Retouren im E-Commerce 08.07.2018, 10:59 Uhr

Retourenmanagement: Alternativen zur Müllpresse

Die Zerstörung von Retouren bei Amazon sorgt für Aufsehen. Denn ein professionelles Retourenmanagement bietet viele Optionen, damit Rücksendungen nicht im Müll landen.
(Quelle: Hermes)
Für Jens Lippert, Abteilungsleiter Customer Experience & Service bei dem Elektronikversender Cyberport, ist Amazon zumindest in einer Hinsicht kein Vorbild: beim Umgang mit Retouren. Wie Medienberichte enthüllten, vernichtet der Online-Gigant jeden Tag kurzerhand Zehntausende retournierter Artikel. "Wir zerstören in der Regel keine Ware", stellt Lippert klar. Für Cyberport habe vielmehr die Vermeidung von Retouren Priorität. Das fange bereits bei der Sortimentsauswahl an. So listet der Online-Händler Lippert zufolge Artikel mit hohen Retourenquoten konsequent aus. Zudem investiert der Elektronikversender in sein Customer Care Center. Mit kompetenter Beratung liessen sich viele Retouren vermeiden, so Lippert. Und auch der Missbrauch des 30-tägigen Rückgaberechts werde so minimiert - der persönliche Kontakt mit dem Kundencenter stelle hier eine effektive "soziale Hürde" dar.

Klar definierte Retourenprozesse

"Wir nutzen bewusst keine Versandservices von Amazon oder anderen Marktplätzen": Jens Lippert, Abteilungsleiter Customer Experience & Service Cyberport
Quelle: Cyberport
Trotzdem bleibt auch Cyberport von Retouren nicht verschont. Dafür habe das Unternehmen klar definierte Prozesse, berichtet Lippert: "Wenn Ware zu uns zurückkommt, wird zunächst nach engen Vorgaben geprüft, ob diese wieder als Neuware verkaufbar ist." Wenn nicht, würden zurückgesendete Artikel als B-Ware innerhalb der Outlet-Kategorie des Online-Shops verkauft. Erlaubt der Zustand eines Artikels auch das nicht mehr, werde die Ware an Verwerter verkauft - mit kräftigen Abschlägen von bis zu 70 Prozent. Trotzdem, so Lippert, gebe es keinen Fall, in dem die Zerstörung von Waren für Cyberport kostengünstiger sei als die Verwertung von Retouren. Der Elektronikversender ist zwar als Händler auf dem Amazon Marketplace aktiv, Aussagen über den Umgang des Online-Giganten mit Retouren kann Lippert allerdings nicht treffen. Denn: "Wir nutzen bewusst keine Versandservices von Amazon oder anderen Marktplätzen. Bei kundensensiblen Services wie der Retoure oder Reklamationen ist es uns wichtig, dass Cyberport der direkte Ansprechpartner für den Kunden ist."
Doch Cyberport hat sein Retourenmanagement nicht nur vorbildlich organisiert, das Unternehmen stammt auch aus einer Branche, die von der Rücksendeproblematik weniger stark getroffen ist als andere Online-Segmente. "Vor allem im Fashion-Bereich ist das Problem deutlich grösser", berichtet Oliver Lucas von der Beratung Ecom Consulting. Modeartikel würden als Retoure nur selten originalverpackt zurückgesendet. Um diese wiederaufzubereiten, brauche es "Zeit, Liebe und Mate­rial", so Lucas. "Wann das noch Sinn ergibt und wann nicht, ist letztlich eine wirtschaftliche Überlegung." Zu versuchen, die Retourenquote zu senken, sei hier in den meisten Fällen keine realistische Option. "Bei Curated-Shopping-Anbietern gehört die Retoure beispielsweise sogar zum Geschäftsmodell."
"Ab einer gewissen Grössenordnung werden Retouren zu einem industriellen Prozess": Oliver Lucas, Geschäftsführender Gesellschafter Ecom Consulting
Quelle: Ecom Consulting
Die Medienberichte über Warenzerstörung bei Amazon findet Lucas deshalb zu einem Teil heuchlerisch. "Was dort passiert, ist für den Handel in vielen Fällen repräsentativ", erklärt der E-Commerce-Berater. Kein Händler werfe Ware einfach so in den Müll, sondern nur nach sorgsam festgelegten wirtschaftlichen Kriterien. Wichtiger als die Skandalisierung von Amazon findet es Lucas, dass Händler sich fundiert mit der Retouren-Problematik auseinandersetzen. "Ein kleiner Händler mit zehn Retouren pro Woche kann sich noch händisch darum kümmern. Doch ab einer gewissen Grössenordnung werden Rücksendungen zu einem industriellen Prozess, den es effizient zu organisieren gilt."
Grundsätzlich müssten sich Händler überlegen, ob sie das Retourenmanagement inhouse erbringen könnten oder besser an einen Dienstleister auslagerten. Die Prozessschritte bleiben laut Lucas allerdings die gleichen: Die Ware muss dem jeweiligen Kunden zugeordnet und schnell gutgeschrieben werden. Dann gilt es, den Zustand der Retouren zu bewerten und A-Ware rasch wieder in Umlauf zu bringen. Für alle zurückgesendeten Artikel, die hier durch das Raster fallen, biete sich die Zusammenarbeit mit Aufkäufern an. "Doch auch Verwerter verlangen für die Weiterverwendung der Ware Geld. Und wenn irgendwann immer weniger Marge übrig bleibt, stellt sich schliesslich die Frage, ob man sich nicht lieber ganz von der Ware trennt", gibt Lucas zu bedenken.

Recommerce-Anbieter profitieren von Retouren

Dass Rücksendungen nicht einfach der Zerstörung zugeführt werden, liegt auch im Interesse von Recommerce-Anbietern wie Rebuy. "Das Retouren-Geschäft ist gewissermassen unser Kerngeschäft", erklärt Wolfgang Röbig, CCO des Unternehmens. "Im einen Fall kaufen wir vom Privatkunden ein Gerät an, das dieser nicht mehr haben möchte. Und im anderen Fall nehmen wir an den Bieterverfahren teil, über welche die grossen Händler regelmässig ihre Retouren verkaufen." Bei solchen Versteigerungen sei die ganze Bandbreite an Waren dabei: Manche Artikel seien fast neuwertig, andere in einem deutlich schlechteren Zustand.
"Dennoch wollen wir in jedem Fall verhindern, dass Ware auf dem Müll landet. Was nicht auf unserem Portal verkaufbar ist, bieten wir als defekte Ware auf Online-Marktplätzen an oder nutzen die Geräte, um aus ihnen Ersatzteile für Reparaturen zu gewinnen", erklärt Röbig. Nur ein ganz kleiner Teil der Waren lande am Ende bei dem Entsorgungspartner von Rebuy. Berichte über die Zerstörung von Retourenware wie bei Amazon findet der CCO des Recommerce-Anbieters sehr bedenklich - schliesslich sollte eigentlich jedes Unternehmen sein Bestes geben, um zu vermeiden, dass verwertbare Ware auf dem Müll lande.
Palettenweise werden Retouren bei Amazon dem Müll zugeführt.
Quelle: ZDF/Screenshot
Röbig sieht dahinter eine bedenkliche Entwicklung in der Industrie, zu der auch Themen wie die "Obsoleszenz" von Produkten - die eingeplante Kurzlebigkeit von Elektrogeräten - gehörten. Recommerce-Anbieter wie Rebuy seien dagegen aus dem Nachhaltigkeitsgedanken entstanden und wollten dieser Wegwerfmentalität entgegenwirken. In der Tat befindet sich die Branche im Aufwind: Rebuy und Wettbewerber wie Flip4New, Wirkaufens oder Back Market melden kräftiges Wachstum.

Keine Alternative zur kostenlosen Retoure

Neben den Recommerce-Anbietern stellen Retouren-Dienstleister die wichtigste Anlaufstelle für Händler dar, die das Thema nicht selbst managen wollen oder können. Zu den wichtigsten Playern auf dem Markt gehören Konzerne wie Arvato oder Hermes, aber auch kleinere Logistikunternehmen wie beispielsweise Portica. Dessen Vertriebsleiter Martin Wielens beobachtet, dass sich viele Kunden beim Thema Rücksendungen in einer Zwangssituation befinden: "Sie würden sich gerne von dem Modell der kostenlosen Retouren verabschieden, können es aber nicht, weil das nun einmal in vielen E-Commerce-Bereichen Standard ist."
Was folgt, sei eine Abwägung der zur Verfügung stehenden Optionen. "Wenn man das Ganze ökonomisch durchrechnet, gibt es natürlich eine Grenze, ab der eine Entsorgung von Retourenware die kostengünstigste Option darstellt. Denn auch das Retourenmanagement kostet einen Teil der Marge." Dennoch kennt Wielens kein Unternehmen, das Retouren unbesehen zerstören lasse - im Gegenteil: "Vielen liegt heute das Thema Nachhaltigkeit sehr am Herz, auch beim Umgang mit Rücksendungen."




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