Wirtschaftlicher Druck 02.09.2019, 13:05 Uhr

Retouren im Online-Handel: Ohnmächtige Händler?

Das "Matratzen-Urteil" hat die Verbraucherrechte beim Widerruf weiter ausgeweitet. Kleine und mittlere Online-Händler kommen dadurch wirtschaftlich unter Druck.
(Quelle: shutterstock.com/The Molostock)
Das sogenannte Matratzen-Urteil sorgt für Aufsehen, weil damit das bereits recht komfortable Rückgaberecht im E-Commerce weiter zugunsten der Verbraucher ausgeweitet wird: Der Kläger, Sascha Ledowski aus Mainz, hatte 2014 bei dem Online Shop Slewo.com eine Matratze bestellt, nach Lieferung ausgepackt und darauf geschlafen. Schnell stellte Ledowski fest, dass die Matratze zu hart war und machte sein Rückgaberecht geltend. Doch Slewo weigert sich, ihm das Geld zurückzuerstatten - schliesslich sei die Matratze ein Hygieneartikel und die Schutzfolie schon entfernt.
Ledowski zog daraufhin vor Gericht und bekam nach dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) nun auch vom Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe recht: "Bestellt ein Käufer im Internet eine Matratze, so kann er sie aus der Schutzfolie nehmen, sie ausprobieren und sie innerhalb von 14 Tagen zurückgeben, wenn sie ihm nicht gefällt", fasst BGH-Sprecherin Louisa Bartel das Urteil zusammen. Auch wenn die Schutzfolie entfernt sei, könne die Ware zum Beispiel durch Reinigung wieder verkaufsfähig gemacht werden, und es bestehe deshalb kein Grund, Matratzen vom allgemein geltenden Widerrufsrecht auszuschliessen.

Gefahr für KMU

Andreas Müller, Geschäftsführer des Elektronikversenders Deltatecc, verkauft zwar keine Matratzen, sieht das Urteil aber dennoch kritisch: "Es gibt Kunden, die ihr Widerrufsrecht recht rigoros auslegen. Grosse Händler wie Amazon und Zalando lassen das den Kunden durchgehen und können nicht mehr wiederverkaufbare Ware einfach in ihrer Mischkalkulation aufgehen lassen. Für kleine und mittelständische Händler ist das dagegen viel schwieriger zu kompensieren."
Müller berichtet, dass sein Unternehmen gerade selbst wieder von einem ähnlichen Fall betroffen sei: "Eine Kundin hat einen Staubsauger bestellt und zurückgesendet. Als das Gerät bei uns ankam, war es sehr stark verschmutzt - unter anderem mit Hundehaaren - sowie Filter und Düsen mit einem braunen Material verstopft."
Das Gerät sei so nicht mehr verkaufbar. Auf das Angebot, den Staubsauger entweder zu behalten oder den durch die Nutzung entstandenen Wertsersatzanspruch des Händlers zu akzeptieren, habe die Kundin mit Unverständnis reagiert. "Für den Händler wird es in so einem Fall schwer, sein Recht durchzusetzen - will er nicht einen Gerichtsstreit und die damit verbundenen Kosten und Risiken eingehen."
Die Retourenproblematik könne dabei für KMUs oder Start-ups durchaus existenzbedrohende Ausmasse annehmen, wie zuletzt der Fall Lesara gezeigt habe. Der Online-Modeversender hatte sich an den Logistikkosten verhoben und musste im Frühjahr schliessen.

Gesetzliche Nachbesserung gefordert

Deltatecc-Chef Müller sieht beim Thema Retourenmissbrauch die Politik in der Pflicht. Sie müsse den Verbraucherschutz klarer machen. "Wie im Geschäft sollte dem Kunden erlaubt sein, einen Artikel auszupacken und anzusehen, aber nicht gleich eine komplette Teststellung durchzuführen."
Eine entsprechende Klärung im Widerrufsrecht würde nicht nur kleine und mittlere Händler entlasten, sondern auch der umweltpolitischen Forderung nach weniger Retouren und einem Ende der Vernichtung retournierter Ware entgegenkommen.
"Händler sollten den Kunden so gut beraten, dass eine Retoure nicht mehr nötig ist": Eva Rohde, Referentin Recht des BEVH
Quelle: BEVH
Ähnlich sieht das auch Eva Rohde, Referentin Recht beim Versandhandelsverband BEVH: "Im Rahmen der Überarbeitung der EU-Verbraucherrechterichtlinie haben wir die angedachte Änderung, das Widerrufsrecht gänzlich auszuschliessen, wenn das Produkt über das normale Probieren hinaus benutzt wurde, sehr begrüsst und uns dafür eingesetzt." Da jedoch befürchtet worden sei, dass Händler dieses Recht missbrauchen und Kunden ihren Kaufbetrag nicht zurückzahlen würden, sei diese Änderung wieder gestrichen worden.
"Wir bedauern dies sehr, insbesondere da diese Befürchtung aufgrund des Reputationsschadens für den Händler und des drohenden Kundenverlustes gänzlich unbegründet ist", so Rohde. Das "Matratzen-Urteil" bezeichnet die BEVH-Referentin als 'ärgerlich'. "Die Richter des EuGH haben in ihrem Urteil keine Angaben dazu gemacht, was die Anforderungen an ein Siegel sind. Denn Hygieneartikel dürfen nur dann vom Widerrufsrecht ausgeschlossen werden, wenn sie mit einem Siegel versehen sind und dieses vom Verbraucher entfernt wird. Diese Thematik bereitet in der Praxis oft Schwierigkeiten, da beispielsweise nicht geklärt ist, ob eine einfache Schutzfolie bereits den Anforderungen an ein Siegel entspricht. Eine Klärung hierzu wäre wünschenswert gewesen."
Das "Matratzen-Urteil" schade damit auch den Verbraucherinteressen. Denn die Richter seien der Meinung, dass Matratzen ohne grosse Umstände wieder aufbereitet werden könnten und es zumutbar sei, solche Matratzen Kunden wieder anzubieten. "Faktisch sind aber wohl nur die wenigsten Verbraucher dazu bereit, solche Matratzen für ihr Schlafzimmer zu kaufen", so Rohde. Händler müssten sich wohl zunächst damit abfinden, dass es beim Widerrufsrecht keine einfache Lösung gebe. "Hätte das Gericht geurteilt, dass Matratzen vom Widerrufsrecht ausgeschlossen werden dürfen - welcher Verbraucher würde dann das Wagnis eingehen und online viel Geld für eine Matratze ausgeben, wenn er sie nicht zurückgeben dürfte?"
Daher sei es wichtig, dass die Händler auf die Interessen der Kunden eingingen. Gerade kleine Händler sollten versuchen, den Kunden so gut zu beraten, dass eine Retoure nicht mehr nötig sei.

Wertersatzanspruch als mögliche Lösung

"Es besteht nun eine gefestigte Rechtsprechung, die Händlern als stichfeste Orientierungshilfe dienen kann": Phil Salewski, IT-Recht-Kanzlei
Quelle: IT-Recht-Kanzlei
Dass das "Matratzen-Urteil" in Händlerkreisen für Aufregung sorgt, beobachtet auch Phil Salewski, Rechtsanwalt bei der Münchner IT-Recht-Kanzlei. "Auch wenn sich das Urteil nur auf die Unzulässigkeit eines Widerrufsrecht-Ausschlusses für Matratzen bezieht, hat es generelle Bedeutung für die Auslegung des Ausnahmetatbestands des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB."
Nach dieser Vorschrift existiert ein Widerrufsrecht nicht für Verträge zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde. "Diese Grundsätze lassen sich auf alle in Schutzfolie verpackten Textilien übertragen. Mit dem Urteil des EuGH wäre ein genereller Ausschluss des Widerrufsrechts für Textilprodukte aus Hygienegründen aber unzulässig."
Anwalt Salewski kennt auch noch andere Bereiche, in denen die Auslegung des Widerrufsrechts strittig ist. So sei lange darum gerungen worden, ob Massanfertigungen vom Widerrufsrecht ausgeschlossen seien. Inzwischen gebe es hier aber klare Grenzen: "Für einen Ausschluss des Widerrufsrechts erforderlich ist ein derart starker Personalisierungsgrad, dass das Produkt mit den potenziellen Bedürfnissen anderer Verbraucher schlichtweg inkompatibel und somit nicht mehr wiederverkaufbar ist."
Der Anwalt kann nachvollziehen, dass die immer weiter zugunsten der Verbraucher gehende Auslegung des Widerrufsrechts von vielen Händler kritisch gesehen wird. Doch die Händler stünden der Auslegung der Gerichte nicht machtlos gegenüber: "Für den Grossteil der auslegungsbedürftigen Ausschlusstatbestände des § 312g Abs. 2 BGB existiert inzwischen eine gefestigte Rechtsprechung, die Händlern als stichfeste Orientierungshilfe dienen kann." Zudem hätten die Händler mit dem Wertersatzanspruch nach § 357 Abs. 7 BGB ein wirksames gesetzliches Gegenmittel. "Entsteht im Rahmen des Widerrufs an der Ware ein Wertverlust infolge eines Umgangs, der zur Eignungsprüfung nicht notwendig war, kann der Händler diesen vom Verbraucher ersetzt verlangen. Ihm ist es sogar gestattet, den zurückzuzahlenden Kaufpreis mit dem Wertverlust zu verrechnen und so nur einen Teil oder bei vollständiger Wertlosigkeit gar nichts zurückzuerstatten", so Salewski.
Auch für den Streit hinter dem "Matratzen-Urteil" hätte das die Lösung sein können: "Speziell für Matratzen hatte bereits im Jahr 2012 das LG Köln entschieden, dass für eine Eignungsprüfung nur ein Testschlaf von einer Nacht notwendig und für Wertverluste für jede weitere Nacht ein Wertersatz von je sechs Prozent des Wertes im Neuzustand zu zahlen ist."




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