Handwerk, Fachhandel, Industrie 10.12.2019, 12:55 Uhr

Die richtige Shopsoftware im B2B-Umfeld

Ob Handwerk, Fachhandel oder Industrie: Auch im B2B-Umfeld werden Produkte ­zunehmend online bestellt. Damit der B2B-Shop den Anforderungen der Zielgruppe gerecht werden kann,  benötigt die Shopsoftware spezielle Funktionen.
(Quelle: shutterstock.com/Daisy Daisy)
Rund 300.000 Artikel umfasst der ­Online Shop "EVI" der Adalbert ­Zajadacz GmbH in Neu Wulmstorf: von Akkus und Batterien über Kabel aller Art, Messgeräte und Werkzeuge bis hin zum Zubehör für Stahlpanzerrohre. Der Elek­trogrosshändler vor den Toren Hamburgs liefert Elektrohandwerkern, dem Elektrofachhandel und der Industrie das, was sie täglich für ihre Arbeit brauchen. Seit gut zehn Jahren können die mehr als 10.000 Geschäftskunden online bei Zajadacz ­bestellen - etwa die Hälfte von ihnen nutzt den Online Shop aktiv.
Die grösste Herausforderung eines solchen B2B-Shops (B2B: Business-to-Business) ist für Rene Becker die Komplexität: "Wir haben sehr spezielle Zielgruppen, die sich deutlich voneinander unterscheiden", berichtet der Leiter E-Sales und E-Services bei Zajadacz. "Kunden aus der Industrie dürfen oft nicht direkt bei uns bestellen. Sie nutzen den Shop vorwiegend als Informationsquelle. Der stationäre Fachhandel zeigt seinen Kunden in unserem Shop, wie ein bestimmtes Produkt aussieht - braucht also grosse, schöne Bilder. Und der Handwerker schliesslich kennt seine Produkte und will einfach nur schnell bestellen, zum Beispiel weil er auf der Baustelle dringend mehr Teile braucht." Deswegen kann der Kunde bei Zajadacz auch zwischen einer Galerieansicht mit Bildern und einer einfachen Listenansicht für den schnellen Überblick wählen.

Kundenindividuelle Preise, Verfügbarkeit und Lieferzeit

Eine der wichtigsten Funktionen im Shop ist für Becker die Suche: Sie muss schnell und effektiv funktionieren und erkennen, was gemeint ist, wenn der Kunde Strapse (Kabelbinder), Schildkröten (vergitterte Schutzlampen) oder Bulleneier (geschlossene Schwimmschalter) sucht. Selbst der Innendienst von Zajadacz nutzt die Shop-Suche, "weil sie so viel besser ist als die im ERP-System [Anm. der Redaktion: Enterprise Resource Planning]", so Becker. Bei Zajadacz ergänzen an die 30 verschiedene Produktkonfiguratoren die Suche: Sie zeigen an, welches Zusatzmaterial bei der ­Verwendung eines Produkts nötig ist und sorgen so dafür, dass der Kunde alle nötigen Teile für eine Installation bestellt.
Weitere wichtige Funktionen in seinem B2B-Shop sind für Becker die Darstellung der kundenindividuell vereinbarten Preise und die Echtzeitanzeige von Verfügbarkeiten und Lieferzeiten - und das im Zentrallager wie auch in den Niederlassungen. Nur so kann der Kunde spontan entscheiden, ob es sich lohnt, dass ein Mitarbeiter die Ware schnell in der nächstgelegenen Niederlassung abholt. Dem Grosshändler ist auch wichtig, dass sich der Kunde Waren zu ­einem individuell festgelegten Termin an einen bestimmten Ort, etwa direkt auf die Baustelle, liefern lassen kann.

Oxid-Shop an das ERP-System angeschlossen

Um all diese Daten performant bereitstellen zu können, hat Zajadacz den Shop an sein eigenentwickeltes ERP-System ­angeschlossen. Dieses verfügt über ein ­integriertes Product-Information-Manage­ment-System (PIM). Der Shop selbst läuft auf der B2B-Variante von Oxid eSales.
Ergänzend kommen für die Verwaltung und die Synchronisation der Produktdaten die Content-Syndication-Lösung von Loadbee und das Produktdaten-Tool von Oxomi hinzu. Umgesetzt wurde der Shop von der Agentur Cgrd in Hamburg. Für Becker ist entscheidend, dass sein Unternehmen das Backend von Oxid mithilfe der eigenen Agentur selbst weiterentwickeln kann.

B2B-Besonderheit: Rechte- und Rollenverwaltung

Von besonderer Bedeutung im B2B-Umfeld ist eine Rechte- und Rollenverwaltung im Online Shop. Über sie kann der Kunde festlegen, welcher Mitarbeiter Produkte nur recherchieren, wer sie bis zu welcher Summe bestellen darf und wer grössere Bestellmengen freigeben muss. "Im Idealfall kann der Kunde sogar festlegen, dass der Mitarbeiter X in den kommenden drei Wochen, in denen der ­eigentlich Berechtigte im Urlaub ist, ­Bestellungen tätigen darf", verdeutlicht Becker.
Auf diese Weise können die Kunden ihre Geschäftsprozesse abbilden, was eine deutliche Erleichterung und Beschleunigung des Einkaufs ermöglicht. Eine entsprechende Funktion ist daher Grundbestandteil einer guten B2B-Shopsoftware.

Alte Gewohnheiten der Kunden verändern

Doch nicht immer sehen die Kunden ­diese Vorteile sofort: "Die Eingewöhnung unserer Kunden ist nach wie vor der anspruchsvollste Part", erklärt Michel Kahrs, ­Geschäftsführer des Bremer Holzfachhandels Kahrs GmbH. Der Mensch sei als Gewohnheitstier Veränderungen gegenüber nicht immer aufgeschlossen. "Ein Kunde, der vorher per Mail oder Telefon bestellt hat, lässt sich deutlich leichter auf Online-Bestellungen umstellen als ein Kunde, der die Bestellung über das hauseigene ERP-System und per EDI vornimmt", weiss Kahrs.
Denn wer prinzipiell über das ERP-System und den elektronischen Datenaustausch EDI bestellt, muss bei einer Bestellung im Online Shop alle Daten doppelt erfassen. Daher laufen bei dem Holzhändler noch immer viele Bestellungen über Telefon und Mail. Um das zu ändern, "müssten wir schon tief in die Trickkiste greifen und beispielsweise Rabatte anbieten", meint Kahrs. Da seine Kunden aber häufiger Waren für 5.000 oder 10.000 Euro bestellen, würden auch nur zwei Prozent Skonto für die Nutzung des Online Shops den Gewinn spürbar schmälern. "Dafür kann ich etliche Bestellungen selbst händisch erfassen", rechnet er vor.

"Im B2B muss es kurz und knackig ablaufen"

Dennoch überlegt Kahrs, mehr Kunden den Shop schmackhaft zu machen, etwa über How-to-Anleitungen zum Einrichten der Rechte- und Rollenverwaltung. Seiner Meinung nach ist die zentrale Anforderung an eine B2B-Shopsoftware das Verständnis dafür, dass sich der Bestellprozess in einem Unternehmen von dem von Privatpersonen unterscheidet. In Unternehmen gibt es Berechtigungen und Freigabeprozesse für den Einkauf. Denn ohne eine solche Funktion lassen sich die individuellen Bestellprozesse im Unternehmen schlicht nicht abbilden.
Daneben schätzt Kahrs die Möglichkeit, dass Kunden schnell und unkompliziert gleiche Artikel wiederholt bestellen können. Dies sollte seiner Meinung nach auch in einer personalisierten Navigation berücksichtigt sein, damit der Einkauf so unkompliziert wie möglich ist. "Endverbraucher wollen ein aufregendes Shopping-Erlebnis, im B2B muss es kurz und knackig ablaufen", betont er.
Insgesamt ist Kahrs durchaus zufrieden mit dem Shop, der vor rund eineinhalb Jahren mit etwa 3.000 Artikeln plus Varianten online ging. Die meisten der 3.000 registrierten Shop-Kunden nutzen das Angebot, um Lagerbestände und Lieferzeiten zu prüfen. "Das ist ein grosser Vorteil für uns, weil die vielen telefonischen Rückfragen nach Lagerbeständen wegfallen", hebt Kahrs hervor.

Qual der Wahl: Kahrs-Shop läuft auf Shopware

Der B2B-Shop von Kahrs läuft auf einer 5er-Version von Shopware. Er ist mit dem ERP-System des Händlers, in diesem Fall Microsoft Dynamics NAV, bidirektional verknüpft, sodass sowohl Kunden- und Artikeldaten als auch Lagerbestände in Echtzeit synchronisiert werden.
Bei der Auswahl hatte sich Kahrs auch Systeme wie Oxid eSales und Magento ­angeschaut. Bei Magento hat ihn vor allem der Eigentümerwechsel von eBay zu einer Investorengruppe und schliesslich zu Adobe sowie der Wechsel von Magento1 zu Magento2 abgeschreckt. "Letztlich ist ­nobody perfect und ich kann nur schauen, wo ich mir die wenigsten Probleme einkaufe", so Kahrs. Das grösste Problem für ihn bei Shopware ist der Kundensupport. Er ­bemängelt lange Reaktionszeiten und eine schlechte Qualität des Kundensupports, was leider auch für Enterprise-Kunden gelte. "Wenn wir einen Fehler finden, stehen wir daher öfter vor der Wahl, ob wir so lange warten, bis der Hersteller ihn ­behebt, oder ob wir selbst Geld in die Hand nehmen und das Problem lösen", schildert Kahrs das Dilemma. Doch solche Probleme ­gebe es wohl überall, meint er.

Drei Kriterien für die Wahl des Shopsystems

Für die Auswahl eines B2B-Shopsystems sind nach Ansicht von Ralf Lieser, Head of Technology Management bei der Agentur Netz98, drei Faktoren entscheidend. Als Erstes muss die Shop-Lösung gut in die ­bestehende IT-Systemlandschaft passen. Moderne Systeme setzten daher auf eine API-First-Strategie. Das bedeutet, dass das System über offene Schnittstellen (API) verfügt, über die sich verschiedene Lösungen miteinander verbinden lassen. "Dadurch kann ein Unternehmen ­beispielsweise sein ERP von SAP mit einem Magento-Shop und dem Customer-Relationship-Management (CRM) von Salesforce verbinden und die für es am besten geeigneten Systeme zusammenbringen", erklärt Lieser.
Zum Zweiten sollte ein B2B-Shopsystem skalierbar sein, und zwar sowohl technisch über eine dynamische Anpassung in der Cloud als auch architektonisch. Das bedeutet, dass der Shop in einzelne ­Module unterteilbar ist, sodass zum Beispiel die Warenkorbfunktion oder das Kundenkonto isoliert verändert und dann in einer neuen Version in das Gesamtsystem reintegriert werden können.

Modular, skalierbar und headless in die Zukunft

Zum Dritten sollte das Shopsystem headless sein, also Backend und Shop-Front­end trennen. Dadurch können an das ­Backend, das die Shop-Verwaltung und den Betrieb sicherstellt, verschiedene Frontends als Ausgabesystem angedockt werden. Ein Beispiel: An ein Shop-Backend können ein klassischer Online Shop, eine sprachbasierte Lösung, etwa ein Amazon Skill für den smarten Lautsprecher Amazon Echo, und eine mobile Anwendung, beispielsweise für den Aussendienst, angebunden sein. "Das Ziel ist, die maximale Freiheit zu bekommen, um alles abbilden zu können, was in Zukunft als Vertriebs­wege entstehen wird", verdeutlicht Lieser.
Ausserdem können über solche Shopsysteme besondere Anforderungen im B2B-Handel besser umgesetzt werden. Spielen ERP- und Shopsystem gut zusammen, können die komplexen, kundenindividuellen Preise aus dem ERP-System kommen, das Shop-System holt sie dort ab und gibt sie an ein beliebiges Shop-Front­end weiter. Auch komplexe Lieferanforderungen lassen sich so leichter darstellen, etwa wenn Ware an eine bestimmte Baustelle geliefert werden soll, für das Entladen ein Bagger nötig ist und dieser dafür mindestens 50 Liter Diesel im Tank haben muss. Das kann ein Shopsystem allein fast nicht leisten, wohl aber ein im Hintergrund laufendes ERP-System.
Gleichzeitig warnt Lieser vor einer Feature-Jagd: Nicht alle Funktionen, die von Shop-System-Herstellern angepriesen werden, sind immer notwendig. "Die Frage sollte immer lauten: Ist das für mein ­Business sinnvoll? Erleichtert es meinen Kunden den Einkauf?", betont der Berater.




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