Die Höhle der Löwen 15.11.2017, 10:11 Uhr

So funktioniert die Marketing-Maschine der "Löwen"

Die Marketingmaschine hinter der Vox-Show "Die Höhle der Löwen" läuft in diesem Jahr auf vollen Touren.
(Quelle: RTL D Robert Grischek)
Als Florian Kiener und Stefan Walter Ende Oktober ihre elektrische Zahnbürste "Happybrush" in der Vox-Gründershow "Die Höhle der Löwen" präsentieren, läuft es zunächst nicht gut für sie. IT-Spezialist Frank Thelen meckert über mangelnde Innovation. Social-Media- und Influencer-Marketing-Experte Georg Kofler ist die Gesellschafterstruktur des Unternehmens "zu kompliziert". Serien-Investor Carsten Maschmeyer sieht die Firmenbewertung von fünf Millionen Euro für zu hoch angesetzt. Die Studioregie erhöht die Spannung, unheilschwangere Musik begleitet Close-ups von skeptischen Investoren-­Gesichtern. Dann kommen die Gründer auf einen Chip zu sprechen, der die Zahnbürste smart machen und beispielsweise das Putzverhalten der Nutzer an die Krankenversicherung melden soll. Die Kamera verharrt auf angespannten Gründergesichtern, eine wohl akzentuierte Stimme fragt "Konnten die Gründer damit das Interesse der Löwen wecken?".
Und während in der folgenden Werbepause die zahlreichen Zuschauer - erneut fast 20 Prozent der werberelevanten 14 bis 49-Jährigen - noch rätseln, ob es den Zahnbürsten-Deal wohl geben wird oder nicht, steht hinter den Kulissen bereits eine riesige Marketingmaschinerie in Position. Denn die ausgestrahlte Folge wurde schon im Januar abgedreht, und das Gründerteam hatte genug Zeit, um sich auf die Fernsehpräsenz zur besten Sendezeit vorzubereiten.

Überraschender Erfolg einer kopierten Idee

Die "Höhle der Löwen", kurz: DHDL, ist ein Phänomen, wie es nur selten im deutschen Fernsehen zu finden ist. Als Copycat der ursprünglichen japanischen Vorlage "Mane no Tora" (übersetzt etwa "Geld-Tiger") gestartet, ist die Show heute eine der erfolgreichsten TV-Eigenproduktionen überhaupt. Bereits seit der ersten Staffel, als die Gründershow noch dienstagabends nach 22 Uhr lief, fährt Vox damit regelmässig den Tagessieg in Sachen Zuschauerquoten ein. Das Medienecho rund um die Show ist riesig, nicht nur Start-up-Publikationen wie "Gründerszene" und "Deutsche-Startups" berichten sklavisch von ­jeder Show. Auch grosse Publikumszeitschriften wie "Zeit", "Stern", "Focus" oder "Spiegel" können sich dem  DHDL-Hype nicht entziehen und schreiben regelmässig über die geschickt zusammengestellte ­Mischung aus Idealisten, verrückten Erfindern und echten Unternehmertypen, die ihre Ideen jede Woche den fünf ­geschäftserprobten Löwinnen und Löwen vorstellen. Und das deutsche Publikum schaut und liest und staunt, lernt Begriffe wie "Due Dilligence" oder "Return on Ad Spend" und fiebert mit.
Der Erfolg der Show lässt sich am besten mit einer klassischen Win-win-Situation für alle Beteiligten ­erklären: Vox und die Produktionsfirma Sony Pic­tures freuen sich über die hohen Einschaltquoten, die  teilnehmenden Gründer über kostenlose TV-Werbung zur besten Sendezeit und - im besten Fall - über ­einen erfahrenen Investor. Und die Löwen selbst nutzen die Plattform, die ihnen Vox bietet, ungeniert zum Selbstmarketing, beispielsweise durch Berichte über ihre erfolgreichen Investments und ihre wertvollen "Business-Connections". Und immer wieder mal ist auch ein Gründer dabei, dessen Idee so gut ist, dass sich das Investment der ­Löwen innerhalb kürzester Zeit rentiert.

Die Löwen füttern die Marketingmaschinerie

Damit das klappt, wenden vor allem die ­Investoren enorme Marketinganstrengungen auf, die zudem von Staffel zu Staffel immer professioneller und umfangreicher werden. "Für mich gestaltet sich ein ­Löwenjahr so", berichtet Ralf Dümmel, Geschäftsführer von DS Produkte und in diesem Jahr zum zweiten Mal als Löwe mit an Bord: "Im Frühjahr wird gedreht. Anschliessend haben wir wenige Monate Zeit, um vom Handschlag in der Sendung zu einer tragfähigen Geschäftspartnerschaft zu kommen: von der Due Dilligence, in der wir vorhandene Zahlen und Verträge prüfen, bis zum Notarvertrag. Der Austausch mit unseren Handelspartnern beginnt ­jedoch schon weit vor der Aufzeichnung. Wir erarbeiten sehr früh Konzepte. So ­habe ich - ohne dass unsere Kunden die ­Produkte kannten oder wussten, ob überhaupt Deals zustande kommen würden - schon Zusagen bekommen, die es mir möglich machen, den Gründern dann zu versprechen, dass ihr Produkt zum Beispiel bei Karstadt im Schaufenster oder in 4.200 Netto-Filialen stehen wird. Sobald die Dreharbeiten dann abgeschlossen sind, beginnen die konkreten Vertriebsgespräche und Bestellungen."
Dümmel hat auf diese Weise in diesem Jahr beispielsweise mit QVC eine Art Blanko-Kooperation vereinbart, laut der alle Produkte, in die "Mr. Regal" (so Dümmels Spitzname in der Show) während seiner Zeit als Löwe investiert, direkt nach der Ausstrahlung der Sendung ab 23 Uhr auf dem Shopping-Kanal angeboten werden. Welche Vertriebsmacht diese Kooperation auf sich vereint, zeigt beispielsweise das Zahnfleisch-Pflegegel Parodont: Neun Minuten nach der Ausstrahlung gingen die Bestellungen so dermassen durch die Decke, dass sich der Shopping-Sender vorübergehend für ausverkauft erklären musste. Beauty-Expertin Judith Williams platziert ­jedes ihrer DHDL-Investments in einer Ausstrahlung in den Filialen der DM-Drogerien. Familienunternehmerin Dagmar Wöhrl bringt alles, was halbwegs zum Sortiment passt, bei den Textilläden Wormland, Ludwig Beck und Wöhrl unter.

Die Marketing-Maschine läuft von Staffel zu Staffel runder

"Vor dem Dreh ist nach dem Dreh - wir bauen unser Netzwerk ständig aus, unabhängig davon, ob gerade eine neue Staffel DHDL ansteht", so Frank Thelen. "Somit haben wir vor Drehbeginn Lebensmittel-einzelhandel-Filialen und Medienpartner für die neue Staffel sensibilisiert, die dann sofort nach Abschluss des Deals mit unseren Start-ups zusammengeführt werden - das alles passiert natürlich lange vor dem Sendetermin."
Von einigen Deals profitieren dagegen alle Löwen: So werden in diesem Jahr alle DHDL-Produkte, in die einer der Unternehmer investiert hat, direkt nach der Ausstrahlung bei Otto gelistet, auch bei Amazon sind die meisten der Produkte zu finden. Die RTL-Tochter Vox hat in diesem Jahr zudem zum ersten Mal einen eigenen Pop-up-Store für DHDL-Produkte zum Marketing- und Vertriebs-Mix beigesteuert. "Da muss man schon mit geschlossenen Augen durch die Welt gehen, um nicht mitzubekommen, was gerade in der 'Höhle der Löwen' vorgestellt wurde", so das Fazit von "Mr. Regal" Dümmel.
Tatsächlich hat sich die Marketing- und Vertriebsmaschinerie hinter der erfolgreichen TV-Show von der ersten bis zur ­aktuell vierten Staffel deutlich gewandelt: Von Jahr zu Jahr traten die Löwen offen­siver in Erscheinung, nutzten ihre neu ­gewonnene TV-Prominenz zu Marketingzwecken für ihre Investments. Auch die Partnerschaften mit Shopping-Sendern und Online-Shops scheinen von Jahr zu Jahr umfangreicher zu werden.  "Wir lernen von Staffel zu Staffel dazu", bestätigt ­Thelen. "Mit den Food-Start-ups der letzten Staffeln konnten wir schon einiges an Erfahrung und Fachwissen zusammentragen. So wissen wir jetzt beispielsweise, wer die richtigen Partner sind und wo genau wir mit dem jeweiligen Start-up hinwollen, um es auf lange Sicht erfolgreich zu machen. Hinzu kommt, dass die Show mit jeder Staffel populärer wird, wodurch sich natürlich auch neue Möglichkeiten eröffnen. Und nicht nur DHDL, auch die Marke Frank Thelen hat an Aufmerksamkeit und Ansehen gewonnen - so wird mein Name auch schon mal zum Türöffner." Doch aller Erfahrung und Vorbereitung zum Trotz: Manchmal läuft für die Gründer auch mit einem Löwen an der Seite einiges in Sachen Marketing gewaltig schief.

Abmahnungen: Sand im DHDL-Getriebe

Zu den diesjährigen Staffellieblingen ­zählte unter anderem das Produkt "Protect Pax", eine Flüssigversiegelung für Smartphone-Bildschirme, die diese nach dem Auftragen "100 Prozent bruchsicher" machen sollten, so die Werbebotschaft. Ralf Dümmel investierte, brachte innerhalb von kurzer Zeit nach der Ausstrahlung Hunderttausende Exemplare an den Mann - und sah sich gemeinsam mit den Gründern plötzlich einer Abmahnkanzlei gegenüber. "Die Gründer von Protect Pax haben live im Pitch gezeigt, dass die Nanoversiegelung selbst bestimmte Hammerschläge aushält", erklärt der Löwe. "Wir haben auf der Verpackung darauf hingewiesen, dass man auf kein Smartphone oder technisches Gerät mit dem Hammer schlagen sollte und es sich um einen symbolischen Charakter handelt. Trotzdem wurde beispielsweise das Hammer-­Emblem angegriffen. In solchen Situationen ist es entscheidend, wieder schnell lieferfähig zu sein. Wir haben daher die Verpackung aus dem Handel zurückgeholt, umverpackt und haben umgehend wieder neu ausgeliefert."
Doch das läuft nicht immer so verhältnismässig reibungslos, denn auch die Löwen sind nicht gegen Flops gefeit - was beispielsweise 120.000 bisher unverkäufliche "Pannenfächer" (ein Autozubehör, in das Ralf Dümmel im letzten Jahr investierte) beweisen. "Am Ende muss vor allem das Produkt überzeugen", so Dümmel. "Die Erfahrung zeigt, dass es Produkte gibt, die sich trotz Aufmerksamkeit in der Show, medialer Berichterstattung in grossen Medien und breiter Platzierung im Handel nicht am Markt durchsetzen konnten."
Und selbst der enorme Zug der TV-­Ausstrahlung kann sich besonders für Bestseller-Produkte vom Segen zum Fluch wandeln. Die Zahnfleisch-Pflegecreme Parodont musste in aller Eile nachproduziert werden, um dem Ansturm Herr zu werden, das Start-up Pony Puffin sah sich mitten im Run auf seine Frisierhilfe mit schlauen Zweitverkäufern konfrontiert, die das Produkt zum Normalpreis ankauften und dann, als die Gründer selbst ausverkauft waren, zu Wucherpreisen anboten. Regelmässig brechen die Shops der Start-ups unter den enormen Traffic-Zahlen schon während der Sendezeit zusammen. Vollständig vorbereiten kann man sich eben nicht - auch nicht mit Löwen-Power in der Hinterhand.



Das könnte Sie auch interessieren