Rezensionsbetrug 04.07.2019, 12:02 Uhr

Händler-Sperrungen auf Amazon dauern an

Vor einem Monat sperrte Amazon viele Händler-Accounts. Der Vorwurf: Rezensionsbetrug. Die meisten der betroffenen Händler-Konten sind immer noch suspendiert, eine Entsperrung ist schwierig und langwierig - auch weil Amazon wenig Interesse an einer Vermittlung zeigt.
(Quelle: Amazon)
Anfang Juni blies Amazon zu einem neuen Angriff auf gefälschte und frisierte Kundenrezensionen, die auf der Plattform seit einigen Monaten zu bisher ungekannten Ausmassen anwachsen. Dutzende Händler-Accounts wurden gesperrt, Auch die Händler-Accounts von bekannten Bewertungsvermittlern wie AMZTigers, AMZStars, Amarate und anderen, bei denen Händler Bewertungen für ihre Produkte kaufen können, wurden suspendiert. Heute, fast einen Monat später, sind die meisten dieser Accounts immer noch inaktiv. 
"Account-Sperrungen aufgrund von Rezensionsverstössen haben in den letzten Wochen im Verhältnis deutlich zugenommen", beobachtet auch der Kölner Amazon-Berater Michael Frontzek, dessen Agentur MiToU sich seit Anfang Juni vor Hilfegesuchen von gesperrten Händler kaum noch retten kann. "Jede proaktive Tätigkeit, mit der Händler versuchen, den Rezensionsstatus ihrer Produkte zu beeinflussen, kann dazu führen, dass Amazon ihren Account ins Visier nimmt - und eventuell den Stecker zieht. Dabei gibt es sicher auch einige Kollateralschäden, bei denen es eigentlich unschuldige Händler auch erwischt."

Amazon stellt sich ungewöhnlich taub

Besonders bitter für diese "Kollateralschäden": Amazon zeigt sich noch unwilliger als bei Sperrungen üblich, mit den suspendierten Deliquenten in Kontakt zu treten, um eine Lösung herbeizuführen. "Normalerweise reagiert Amazon auf Anfragen zu Account-Sperrungen innerhalb weniger Tage, Händler bekommen dann eine kurze Erklärung und werden dazu aufgefordert, einen Massnahmenplan einzureichen", so Frontzek. "Bei den Sperrungen wegen Rezensionsverstössen, die wir aktuell betreuen, scheint das anders zu sein: Amazon reagiert so gut wie gar nicht auf Anfragen und antwortet auch nicht auf eingereichte Massnahmenpläne. Eine Sperrung wegen Rezensionsverstössen kann sich also empfindlich lang hinziehen und bis zur Komplettsperrung führen."
Das bestätigte gegenüber Internetworld.de auch ein Händler, der wohl aufgrund seiner früheren Verbindung zum Rezensionsvermittler ShopDoc (dessen Händleraccount immer noch suspendiert ist), ins Visier der Amazon-Ermittler geraten ist: "Amazon reagiert nicht auf unsere Anfragen zur Sperrung, wir bekommen keinerlei Erklärung. Wir haben einen Massnahmenplan an den Seller Service geschickt, auch darauf gab es keinerlei Reaktion." Mittlerweile hat es der Händler geschafft, seine Sperrung aufzuheben - doch viele andere Betroffene haben nicht so viel Glück.
"Grundsätzlich war es zu erwarten, dass Amazon in Sachen Rezensionen mal härter durchgreift", meint MiToU-Berater Frontzek. "Es hat sich eine Menge Wildwuchs in der Branche breit gemacht. Auf Rezensionsplattformen können echte oder gefälschte Rezensionen gekauft werden; das führt dann dazu, dass Produkte eine Woche nach dem ersten Listing schon über 300 Produkt-Bewertungen haben. Manche Plattformen sind sogar auf negative Bewertungen spezialisiert: Hier können Händler 1-Stern-Rezensionen für die Produkte ihrer Konkurrenten einkaufen. Das alles untergräbt die Glaubwürdigkeit der Plattform - und damit auch die der Händler - enorm."

Wie glaubwürdig sind 5-Sterne-Reviews noch?

Eine Untersuchung der US-Plattform Reviewmeta.com, die seit 2016 versucht, Fake-­Bewertungen auf Amazon mit eigenen Algorithmen aufzudecken, bestätigt Frontzeks These vom unkontrollierten Wildwuchs: Seit Anfang 2019 hat die Plattform rund 5,7 Millionen neue Reviews weltweit auf Amazon-Plattformen erfasst - nur 42 Prozent davon stammen aus "verifizierten Käufen", das heisst, die Produkte wurden von den bewertenden Kunden auf einer Amazon-Plattform erworben. Vor einem Jahr lag der Anteil der verifizierten Käufe an der Gesamtzahl der Bewertungen noch bei 91 Prozent. Und: 98 Prozent der Bewertungen aus nicht verifizierten Käufen gaben den jeweiligen Produkten eine glühende Fünf-Sterne-Bewertung. 
Verifizierte Käufer bewerteten im Vergleich deutlich differenzierter: 72 Prozent vergaben fünf Sterne, zehn Prozent vier Sterne, 8,5 Prozent nur einen Stern. Pikant: Bewertungen, die über Rezensionsdienstleister eingekauft und von einem Pool von Produkttestern verfasst werden, sind in der Regel nicht verifiziert.
Mit den massenhaften Sperrungen scheint Amazon jetzt ein Zeichen gegen die Rezensionsindustrie setzen zu wollen, die sich neben dem Marktplatz entwickelt hat und mit der Amazon auch rechtlich im Clinch liegt. Das Vorhaben stösst in der Händlerschaft auf Zuspruch, aber auch auf Kritik. "Ich finde es grundsätzlich gut, dass Amazon ehrliche Bewertungen aus echten Käufen haben will, zu viele Bewertungsfakes zerstören auf Dauer das Kundenvertrauen und das schadet dann auch uns Händlern", sagt beispielsweise ein Seller, der es nach vierwöchiger Sperre geschafft hat, die Suspendierung aufheben zu lassen. "Aber gefühlt erwischt es momentan vornehmlich deutsche Händler. Chinesische Verkäufer auf Amazon.de fälschen oft ganz offen und massenhaft ihre Bewertungen - und sie verkaufen ungestört weiter. Wenn Amazons Fokus wirklich auf echten, verifizierten Bewertungen liegt, ist es nicht einzusehen, dass das Vine-Programm nur für Vendoren, nicht aber für Seller zugänglich ist."
In den USA hat Amazon 2017 zusätzlich zum hauseigenen Rezensionsgenerator Vine, das nur Vendoren offen steht, das Early Reviewer Program eingeführt. Das Programm soll vor allem Rezensionen für neu eingeführte Produkte beschleunigen - was auch Sellern zugute kommt. Allerdings ist das Programm aktuell nur in den USA verfügbar, ob eine Einführung für den deutschen Markt überhaupt auf Amazons Plan steht, ist bisher unklar.



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