Branchenreport 04.11.2019, 07:01 Uhr

Online-Drogeriehandel: Das Rossmann-Dilemma

Im Online-Handel spielt das Drogeriesegment weiterhin kaum eine Rolle. Ist die Branche für den E-Commerce ungeeignet? Oder verschlafen die Stationären die Zukunft?
(Quelle: Rossmann)
Mitte Juli stieg die Drogeriekette ­Müller mit 26 Prozent bei dem E-Com­merce-Spezialisten Niceshops ein. In vielen anderen Branchen wäre die Meldung schnell in Vergessenheit geraten, doch im Drogeriesegment sorgte die Nachricht für Aufsehen - zählt der Handel mit Drogerieartikeln in Deutschland doch zu den Geschäftsfeldern mit den geringsten ­Online-Anteilen.
Der Verkauf von Toilettenpapier, Windeln und Zahnpasta biete nur geringe Margen, ausserdem sei die ­Warenkorbhöhe zu gering, so das gängige Urteil. Deshalb sei der Drogeriehandel nun einmal kein Online-Geschäft. Da nun mit Müller die umsatzmässig drittgrösste Drogeriekette in den E-Commerce investiert, lohnt also das genauere Hinsehen.
Müller betreibt seit 2013 einen eigenen Online Shop. Wie begrenzt bisher die Ambitionen jedoch waren, wird bereits an den Einschränkungen des Angebots deutlich: Nur langsam baute Müller das online verfügbare Sortiment aus und ­zögerte ­besonders dabei, Drogerieartikel im Netz anzubieten. Zudem liefert Müller bis ­heute Bestellungen ausschliesslich in die Filialen und bietet keinen echten Versandservice an.
Wenn nun Müller-Geschäftsführer Günther Helm erklärt, mit der Beteiligung an Niceshops wolle man "den Online-Handel von Müller auf eine neue Stufe ­heben und aggressiv ausbauen", besteht ­also noch viel Luft nach oben.
Einer der ersten Schritte beim E-Commerce-Ausbau soll denn auch die Ermöglichung von Heimzustellungen sein. Darüber hinaus plant Müller eine Professionalisierung der E-Commerce-Prozesse und die Online-Expansion in Auslandsmärkte.

Auf der Suche nach dem Mehrwert für die Kunden

"Es gibt kein generelles Problem, den Drogeriehandel online umzusetzen": Christoph Schreiner, Co-Geschäftsführer Niceshops
Quelle: Niceshops
Niceshops, das die Online-Aufholjagd von Müller möglich machen soll, ist bisher vor allem als Nischenanbieter in Erscheinung getreten. Das in der Nähe von Graz ansässige Unternehmen betreibt selbst mehr als 35 Online Shops, ist aber auch als Logistik- und E-Commerce-Dienstleister für Hersteller tätig.
Mit Sortimentsschwerpunkten in den Bereichen Freizeit, Naturkosmetik und Ernährung kommt Niceshops inzwischen auf rund 50 Millionen Euro Umsatz. "Die Idee zum Einstieg von Müller ist bei einem Besuch von Unternehmensgründer Erwin Müller an unserem Firmensitz entstanden", berichtet Niceshops-Geschäftsführer Christoph Schreiner.
Das österreichische Unternehmen ­habe in der Beteiligung der Drogeriekette eine Möglichkeit gesehen, das kapital­intensive Wachstum abzusichern und zu beschleunigen. "Für Müller bieten wir die Chance, Digital-Know-how mit Fokus auf den Endkundenzugang ins Haus zu holen", so Schreiner. Der Co-Chef von Niceshops ist davon überzeugt, dass es kein generelles Problem dabei gebe, den Drogeriehandel online umzusetzen: "Es gibt auch ­andere Segmente, die online derzeit noch unterrepräsentiert sind." In der Drogeriebranche werde sich das ändern, je mehr der Reifegrad der Online-Modelle zulege: "Es geht darum, den Kunden online einen Mehrwert zu bieten - denn wer stellt sich schon gerne im Geschäft an einer Kasse an?"

Profitable ­Warenkörbe

Eine weitere Herausforderung im Drogeriebereich sei es, an profitable ­Warenkörbe zu kommen. Müller habe das Potenzial dazu, diese Aufgabenstellungen zu meistern - auch wegen der grossen Sortimentsbreite, die weit über den Drogeriebereich hinausgehe. Doch zunächst müsse erst einmal die E-Commerce- und Logistik-Kompetenz zum Endkunden hin ­erhöht werden.
"Dass Müller sich dazu entschlossen hat, digitale Kompetenz ins Unternehmen zu holen, die man intern nicht so schnell hätte aufbauen können, finde ich klug", ­urteilt Spryker-Geschäftsführer und ­E-Commerce-Blogger Alexander Graf.
"Die Drogerieketten werden in Zukunft keine relevante Rolle mehr spielen": Alexander Graf, Spryker-Geschäftsführer und E-Commerce-Blogger
Quelle: Graf
Die Frage sei nun, ob Müller diese ­gekaufte Kompetenz halten und als Hebel nutzen könne: "Die grösste Gefahr für Müller wird nun sein, sich auf der Akquisition auszuruhen und die dringend nötigen internen Investments zu verzögern. Niceshops macht für Müller die Digitalisierung nicht billiger. Sie haben aber nun die Chance, mehr Geld etwas effizienter einzusetzen."
Denn das grosse Problem der Drogerieketten sei, dass man aus einer Filialdenke ­heraus niemals zu nachhaltig funktionierenden Online-Modellen komme - ein Sachverhalt, den Graf als "Rossmann-­Dilemma" bezeichnet. Denn bei der gleichnamigen Drogeriekette fehle es ­exemplarisch an fundamentalem Know how beim Thema Online-Handel. "Dann ist es besser, sich komplett vom Online-Geschäft zu verabschieden", so Graf.

Stationäre Strategien als Auslaufmodell

In der Tat zeigt Rossmann heute von den drei grossen Drogerieketten die geringsten E-Commerce-Ambitionen. Dabei startete das Unternehmen bereits 1999 einen ­Online Shop - als erster Marktteilnehmer in dem Segment. 2017 sorgte Rossmann zudem dadurch für Aufsehen, dass man sich in Berlin Amazons Schnelllieferdienst Prime Now anschloss. 2019 wurde die Zusammenarbeit mit Amazon jedoch wieder eingestellt. "Diese spezielle Art der Zustellung wird von unseren Kunden nicht nachgefragt", erklärt dazu Juniorchef ­Raoul Rossmann. "Die Kunden gehen lieber in die Märkte und wollen keinen Aufpreis zahlen, um sich die Sachen ins Büro liefern zu lassen."
Die Drogerieketten ­seien bei Auswahl, Verfügbarkeit und Erreichbarkeit besser als der Online-Handel. "Anders als bei den Textilanten gibt es bei uns keinen Grund, nicht zu uns zu kommen", so Rossmann. Bei dieser Einschätzung verwundert es nicht, dass Rossmann sein in diesem Jahr aufgelegtes Zukuftsprogramm mit einem Investitionsvolumen von 215 Millionen Euro ausschliesslich für die Eröffnung von mehr als hundert neuen Märkten verwenden will. Das Online-Geschäft sei mit einem Umsatzvolumen von 30 Millionen Euro unbedeutend und werde auch künftig nur auf niedriger Basis wachsen, erklärt dazu Manager Rossmann.

Marktführer DM

DM, der Marktführer unter den Drogerieketten, positioniert sich hingegen deutlich anders. Das Unternehmen startete seinen Online Shop zwar erst 2015, setzt seitdem aber auf einen zügigen Ausbau. Das im Netz verfügbare Sortiment wurde ­inzwischen deutlich über das stationäre Angebot hinaus verlängert, und neben kostenlosen Click & Collect Services bietet das Unternehmen auch einen regulären Versandservice.
In München startet DM nun einen Testlauf für einen Schnellbestellservice: Online bestellte Waren sind in 56 DM-Märkten bereits innerhalb von vier Stunden abholbereit. "Digitalisierung ist mehr als nur Online Shop" so das Credo von DM-Chef Erich Harsch. Neben der Bestellmöglichkeit im Internet hat der Firmenchef auch flächendeckendes WLAN in den Märkten sowie die Beratung mithilfe von Smartphones durchgesetzt. Der Online-Anteil von DM bewege sich derzeit zwar noch im niedrigen einstelligen Bereich, entwickle sich aber sehr positiv, so Harsch.
E-Commerce-Experte Graf sieht die Strategie von DM deutlich kritischer: "Aktuell denkt DM noch immer wie ein stationärer Laden und hat Angst, sich selbst Konkurrenz zu machen beziehungsweise mit Lieferungen zum Kunden Geld zu verlieren aufgrund der geringen Margen." Wie die anderen Drogerieketten werde auch DM mit seiner Strategie in Zukunft keine relevante Rolle mehr spielen können. Die Frage sei nur, wann diese Zukunft beginne. "Digitale Kanäle setzen sich ­immer dann durch, wenn sie in den relevanten Faktoren den alten Kanälen überlegen sind. Das ist im Drogeriebereich noch nicht der Fall. Eine gängige Annahme hierzu ist, dass es in diesen Segmenten nicht die Faktoren Preis, Angebot und Verfügbarkeit sind, sondern zusätzlich zu diesen der Serviceaspekt dominiert, insbesondere die Lieferung", so Graf.

Wer knackt den Online-Drogeriemarkt?

Der Branchenanalyst traut es allerdings auch E-Commerce-Grössen wie Amazon, Otto oder Zalando nicht zu, den Drogeriemarkt zu revolutionieren. "Diese Anbieter haben sich nicht auf das Thema Service und Lieferung spezialisiert, sondern auf Auswahl, Preis und Verfügbarkeit." Aktuell sei das Thema Drogerieartikel im ­Online-Kontext deshalb noch unbesetzt. "Für mich bringt bisher Picnic wohl die besten Voraussetzungen für dieses Segment mit", erklärt Graf. "Wenn ich wie bei Picnic das für mich relevante Sortiment morgen früh bekomme und nichts draufzahlen muss, dann schwenken die Kunden um."
Auch für Niceshops-Geschäftsführer Schreiner ist der Lebensmittellieferdienst aus den Niederlanden ein möglicher Kandidat, der den Online-Durchbruch im Drogeriesegment schaffen könnte: "Mit Picnic oder auch Flaschenpost entstehen gerade interessante neue Online-­Geschäftsmodelle rund um das Thema  Convenience, die auch für den Drogeriebereich grosse Relevanz haben."
Einer der wenigen Spezialshops im Drogeriesegment: Drogeriedepot.de
Quelle: Screenshot
Einer der wenigen unabhängigen ­Online-Unternehmer, die ihr Glück im Drogeriebereich suchen, ist Martin Jähnigen. Er gründete 2012 Drogeriedepot.de, brachte den Online Shop mit jährlichen Wachstumraten zwischen 20 und 25 Prozent 2018 auf 6,5 Millionen Euro Jahresumsatz und beschäftigt mittlerweile 20 Angestellte.
Seine Kunden gewann Jähnigen über klassische Kanäle wie Suchmaschinenmarketing und Preisvergleicher. "Das Online-Geschäft im Drogeriebereich ist gar nicht so schwer", meint der Unternehmer aus dem niedersächsischen Sarstedt. "Die grossen Ketten könnten das auch, die wollen nur nicht, weil sie so viele Filialen haben." Der stationäre Preiskampf mache es schwer, sich online über den Preis zu positionieren.
Sinnvoller sei es, mit Artikeln zu punkten, die es bei den Drogerieketten nicht gebe oder die dort ausgelistet seien. "Ausserdem gibt es genug Kunden, die nicht in den stationären Drogerien kaufen wollen. Wenn man denen einen guten Service und schnellen Versand bietet, akzeptieren sie auch, dass die Preise online etwas höher sind."
Was die Wettbewerbslage und die Entwicklungschancen im Online-Drogeriemarkt betrifft, hat Jähnigen eine eigene Sichtweise: "Picnic ist eine gute Idee. Aber man darf nicht ­unterschätzen, wie teuer die Logistikkosten werden, wenn man Drogerieartikel so schnell liefern will."
Sein grösster Wettbewerber ist heute vor allem Amazon - was der Drogeriedepot-Chef gar nicht so schlecht findet: "Grundsätzlich ist Konkurrenz in unserem Segment gut, damit die Leute endlich merken, dass auch Drogerieprodukte online kaufbar sind."



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