäftsleiterin des ICT-Verbands Swico musste Judith Bellaiche grosse Herausforderungen meistern. Im Interview spricht sie über Auswirkungen der Covid-19-Krise auf die ICT-Branche, Erfolge in der Politik und aktuelle Projekte bei Swico.
Judith Bellaiche steht seit gut einem Jahr dem ICT-Branchenverband Swico vor
(Quelle: Christian Burger)
Judith Bellaiche hat im Mai 2019 die Leitung des Wirtschaftsverbands der ICT- und Online-Branche, Swico, von Jean-Marc Hensch übernommen. Seither ist viel geschehen. Bei den nationalen Wahlen letzten Herbst wurde sie für die Grünliberale Partei in den Nationalrat gewählt. Diesen Frühling kam die Corona-Pandemie – ein Schock für die Wirtschaft und die Gesellschaft. Im Interview unserer Schwester Computerworld erzählt Bellaiche vom Umgang mit der Krise auf der Polit-Bühne und im Verbandsumfeld. Zudem spricht die Politikerin und Managerin über ihren Einsatz im Parlament für Start-ups sowie über ihre Pläne, wie sie Swico zum digitalen Vorreiter unter den Schweizer ICT-Verbänden machen will. 
Computerworld: Frau Bellaiche, Sie haben ein bewegtes erstes Amtsjahr als Swico-Chefin hinter sich. Wie haben Sie dieses erlebt? 
Judith Bellaiche: Es war tatsächlich sehr anspruchsvoll. Man könnte fast sagen, die Ereignisse haben sich überschlagen. Nur ein paar Monate, nachdem ich den Job ­übernommen hatte, wurde ich in den Nationalrat gewählt. Die beiden Mandate zeitlich und inhaltlich zu kombinieren, das war eine Herausforderung. Es galt, Sy­nergien zu finden und das Netzwerk aufzubauen. Nun passt doch alles sehr gut zusammen. Durch das Amt im Nationalrat erhalte ich Einblick in bestimmte Prozesse – ein aktuelles Beispiel ist die Einführung der Corona-Tracing-App. Dank dieser konnten wir uns als Industrie positionieren und präsentieren. Es gab generell sehr viele Möglichkeiten und Anknüpfungspunkte, die Industrie einzubringen. 
CW: Und dann kam noch die Corona-Pandemie. Welche Herausforderungen galt es, bei Swico zu meistern? 
Bellaiche: Man könnte meinen, dass wir als IT-Verband sowie auch unsere Mitglieder schon komplett digital unterwegs sind. Entgegen den Erwartungen brauchten allerdings auch wir eine kurze Anlaufzeit. Immerhin hatten wir einen Vorsprung, denn bei uns waren schon alle für das Arbeiten im Home Office ausgerüstet. Schwieriger war die Abstimmung mit unseren Mitgliedern, etwa bezüglich der Kommunikations-Tools. Die einen durften Zoom oder Microsoft Teams nicht verwenden und die Bundesverwaltung setzte sowieso nur Skype ein. Hier musste der Betrieb erst wieder in die Gänge kommen. Danach war ich aber beeindruckt, wie gut alles funktionierte. Wir mussten praktisch keine Sitzungen oder Meetings unserer Fachgruppen absagen. Zu Beginn dauerten diese zwar etwas länger, mittlerweile sind sie aber oftmals sogar kürzer und effizienter geworden. Auch im Parlament stellten wir auf den papierlosen Betrieb um. Plötzlich ging, was wir jahrelang gefordert haben – anscheinend aber bislang nicht möglich war. 
CW: Also hat die Krise insofern den nötigen Anstoss zur Umstellung gegeben … 
Bellaiche: Es mangelte einfach an Alternativen. Wir hatten keine Wahl und mussten uns an die Instrumente gewöhnen. 
CW: In einem Interview sagten Sie, dass in der Politik in Sachen Digitalisierung «breit angelegte Mutlosigkeit» herrscht. Hat sich das jetzt geändert? 
Bellaiche: Nein, der Mut fehlt nach wie vor. Aber jetzt sind wir immerhin einmal dazu gezwungen worden. Und das ist vielleicht auch gut so. 
CW: Letzten Herbst wurden Sie in den Nationalrat gewählt. Inwiefern konnten Sie sich dort bereits einbringen? 
Bellaiche: Besonders in den parlamentarischen Gruppen konnte ich mich einbringen und den überparteilichen Kontakt pflegen, um gewisse Themen voranzubringen. Das funktionierte jetzt beispielsweise bei der Corona-Tracing-App sehr gut. 
CW: Sie haben sogar eine eigene parlamentarische Gruppe gegründet … 
Bellaiche: Ja, mit Andri Silberschmidt teile ich mir das Präsidium der überparteilichen parlamentarischen Gruppe Start-ups und Unternehmertum. Am Dienstag vor dem Lockdown konnten wir diese im Parlament gerade noch rechtzeitig gründen. 
CW: Nach dem Lockdown mussten Start-ups vergleichsweise lange auf für sie passende Unterstützung warten. Was haben Sie unternommen, um ihnen zu helfen? 
Bellaiche: Als der Rettungsschirm vorgestellt wurde, realisierten wir, dass man dort mit Kennzahlen arbeitet, die für Start-ups nicht anwendbar sind. Schliesslich setzen Jungunternehmen auf ganz andere Wachstumszahlen als Umsatz und Gewinn. Deshalb verfassten wir sofort ein erstes Schreiben an den Bundesrat, fanden aber zunächst kein Gehör. Wir reichten noch ein zweites nach und konnten dann endlich ein Gespräch mit der Bundesverwaltung führen, in dem wir uns für die Jungunternehmen stark machten. 
CW: Weshalb ging man beim Bund nicht schon zu Beginn auf die Bedürfnisse von Start-ups ein? 
Bellaiche: Die Verantwortlichen hatten schlichtweg nicht auf dem Radar, wie das Start-up-Ökosystem funktioniert. Deshalb bin ich mir ziemlich sicher, dass ohne unsere Intervention in dieser Hinsicht gar nichts passiert wäre. Wir haben nun dafür gesorgt, dass das Thema in Zukunft nicht einfach unter den Tisch gekehrt wird. Unterdessen suchte bereits die Agentur für Innovationsförderung, Innosuisse, das Gespräch mit uns. Und immerhin ist jetzt auch klar, dass Corona-Kredite für Start-ups in Eigenkapital umgewandelt werden können – sofern die Banken damit einverstanden sind. Da Jungfirmen normalerweise mit Investitionsrunden statt Krediten arbeiten, war die Situation bislang nicht optimal für sie. Erfreulich ist ausserdem, dass nun anscheinend auch die Investoren wieder in die Gänge kommen. Darum werden wohl die Kredite gar nicht ausgeschöpft. 
CW: Wie beurteilen Sie die Auswirkungen der Krise auf das Start-up-Ökosystem? 
Bellaiche: Ich gehe nicht davon aus, dass es einen bleibenden Schaden davontragen wird. Wahrscheinlich werden einige Bereiche noch ordentlich durchgerüttelt, beispielsweise die ganzen Sharing-Angebote. Dort sehe ich aber eher ein Nachfrageproblem. Punkto Finanzierung sind wir mit der ergänzenden Unterstützung nun besser aufgestellt. 
CW: Wie fällt generell das Feedback zur parlamentarischen Gruppe Start-ups und zum Unternehmertum aus? Werden Sie überhäuft mit Anliegen, die Sie im Parlament diskutieren könnten? 
Bellaiche: Ja, Andri und ich werden dauernd angeschrieben. Man muss einfach wissen, dass wir uns für bessere Rahmenbedingungen einsetzen und nicht für einzelne Start-ups. Aber auch Anfragen zu übergeordneten Anliegen flattern bei uns ständig rein. Es sind oftmals dieselben. Die Rahmenbedingungen zur Rekrutierung von Fachkräften aus Drittstaaten sind beispielsweise ein absoluter Dauerbrenner, aber auch grosse Investitionen in der Wachstumsphase von 20 bis 100 Millionen Franken. Letztere sind hierzulande noch nicht richtig etabliert. 
CW: Wie steht es um die Resonanz im Parlament? 
Bellaiche: Steter Tropfen höhlt den Stein. Die Themen werden nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen, aber mit etwas Hartnäckigkeit werden wir Fortschritte machen. 
Zur Person
Judith Bellaiche
ist Geschäftsführerin von Swico, dem Wirtschafts­verband der Schweizer ICT- und Online-Branche. Ihre politische Karriere bei der Grünliberalen Partei startete sie als Gemeinde­rätin in der Exekutive der Gemeinde Kilchberg ZH. Danach vertrat sie die GLP während mehr als acht Jahren im Zürcher Kantonsrat. 2019 schaffte sie schliesslich den Sprung auf das nationale Polit-Parkett. Berufserfahrung sammelte Bellaiche in der Finanzdienstleistungs­industrie, zudem gründete sie ihr eigenes Event-Mana­gement-Unternehmen. Sie hält ein Lizenziat der juristischen Fakultät der Universität Basel und erwarb 2017 einen Executive MBA in General Management der Universität St. Gallen.



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