Conversational Commerce 17.04.2020, 06:00 Uhr

Shopping-Tour mit der Stimme

Apples Siri hilft heute bei der Terminplanung. Morgen könnten intelligente Sprachassistenten auch den täglichen Einkauf erledigen. Allerdings ist die Schweiz aus verschiedenen Gründen noch nicht so weit.
Heute kann man in der Schweiz noch kein Produkt über Voice Commerce bestellen
(Quelle: Priscilla Du Preez / Unsplash)
Wenn heute in der Schweiz erst vereinzelt mit Siri oder Swisscom gesprochen wird, dann sind Datenschutzbedenken und die fehlende Dialekt­erkennung schuld. Immerhin soll die Swisscom Box demnächst Schweizerdeutsch verstehen. Die Google Speaker interpretieren vereinzelt schweizerdeutsche Wörter, Siri auf dem iPhone ebenfalls. Der Sprachverarbeitung gehört aber die Zukunft, sind sich die Experten von Gartner & Co. einig. 
Die Kombination aus Spracheingabe und Shopping-Assistenten eröffnet für den Detailhandel neue Wachstumsfelder. Der «Conversational Commerce» – erstmals 2015 vom Hashtag-Erfinder und Uber-Entwickler Chris Messina beschrieben – schliesst Chat, Messaging und andere Na­tural Language Interfaces ein, um mit Menschen, Marken, Diensten oder Bots zu interagieren. Im Vordergrund stehen mehr Bequemlichkeit und Zeitersparnis sowie ein inter­aktiveres, individuelleres Shopping-Erlebnis, sagt Messina. 

Globale Shopping-Trends

Im globalen E-Commerce ist schon jetzt auszumachen, dass sich der Checkout-Prozess in den Online-Shops stetig verkürzt. So unterstützt der Shopify-Shop bereits Checkout-Buttons und personalisierte Zahlungsarten auf den Produktseiten, damit das Hinzufügen eines Produkts in einen dedizierten Warenkorb entfällt. Auf diesen Trend können Shopbots in Zukunft noch einzahlen, um die Einkaufs­zeiten weiter zu verkürzen und um auch einen zusätzlichen Nutzen zu stiften, indem sie dem Konsumenten während des Einkaufs beratend zur Seite stehen. 
“Shopbots beschleunigen den Einkauf und beraten den Konsumenten auf Wunsch„
Nina Habicht, Paixon
Als weiteres Indiz für einen sich anbahnenden Wechsel weg von Apps hin zu sprachbasierten Agenten können die Verkaufserfolge der interaktiven Lautsprecher wie Amazon Echo sowie Google Home gesehen werden. Bereits im Jahr 2017 gehörte Amazon zu den weltweit grössten Lautsprecherherstellern. Insbesondere der Anwendungsfall, dass Konsumenten von zu Hause aus mittels einer sprachbasierten Plattform ihre Einkäufe online erledigen, wird als disruptive Entwicklung für den Detailhandel (in den USA) bezeichnet. Mehr noch: Dem amerikanischen E-Commerce werden bis 2022 rund 40 Milliarden US-Dollar Umsatz mit sprachgestützten Assistenten prognostiziert. 
Übersicht
Digitalassistenten in der Schweiz
In der Schweiz gibt es diverse Chatbots, Skills und Actions. Allerdings sind diese noch selten im Shopping-Bereich anzutreffen. Dies liegt unter anderem daran, dass die Bezahlung über die Assistenten noch nicht möglich ist. Seitens der gros­sen Detailhändler wie Brack, Coop, Digitec und LeShop gibt es noch keine Einkaufsmöglichkeit via Voice- oder Textbot.
  • Basler Kantonalbank: Der Vorsorgeberaterbot orientiert über die dritte Säule.
  • Sophie: Der HR-Chatbot hilft beim Onboarding sowie der Spesen- und der Zeit­erfassung. 
  • Migros Mino: Hilft bei der Lehrstellensuche und beim Schreiben von Bewerbungen. Die Terminvereinbarung erfolgt über WhatsApp. 
  • Noora: Sie sucht das passende Wellnesshotel fürs Weekend heraus. 
  • PostFinance: Hilft bei Fragen zu PostFinance-Services und kann direkt in einen Live-Chat zum Kundenservice wechseln. 
  • Selma: Berät rund um das Thema Investment. 
  • Swiss Nelly: Chatbots beantworten Fragen zum operativen Betrieb und zum Handgepäck. 
  • Sygmax: Der Bot nimmt Probleme und Meldungen im Bereich Liegenschaften entgegen, inklusive Fotos. Die gesammelten Anliegen sendet der Bot direkt per E-Mail an den Kunden-Support.

Vorreiter Amazon und Google 

Im kontinentaleuropäischen Raum und insbesondere in der Schweiz sind Conversational Interfaces im E-Commerce- Bereich heute erst selten in der Praxis anzutreffen. Sie befinden sich in der frühen Konzeptionsphase. Das liegt einerseits an der Komplexität, welche die Shopbots bewältigen müssen (zum Beispiel Webshop-Integrationen mit stetiger Stammdatenaktualität). Andererseits stehen die globalen Marktführer Amazon und Google in der Schweiz noch nicht für das Voice Shopping zur Verfügung. 
Amazons Alexa lässt sich noch nicht mit einem Schweizer Account einrichten, denn die erforderliche Konfigurations-App ist hierzulande nicht abrufbar. Hingegen lassen sich die Google Home Speaker seit Oktober 2019 offiziell über den Google Store kaufen. Die Devices sind beim Anwendungsfall Voice Shopping den anderen Anbietern vo­raus. Zwar ist Apples Siri die Nummer eins in der Schweiz, jedoch ist ihr Einsatzgebiet nicht das Online-Shopping. Auch Cortana von Microsoft wurde per Ende 2019 auf den mobilen Apps abgestellt, da sie stärker in die Office-365-Welt eingebettet wird, also wiederum eher im Umfeld der Produktivitäts-Apps ihren Schwerpunkt findet. 

Nutzen von Shoppingbots 

Allenthalben stehen Unternehmen vor der Herausforderung, die steigende Anzahl der Customer-Service-Anfragen effizienter und kostengerechter zu lösen. Hierzu eignen sich Shopbots ideal, weil sie verzögerungsfrei sowie rund um die Uhr antworten und insbesondere bei Fragen zum Bestellprozess, zum Produkt oder bei der Stilberatung unterstützen können. Sie adressieren die – laut einer Studie der Universität St. Gallen – zwei grössten Hindernisse beim Online-Kauf: die fehlende persönliche Beratung und die mangelnde Beurteilungsmöglichkeit. Nicht zuletzt können mit den digitalen Agenten die Personalkosten im Customer Service um fast ein Drittel gesenkt werden. 
Das sind die präferierten Conversational-Commerce-Plattformen in der Schweiz
Quelle: ZHAW School of Management and Law
Die Konsumenten haben ihre eigenen Präferenzen bei den Shopping-Assistenten: Laut einer Online-Umfrage der ZHAW School of Management and Law wünscht sich ein gutes Drittel der 130 befragten Schweizer einen Einkaufs­assistenten als App auf dem Smartphone oder Tablet. Für 27 Prozent sollte ein Bot direkt in den Webshop integriert sein und knapp ein Viertel präferiert einen Shopbot auf WhatsApp. Weiter zeigt die Studie, dass Sprachassistenten auf Google Home gegenüber beispielsweise Facebook Messenger Bots für das Online-Shopping bevorzugt werden.

Lauschangriff via Alexa

In der Vergangenheit haben sowohl Mitarbeiter von Amazon als auch von Google einige Kommunikations­ausschnitte der Nutzer ausgewertet. Hintergrund ist, dass es sich bei der Spracherkennung um «Supervised Machine Learning» handelt: Der Mensch «überwacht» und gibt gewisse Regelparameter zur Optimierung der Algorithmen vor. 
Alexa und Google Home sind deshalb so intelligent, weil sie auf Basis riesiger Datensets der Nutzer ihr Modell trainieren können. Bei Amazon sind in der Alexa-App alle Sätze ersichtlich, die sie beantwortet hat. Die Sätze können aber auch gelöscht werden, ähnlich wie beim Browserverlauf. Bei Google Home sind die eigenen Sätze nicht ersichtlich, jedoch über eine Funktion löschbar über «OK Google, lösche meine letzte Unterhaltung». Im Prinzip lassen sich per­sonenbezogene Informationen durch den Nutzer konfigurieren, wie das «Voice Match», das wie beim Finger­abdruck die spezifische Stimme des Nutzers erkennen kann. Der Vorteil hier ist, dass der Assistent dem Nutzer personalisierte Dienste anbieten kann, andere Personen diese Einstellungen aber nicht über die Sprachsteuerung abrufen können. Dies ist auch ein Sicherheitsmechanismus für Beta-Versionen in der Entwicklung. 
Apple hingegen stellt als erster Hersteller die Richt­linien für das «Grading», also die Qualitätsmessung durch Audio-Stichproben und den Datenschutz, um. Audiofiles werden nur über die aktive Zustimmung des Nutzers an Apple geschickt, ansonsten werden für das maschinelle Lernen vom Computer generierte Protokolle analysiert. Apple bestätigt, dass die Audiodaten ihrer Siri-Anfragen per Herbst 2019 nicht mehr gespeichert und dass die Siri-Daten nicht mit der Apple-ID oder der Telefonnummer mit der Identität des Nutzers verknüpft werden. 

V-Commerce in der Schweiz 

Bis zum Jahr 2023 erwarten Schweizer Unternehmen vermehrt die Nutzung von künstlicher Intelligenz sowie von Digitalagenten. Die Mehrheit der Befragten im «Schweizer E-Commerce Report» glaubt an Voice Commerce (V-Commerce). Klar ist, dass «Order by Voice» in den Nachbarländern schon stärker etabliert ist: 60 Prozent der Deutschen nutzen bereits Sprachassistenten, davon 30 Prozent intensiv. 2019 waren es 37 Prozent der Schweizer via Smartphone, davon planten 13 Prozent, demnächst auch einen Smart Speaker zu nutzen.
“Wir reden dreimal schneller, als wir am Smartphone tippen„
Roger Seiler, ZHAW
V-Commerce wird einen ähnlichen Adaptionsverlauf aufzeigen, wie E-Commerce es tat: Die Anbieter und Händler digitaler Produkte sollten ihrem Brand einen einzigartigen persönlichen Assistenten verleihen. Es geht nicht nur darum, auch neu «Conversation» anzubieten, sondern im B2B- und B2C-Bereich starke Kunden­beziehungen und -erlebnisse zu realisieren, die zuvor nicht möglich waren. Einerseits werden Digitalagenten bis 2025 Detailarbeiten beim Checkout-Prozess im Online-Shopping übernehmen. Andererseits werden sie die Suche nach dem passenden Anbieter erleichtern. Da die Kommunikation mithilfe der Sprache natürlicher und intuitiver ist, erfahren Unternehmen eher anhand des Gesprächs die Bedürfnisse und Probleme des Kunden. 
Sprachassistenten sind vor allem dort gut eingesetzt, wo die Hände besetzt sind: am Lenkrad oder beim Kochen. Besonders hilfreich ist die Sprache für die Steuerung von Smart Devices für sehbeeinträchtigte Personen. Heute können viele Bots in der Schweiz allein Auskünfte über Produkte und Dienstleistungen geben. Jedoch ist es nur eine Frage der Zeit, bis Payment-Lösungen auch für die Digitalassistenten hierzulande freigeschaltet werden. Dies könnte der Nutzung dieser Systeme weiteren Schub ver­leihen und dann das V-Commerce-Zeitalter auch in der Schweiz endgültig einläuten.
Zusammenfassung
Umsetzungstipps für Shopping-Assistenten
In der Praxis gibt es bisher kaum zufriedenstellende Shopbots. Anhand empirischer Studien lassen sich folgende Merkmale für erfolgreiche Shopbots nennen: 
  1. Fokus auf eine Hauptfunktion
    Vertikale Assistenten, die domänenspezifische Konversationen führen (zum Beispiel nur Elektronik), sind einfacher mit Bot-Systemen und künstlicher Intelligenz umsetzbar als Social Media Bots, die über sehr viele Domänen sprechen können müssen. 
  2. Erlebnisfördernde Eigenschaften
    Humorvolle, abwechselnde Interaktionen beeinflussen massgeblich die Zufriedenheit mit dem Shopbot. 
  3. Vertrauen als Erfolgsfaktor
    Eine zufriedenstellende User Experience beeinflusst das Vertrauen in den Digitalagenten. Daher sind sichere Zahlungsprozesse und hochwertige Text-to-Speech-Synthesen vertrauensbildend und zentral. Das Vertrauen beeinflusst signifikant die Kaufabsicht im Online-Shopping, belegen Studien. 
  4. Spezifische Warengruppe
    Shopbots eignen sich für wiederkehrend zu kaufende Artikel (zum Beispiel Kolonialwaren, Kosmetikartikel, Putz- und gewisse Haushaltsartikel). 
  5. Logistik und Lieferung
    Schnelle, gebührenfreie Lieferungen als Gesamterlebnis. 
  6. Multimodalität
    Die Spracheingabe ist zentral bei Shopbots, denn sie ist dreimal schneller als das Tippen. Für Produktübersichten eignen sich Visualisierungen optimal, weil sie schneller aufgefasst werden können.
Die Autoren
Nina Habicht und Roger Seiler
Nina Habicht unterstützt Start-ups und Konzerne bei der Entwicklung von Produkten sowie Visionen. Sie ist Gründerin der Plattform Voicetechhub.com und unterstützt als Partnerin des Start-ups Paixon bei der Umsetzung von Sprach­assistenten. Roger Seiler ist stellvertretender Studiengangleiter Wirtschafts­informatik sowie langjähriger Dozent an der ZHAW School of Management and Law.




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