Cloud-Nutzung von Software 08.01.2019, 10:46 Uhr

Cloud-Lizenzen als Kostenfalle

Lizenzprobleme bei der Migration von Bestands-Software können teuer kommen. Allerdings führt kaum noch ein Weg an der Cloud vorbei. Unternehmen sollten jedoch stets eine Exit-Strategie parat halten.
(Quelle: Dukes / shutterstock.com)
Wenn der Software-Hersteller sich zu einem Lizenz-Audit ankündigt, verfallen viele Unternehmen wahlweise in Schockstarre oder hektische Betriebsamkeit. Die Sorgen sind nicht ganz unberechtigt, denn in vielen Unternehmen nimmt man es mit der Lizenzierung nicht so genau. Die Business Software Alliance (BSA), ein Interessenverband der Software-Hersteller, schätzt den Anteil der unlizenzierten Software in Deutschland auf 20 Prozent aller verwendeten Programme, ihren Wert auf 1,3 Milliarden Euro.
Stellt der Software-Hersteller im Audit eine Fehl- oder Unterlizenzierung fest, kann es teuer werden. „Ich habe Fälle bei Kunden erlebt, wo Lizenzkosten für zehn Jahre rückwirkend fakturiert wurden“, sagt Marvin Neumann, Director Sales & Marketing beim Internet-Service-Provider net.DE AG. „Da können sich die Nachzahlungen schon einmal im siebenstelligen Bereich bewegen.“
Mit dem Gang in die Cloud hat dieses Zittern ein für allemal ein Ende - das glauben zumindest viele Anwender. Schliesslich rechnen die Provider sofort und nutzungsabhängig ab, sodass eine Unterlizenzierung gar nicht erst entstehen kann. „Oft wird die Nutzung von Cloud-Services von Kunden als unkompliziert wahrgenommen“, beobachtet Stefan Wangler, Senior Consultant SAM beim IT-Dienstleister Axians IT Solutions.
Stefan Wangler
“„Der genutzte Service wird zum Teil aus der Cloud und zum anderen Teil aus der eigenen IT-Infrastruktur bedient. Somit entstehen hybride Lizenzierungsmodelle.“„
Stefan Wangler
Senior Consultant SAM bei  Axians IT Solutions
„Es lässt sich der Eindruck gewinnen, dass eine Kontrolle beziehungsweise Verwaltung nicht erforderlich ist, um eine Fehl­lizenzierung zu verhindern.“ Ein gefährlicher Irrtum, findet nicht nur Wangler.
„Das Lizenzmanagement wird durch die Cloud noch komplexer und aufwendiger“, sagt beispielsweise auch Jan Hachenberger. Er ist Vice President beim Software-Asset-Management-Spezialisten Anglepoint. „Und mit der Komplexität steigen auch die Risiken“, warnt Hachenberger.

Risiko: Lizenzmodelle

Vor allem wenn Unternehmen bestehende Lizenzen in die Cloud übertragen möchten, kann die Art der Lizenzierung für unliebsame Überraschungen sorgen. Betriebssysteme, Datenbanken, Middleware und andere Hardware-nahe Lösungen werden beispielsweise häufig nach der Zahl an CPUs oder Kernen in den Servern lizenziert, auf denen sie betrieben werden.
Das kann bei einer Cloud-Migration einiges kosten. „In der Cloud kann eine Applikation theoretisch auf Hunderten von Servern mit Tausenden von Kernen laufen, die alle korrekt lizenziert werden müssten“, erklärt Marvin Neumann von net.DE. Daher kämen oft Konstrukte zum Einsatz, die technisch wenig sinnvoll seien.
„Viele Lösungen liessen sich problemlos und ohne Performance-Einbussen virtualisieren“, erklärt Neumann. „Aus Kostengründen ist es aber besser, sie auf einem dedizierten Server zu betreiben und diesen an die Cloud anzubinden.“ Auch Cluster-Konstruktionen, bei denen sich mehrere Kunden die Ressourcen und damit auch die hohen Lizenzkosten teilten, seien eigentlich eine Krücke. „Das erzeugt zusätzlichen Managementaufwand und verhindert, dass man die ganze Dynamik der Cloud nutzen kann.“
Weniger problematisch sind auf den ersten Blick nutzerbasierte Lizenzmodelle. Sie lassen sich prinzipiell auch in der Cloud abbilden. Oft machen es allerdings komplexe Gebilde aus gerätebasierten, nutzergebundenen Named-User- und auf die Zahl gleichzeitig zugreifender Anwender bezogene Concurrent-User-Lizenzen schwierig, die beste Kombination für den eigenen Gebrauch zu finden. Besonders teuer kann es durch eine sogenannte indirekte Nutzung werden.
Applikationen greifen häufig über Schnittstellen auf andere Systeme wie Datenbanken, Java oder ERP-Lösungen zu, die auf den ersten Blick wie feste Bestandteile der Applikation wirken. „Dabei kann es zu Lizenzverletzungen kommen, ohne dass der Anwender überhaupt etwas davon mitbekommt“, sagt net.DE-Director Neumann, „die Frage der Haftung ist hier nicht so einfach zu klären.“
Welche Folgen das haben kann, zeigt das Beispiel Diageo. Der britische Getränkehersteller wurde 2017 von SAP auf über 54 Millionen britische Pfund (zirka 61 Millionen Euro) an nachträglichen Lizenzzahlungen verklagt. Das Unternehmen hat aus der Cloud-Lösung Salesforce heraus auf das mySAP-ERP-System des Unternehmens zugegriffen, unter der Annahme, dass die Zugriffe über die Lizenzen für das Messaging-System SAP PI abgegolten seien. SAP sah das allerdings anders – und die Richterin folgte im Wesentlichen den Ausführungen des Software-Herstellers.
Das Problem der indirekten Zugriffe ist zwar nicht cloud­spezifisch, wird aber durch die Nutzung von verteilten Ressourcen und Software-as-a-Service-Lösungen (SaaS) erheblich verschärft. Mit dem Grad der Vernetzung und der Zahl der Schnittstellen erhöht sich die Gefahr deutlich.
Zudem lassen sich Lizenzverstösse in der Cloud wesentlich schneller feststellen und ahnden als bei der traditionellen On-Premise-Nutzung.

Risiko: Einsatzszenarien

Auch die Art und Weise, wie Cloud-Ressourcen genutzt werden, kann lizenzrechtliche Probleme aufwerfen. Bei einer Hochverfügbarkeitsstrategie, bei der Ressourcen parallel auf mehreren Server-Instanzen laufen beziehungsweise lauffähig vorgehalten werden, kann dies zu zusätzlichen Lizenzkosten führen.
Jens Hellmund, Licensing Specialist beim IT-Dienstleister Comparex, erklärt dies am Beispiel Microsoft SQL-Server: „In einem Failover-Szenario ist die passive Instanz lizenzfrei, wenn der aktive Server unter Software Assurance steht und beide Server entweder On-Premise oder beide Server in der Cloud sind. Wenn der aktive Server jedoch On-Premise und der passive in der Cloud ist, muss auch der passive Server durchlizenziert werden.“
Bei Disaster-Recovery-as-Service-Szenarien kann sich ebenfalls Konfliktpotenzial ergeben. Hierbei werden Ressourcen in der Cloud als eine Art Hot-Stand-by vorgehalten, die beim Ausfall der lokalen Infrastruktur nahtlos deren Aufgaben übernehmen. Ob und in welchem Umfang dafür zusätzliche Lizenzen zu erwerben sind, ist oft unklar.
Jens Hellmund
“„Unternehmen sollten auf jeden Fall Lizenz­management betreiben.“„
Jens Hellmund
Licensing Specialist bei Comparex
Ein weiteres Minenfeld ist der Betrieb von Software in Containern. Er wird von Lizenzbedingungen oft nicht oder nur ungenügend erfasst. „Die Ursache für viele Probleme liegt da­rin, dass die Strukturen in der Cloud anders sind“, sagt Peter Wüst, Senior Director Cloud In­frastructure and Cloud Data Services EMEA beim Storage-Anbieter NetApp. „Ein Nutzer bewegt sich daher häufig in einer Grauzone, ohne zu wissen, wann er lizenztechnisch den grünen Bereich verlässt.“
Aber auch der für die allermeisten Cloud-Migrationen typische Mischbetrieb aus On-Premise-Ressourcen und Cloud-Services kann Schwierigkeiten bereiten. „Der genutzte Service wird zum einen Teil aus der Cloud und zum anderen Teil aus der eigenen IT-Infrastruktur bedient“, erklärt Stefan Wangler von Axians IT Solutions, „somit entstehen auch hybride Lizenzierungsmodelle.“
Weil sich Cloud-Ressourcen oft schon mit wenigen Mausklicks buchen lassen, kann es zudem schnell zu einem Wildwuchs an genutzten Diensten kommen, warnt Wangler: „Dies ist darin begründet, dass die etablierten Bereitstellungsprozesse nicht auf die veränderte Situation angepasst werden.“
Peter Wüst
“„Ein Nutzer bewegt sich häufig in einer Grauzone, ohne zu wissen, wann er lizenz­technisch den grünen Bereich verlässt.“„
Peter Wüst
Senior Director Cloud Infrastructure and Cloud Data Services EMEA bei NetApp

Die wahren Lizenzkosten

Auf den ersten Blick sind die Cloud-Offerten der Anbieter oft kostengünstiger als die On-Premise-Lizenzierung. „Die Hersteller tun einiges dafür, ihre Cloud-Angebote attraktiv zu machen“, gibt Anglepoint-VP Jan Hachenberger zu bedenken. „Welche Abhängigkeiten sich aus der Migration in die Cloud ergeben, wird dabei gerne mal vergessen.“ Dennoch spiele das Thema Lizenzen bei der Entscheidung für die Cloud nur eine geringe Rolle. „Die wenigsten sind sich der Implikationen bewusst, die damit verbunden sind.“
Während Software und andere Ressourcen zu Beginn fast verschenkt werden, um Anwendern die Cloud schmackhaft zu machen, ändert sich das schnell, sobald die erste Vertragsperiode abgelaufen ist. „Die Software-Hersteller können im Subskriptionsmodell jederzeit ihre Preise erhöhen - und tun das auch“, sagt Marvin Neumann, „das macht einen belastbaren Forecast extrem schwierig.“
Dr. Jan Hachenberger
“„Durch die Cloud-Nutzung nimmt die Komplexität im Lizenzmanagement weiter zu.“„
Dr. Jan Hachenberger
Vice President Anglepoint
Jan Hachenberger empfiehlt, immer auf Basis der Standardpreisliste zu planen und die oft deutlich günstigeren Einstiegsangebote nicht zum Massstab zu nehmen. „Bei der nächsten Vertragsverlängerung ziehen die Preise an, Erhöhungen um 20 oder 30 Prozent sind da nichts Ungewöhnliches.“
Ein weiteres Risiko sind nutzungsabhängige Abrechnungsmodelle, wie sie im Cloud-Einsatz typisch sind. Steigt der Bedarf unvorhergesehen stark an oder greifen viel mehr Nutzer auf die Dienste zu als vorhergesehen, explodieren die Kosten. „Es ist den Unternehmen oft nicht klar, wie viel Last tatsächlich abgerufen wird“, betont Hachenberger, „dafür fehlen die Erfahrungswerte.“ Gerade in Hybrid-Szenarien zahlten die Unternehmen oft drauf, weiss Hachenberger: „Die Erwartungen, was das Sparpotenzial angeht, erfüllen sich häufig nicht.“

Hersteller helfen bei Migration

Migrieren: Wer mit Microsoft einen Volumenlizenzvertrag mit Software Assurance abgeschlossen hat, darf Bestandslizenzen in der Cloud weiternutzen.
Die Software-Unternehmen haben natürlich auch schon längst erkannt, dass ungeklärte Lizenzfragen für den Absatz ihrer Cloud-Produkte nicht gerade förderlich sind, und Modelle entwickelt, die einen Umstieg in die Cloud erleichtern sollen.
Microsoft erlaubt es beispielsweise, Bestandslizenzen, die mit Software Assurance in einem Volumenlizenzvertrag erworben wurden, in der Cloud weiterzunutzen. Eine Übertragung anderer Lizenzen ist laut Patrick Schidler, Teamleiter Produktmarketing Cloud und Enterprise Group bei der Microsoft Deutschland GmbH, in Einzelfällen ebenfalls machbar: „Eine Übertragung, sprich Weiternutzung anderer Lizenzen, kann möglich sein, wenn lokale Installationen mit der Migration in die Cloud abgeschaltet werden.“
Der Hersteller macht es den Kunden allerdings mit allerlei Vergünstigungen schmackhaft, auf Cloud-Lizenzen im Subskriptionsmodell umzusteigen. Wer zum Beispiel Windows-Server-Lizenzen oder SQL-Server-Lizenzen mit Software Assurance nutzt, hat Anspruch auf den „Azure Hybrid Benefit“. Investitionen in bereits bestehende On-Premise-Software-Lizenzen werden dabei angerechnet. „Unternehmen mit bestehenden On-Premise-Lizenzen müssen also lediglich für die Infrastrukturkosten in der Cloud bezahlen“, sagt Schidler.
Auch beim Produkt-Support bevorzugt Microsoft Cloud-Kunden. So werden beispielsweise Windows Server und SQL Server 2008, für die der Support in den kommenden Jahren endgültig endet, weiter mit Sicherheits-Updates versorgt, wenn die Server auf Microsoft Azure betrieben werden. „Das bedeutet, dass Kunden und Partner mehr Zeit für die Migration oder Aktualisierung der Anwendung, des Betriebssystems und der Datenbank gewinnen“, erklärt Schidler.
Patrick Schidler
“„Die Übertragung, sprich Weiternutzung anderer Lizenzen, kann möglich sein, wenn lokale Installationen mit der Migration in die Cloud abgeschaltet werden.“„
Peter Schidler
Teamleiter Produktmarketing Cloud und Enterprise Group bei Microsoft Deutschland
Oracle bietet mit „Customer 2 Cloud“ ein Programm an, das Finanzierungsmöglichkeiten, Implementierungsservices und Integrationsdienste umfasst. Das Programm steht allen Kunden offen, die ERP-, EPM-, HCM- und CRM-Lösungen der Oracle-Produktlinien Siebel, PeopleSoft, JD Edwards und Oracle E-Business Suite betreiben. Sie können bestehende lokale Installationen innerhalb derselben Produktfamilie in die Oracle Applications Cloud umleiten.
„Oracle stellt sicher, dass unsere Kunden und Partner Zugriff auf Informationen und Services haben, die ihnen beim Verständnis und der Verwaltung ihrer Lizenzverpflichtungen und ihrer Investition in Oracle-Lizenzen helfen“, verspricht Harald Gessner, Head of Corporate Communications Europe North bei Oracle.
Mit der Cloud Extension Policy bietet SAP Kunden und Partnern seit 2013 Unterstützung bei der Cloud-Migration an. „Mit einem einfachen und flexiblen Modell können Unternehmen ihre vorhandenen On-Premise-Lizenzen durch Cloud-Anwendungen ersetzen“, erklärt Christian Müller, Head of Maintenance Go to Market Deutschland/Schweiz bei der SAP Deutschland SE & Co. KG. Dabei werden Nutzungsrechte und Wartungsverträge für On-Premise-Lizenzen gekündigt und durch Cloud-Subskriptionen ersetzt.
„Der Kunde sollte sicherstellen, dass die verbleibenden On-Premise-Lizenzen in Kombina­tion mit den neuen Cloud-Subskriptionen seinen Geschäftsanforderungen weiterhin entsprechen“, rät Müller. Cloud-Lizenzen im eigentlichen Sinn gibt es dabei nicht. „Der Kunde zeichnet einen sogenannten Subskriptionsvertrag, der ihm die Nutzung der Cloud-Lösung für die Dauer der Vertragslaufzeit erlaubt“, ergänzt der SAP-Manager. „Die Lösung beinhaltet über die Software hinaus auch Infrastrukturservices.“
Bei VMware gibt es seit 2016 die sogenannte Portable License Unit (PLU). „Um den Anforderungen der Cloud-Lizenzierung gerecht zu werden, haben unsere Kunden die Möglichkeit, die erworbene Lizenz sowohl On-Premise als auch in der Cloud zu nutzen“, sagt Christian Gehring, Director Solution Architects bei VMware.
Die Lizenzierung im eigenen Rechenzentrum erfolgt per CPU, in der Cloud wird nach Zahl der installierten Betriebssysteme (Operating System Instance, OSI) abgerechnet, wobei eine CPU dem Wert von 15 OSI in der Cloud entspricht.

Die richtige Strategie finden

Quelle: BSA
Bei allen Unterschieden im Detail, in einem sind sich alle von com! professional befragten Experten bemerkenswert einig: Der Gang in die Cloud befreit nicht vom Lizenzmanagement - im Gegenteil. Axians-Manager Wangler empfiehlt bereits vor der Einführung von Cloud-Diensten ein aktives Software Asset Management (SAM), das auch die Nutzung von Cloud-Ressourcen umfasst. „Seine Datenbasis und Prozesse liefern wertvolle Informationen bei der Einführung, fördern deren Transparenz und helfen, die Kontrolle über die Dienste zu bewahren.“
Zu den erfassten Daten sollte auch die Information gehören, ob vorhandene Lizenzen in der Cloud genutzt oder zumindest umgetauscht werden können. „Darüber hinaus liefert das SAM auch Daten zur eigenen IT-Infrastruktur, die bei der Entscheidung einer Migration in die Cloud hilfreich sind“, fügt Wangler hinzu.
Auf dieser Basis lasse sich auch entscheiden, welche Assets überhaupt für eine Migra­tion geeignet sind und welche Unternehmensbereiche für einen Proof of Concept taugen. Die grösste Herausforderung besteht dem Axians-Consultant zufolge dabei darin, die Datenbasis im laufenden Geschäfts­betrieb aktuell zu halten, sodass bei Bedarf schnell plausible Werte für eine Auswertung zur Verfügung stehen.
Licensing Specialist Hellmund von Comparex rät ebenfalls, SAM-Tools einzusetzen: „Unternehmen sollten auf jeden Fall Lizenzmanagement betreiben. Ausserdem lohnt es sich, Schulungen und Workshops zu dem Thema zu besuchen.“ Wichtig sei es ausserdem, sich nicht für die scheinbar günstigste Variante zu entscheiden, sondern langfristig zu planen und gemeinsam mit einem Lizenzierungsspezialisten im Vorfeld ein Migrationskonzept auszuarbeiten.
Marvin Neumann
“„Anwender sollten vor der Entscheidung für eine Cloud-Migration das Kleingedruckte in den Lizenzbedingungen unter die Lupe nehmen.“„
Marvin Neumann
Director Sales & Marketing net.DE AG
Marvin Neumann vom Internet-Service-Provider net.DE empfiehlt, sich die Vertragsbedingungen sehr genau anzusehen: „Anwender sollten vor der Entscheidung für eine Cloud-Migration das Kleingedruckte in den Lizenzbedingungen unter die Lupe nehmen.“ Er rät, bei Microsoft-Enterprise-Lizenzen eine Software Assurance mitzubuchen und das Betriebssystem auch bei Infrastructure as a Service immer vom Cloud-Provider zu beziehen. „Damit sind Unternehmen lizenztechnisch zumeist auf der sicheren Seite.“

Fazit

Dass die Kostenvorteile der Cloud oft nur auf dem Papier bestehen, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Vor allem versteckte Lizenzgebühren, aber auch Preiserhöhungen nach den ersten Jahren der Nutzung können die anfänglichen Ersparnisse schnell zunichtemachen. In vielen Fällen führt allerdings kein Weg mehr an der Cloud vorbei. Die Software-Unternehmen drücken ihre Cloud- und Abo-Modelle mit Macht in den Markt, stellen reine Kauflösungen ein oder machen sie immer unattraktiver.
Unternehmen sind auf jeden Fall gut beraten, bei der Planung ihrer Cloud-Strategie das Themenfeld Lizenzen nicht zu vernachlässigen, Alternativen sorgfältig zu explorieren und eine Exit-Strategie zu entwerfen. Das gibt ihnen zu­mindest einen gewissen Schutz gegen Preiserhöhungen oder Produkt­änderungen, die sie nicht mehr mittragen wollen oder können.

Im Gespräch mit Ulrich Kluge, Consultant Software Asset Management bei Aagon

Ulrich Kluge: Consultant Software Asset Management bei Aagon
Quelle: Aagon
Ulrich Kluge ist Consultant Software Asset Management, Presales Consulting bei der Aagon GmbH und Experte für Lizenzrecht. Im Interview mit com! professional erklärt er, welche lizenzrechtlichen Fallen in der Cloud lauern und wie man sie vermeiden kann.
com! professional: Herr Kluge, was sollten Unternehmen lizenzrechtlich beachten, wenn sie eine Migration in die Cloud planen?
Ulrich Kluge: In der Cloud haben wir es mit einer grundsätzlich anderen Art der Lizenzierung zu tun. Die Lizenz ist in der Regel an einen User gebunden und nicht an die Hardware, wie es bisher oft der Fall war. Unternehmen sind daher gut beraten, sich von dem Gedanken der Lizenz als physischer Einheit, etwa einem Software-Paket, zu trennen und in Services zu denken.
com! professional: Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen?
Kluge: Unternehmen müssen sich mit völlig neuen Vertragswerken auseinandersetzen. Die Nutzung muss unter Umständen ganz anders geregelt, dokumentiert und kontrolliert werden als bisher, um nicht in Kostenfallen zu laufen. Dazu ist Personal, Zeit und Know-how nötig, das bei vielen Anwendern nicht vorhanden ist.
com! professional: Welche Anwendungsfälle machen die grössten Probleme?
Kluge: Besonders problematisch ist, wenn Software indirekt aus einer anderen Applikation heraus genutzt wird, etwa eine Datenbank oder ein ERP-System. Das kann zu erheblichen Mehrkosten und Nachforderungen führen.
So hat SAP beispielsweise den britischen Getränkehersteller Diageo wegen indirekter Nutzung von Lizenzen auf mehr als 50 Millionen britische Pfund verklagt und vor Gericht auch gewonnen. Ein ähnlicher Disput mit Anheuser-Busch über 600 Mil­lionen Dollar wurde aussergerichtlich beigelegt.
Ein weiteres Thema, das immer wieder Schwierigkeiten macht, sind die sogenannten angebundenen Unternehmen. Wenn ich mit Partnern oder Tochterfirmen zusammenarbeite, an denen ich nicht oder nur mit einer Minderheit beteiligt bin, und ihnen Ser­vices aus der Cloud-Umgebung zur Verfügung stelle, werde ich selbst zum Hoster und benötige entsprechende Service-Provider-Lizenzen.
com! professional: Das heisst, Lizenzkosten können schnell die erhofften Kostenvorteile der Cloud-Nutzung zunichtemachen?
Kluge: Das kann passieren. Ein Kunde von uns hat das einmal für seine Oracle-Lizenzen durchgerechnet. In diesem Fall war die Cloud-Nutzung deutlich teurer als die On-Premise-Variante. Hinzu kommt, dass kaum ein Unternehmen komplett in die Cloud migriert. Lizenzen müssen also auch lokal weiter vorgehalten und bezahlt werden. Der Provider berechnet zudem zusätzliche Leistungen wie Hochverfügbarkeit oder Backup, die in der lokalen Umgebung ebenfalls vorhanden sind. Die Kombination dieser beiden Varianten verursacht doppelte Kosten.
com! professional: Zwingen die Software-Hersteller mit ihren Abo-Modellen die Kunden nicht geradezu in die Cloud?
Kluge: Absolut, das ist die erklärte Strategie der Hersteller. Micro­soft etwa hat angekündigt, dass bis 2020 zwei Drittel der über drei Millionen deutschen Bestandskunden in die Cloud migriert sein sollen. Software-Pakete aus der Cloud sind oft deutlich günstiger als entsprechende On-Premise-Angebote – zumindest auf den ersten Blick. Die wahren Kosten stellen sich oft erst später heraus.
com! professional: Kann ich Kosten sparen, indem ich vorhandene Lizenzen für Betriebssysteme oder Anwendungen in der Cloud weiterbetreibe?
Kluge: Das kommt auf den Einzelfall an. In manchen Lizenzmodellen, etwa bei OEM-Software, ist die Installation auf anderen Geräten ausgeschlossen, andere verbieten die Nutzung in virtualisierten Umgebungen, wieder andere lassen sich unter bestimmten Bedingungen übertragen.
com! professional: Lässt sich denn immer genau sagen, ob eine Lizenz in der Cloud verwendbar ist oder nicht?
Kluge: In der Regel ja, es gibt allerdings Grenzfälle. Ich kenne einen Kunden, der auf Terminalservices aus der Cloud seine eigenen Office-Pakete betreiben wollte. Selbst Lizenzberater der Hersteller konnten nicht genau sagen, ob das lizenzrechtlich erlaubt ist oder nicht.
com! professional: Wo können Unternehmen solche Lizenzfragen klären lassen?
Kluge: Zunächst einmal empfehle ich, zu einem unabhängigen Berater zu gehen und nicht den Cloud-Provider zu fragen. Der Berater sollte seine Aussagen mit Auszügen aus den Lizenzbedingungen konkret untermauern können. Bei Unklarheiten sollte man sich direkt an den Hersteller wenden, auch wenn das – wie beschrieben - nicht in jedem Fall zum Erfolg führen muss.
com! professional: Wie können Anwender Rechtsfallen und hohe Kosten bei der Cloud-Migration vermeiden?
Kluge: Sie sollten die Lizenzmodelle der Cloud-Provider genauestens hinterfragen. Die Anbieter machen es sich so einfach wie möglich, stellen nur die Vorteile in den Vordergrund und weisen nicht oder nur unzureichend auf potenzielle Lizenzfallen hin. Nur wenn die Anwender die Vertragswerke kennen, können sie auf Augenhöhe mit den Providern verhandeln. Aber auch andere rechtliche Aspekte dürfen nicht vergessen werden, etwa die Frage, wo die Daten vorgehalten werden. Patentrechte oder regulatorische Vorgaben müssen ebenfalls berücksichtigt werden.
com! professional: Hat denn die Cloud-Nutzung lizenztechnisch gesehen auch Vorteile?
Kluge: Wenn man von dem Problem der indirekten Zugriffe absieht, gibt es in der Cloud keine Unterlizenzierung, da immer nach Nutzung abgerechnet wird.
com! professional: Und löst die Cloud auch die Überlizenzierung?
Kluge: Nein, das kommt in Cloud-Umgebungen genauso vor
und sollte ebenso überwacht werden wie On-Premise. Ich nenne das immer den „Fitness-Studio-Effekt“. Viele Leute haben einen langfristigen Vertrag mit einem Fitness-Studio abgeschlossen, gehen aber nach kurzer Zeit nicht mehr hin. Ganz Ähnliches er­lebe ich bei vielen Kunden. Da werden Lizenzen für Projekte bezahlt, die es seit einem halben Jahr nicht mehr gibt.
com! professional: Was mache ich, wenn ich mit den Leistungen des Cloud-Providers unzufrieden bin? Kann ich die Cloud-Lizenzen wieder auf den On-Premise-Betrieb übertragen?
Kluge: Diese Fragen stellen sich leider die allerwenigsten Firmen, es gibt in der Regel keine Exit-Strategie. Die allgemeine Antwort lautet: Es wird wahrscheinlich teuer und kompliziert. Die On-Premise-Versionen vieler Lösungen werden nicht oder nur noch sehr begrenzte Zeit weiterentwickelt, während die Cloud-Varianten ständig aktualisiert werden. Es gibt in vielen Fällen kein Recht auf Downgrade, das heisst, der Kunde steht bei einem Rückbau unter Umständen mit nicht mehr nutzbaren Dateien da und muss auf veraltete Software zurückgreifen.



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