TK-Fachhandel 29.02.2016, 14:55 Uhr

Flüchtlinge am PoS: Kommunikation mit Händen und Füssen

Über eine Million Flüchtlinge sind im letzten Jahr nach Deutschland gekommen – und fast alle wollen telefonieren. Das bringt Probleme mit sich, birgt aber auch Chancen.
(Quelle: Photoman29 / Shutterstock)
Wenn selbst mit Händen und Füssen nichts mehr geht, greift Benjamin Jäkel zur Tastatur. „Mit Google Translator klappt die Verständigung notfalls immer. Doch in den meisten Fällen kommt man mit Englisch gut zurecht“, so der Fachverkäufer, der bei HiFi Studio Unger in Warburg die TK-Abteilung leitet.
Die Rede ist von der Kommunikation mit den vielen Flüchtlingen und Asylbewerbern, die deutschlandweit vor dem Problem stehen, ihr Handy mit einer deutschen SIM-Karte bestücken zu müssen, und daher häufig den Fachhandel aufsuchen. „Der Bedarf ist riesig. Das Smartphone ist ja die einzige Möglichkeit, um mit der Heimat in Kontakt zu bleiben. Es gibt Tage, an denen ich drei bis fünf Karten nur für diese Zielgruppe schalte, obwohl unser Shop gar nicht so gross ist“, sagt Jäkel.
Ähnlich sieht es bei Rainer Haase aus. „Bei uns in Frankenthal gibt es viele Asylsuchende“, berichtet der Inhaber eines PhotoPorst-Geschäfts. „Vor allem die Syrer können eigentlich gut Englisch, und wenn nicht, dann haben die meisten jemanden im Schlepptau, der Englisch spricht“, so Haase. Nur wenn das einzige bekannte deutsche Wort „Internet“ heisst, sorgt die Sprachbarriere manchmal für bühnenreife Verkaufsgespräche.
Alle Mobilfunkhändler in Deutschland haben mittlerweile ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit den „Neuen“ gemacht, und jeder Einzelne hat für sich auch eine Strategie entwickelt, wie er mit den Wünschen und Bedürfnissen dieser Zielgruppe umgeht. Während es Händler gibt, die Flüchtlinge konsequent nicht bedienen und sogar des Geschäfts verweisen, engagieren sich andere in Helferkreisen und rufen dazu auf, Spenden im Shop vorbeizubringen.
Das Gros der Händler, mit denen Telecom Handel gesprochen hat, versucht der Situation Positives abzugewinnen: „Natürlich ist es kaufmännisch fraglich, wenn eine Prepaid-Aufladung zehn Minuten in Anspruch nimmt. Aber es ist derzeit der einfachste Weg, eine Beziehung zu einem neuen Kundenstamm aufzubauen“, so Harald Schuster von „Der Landfunk“. Und auch Rainer Haase sagt: „Die kommen ja alle 30 Tage zur mir, denn eine Nachbuchung direkt im Netz, das macht keiner. Manche sind schon richtige Stammkunden, und die sind richtig froh, wenn ihnen geholfen wird.“

"Unerwartet höflich und freundlich"

Übereinstimmend sagen die befragten Händler, dass die Flüchtlinge meist unerwartet höflich und freundlich seien. „Klar sind auch welche dabei, die grosskotzig sind, aber genauso gibt es Deutsche, bei denen man sich fragt, wer die denn erzogen hat“, so Jäkel. Manchen müsse man auch erst erklären, dass man ein laufendes Kundengespräch nicht unterbricht. „Aber beim nächsten Mal klappt es dann. Der Wille, sich an Gepflogenheiten anzupassen, ist schon da.“ Interessant sei vielmehr, wie sich die Einheimischen verhalten würden. „Viele reagieren zurückhaltend, wenn die Flüchtlinge im Laden sind, und wenn die Jungs oder Mädels dann weg sind, stellen sie neugierige Fragen. Da leiste ich einiges an Aufklärungsarbeit“, sagt Jäkel.
Die Vodafone-Broschüre gibt es auf Englisch und Arabisch
Schwieriger als der zwischenmenschliche Umgang ist hingegen oftmals die Wahl des richtigen Produkts. „Das grösste Problem sind hierbei die hohen Ansprüche dieser Menschen“, sagt Aydin Kütük von Audio Kom – und meint damit das Datenvolumen. „Die wollen per WhatsApp, Viber und Facebook mit den Liebsten in der Heimat kommunizieren, daher ist das Volumen von grösster Bedeutung. Wir verkaufen aber hauptsächlich Vodafone und Telekom, die derzeit standardmässig 500 bis 750 Megabyte anbieten, was viel zu wenig ist“, so Kütük.
Die Wahl fällt daher meist auf die Tarife von Ethno-Providern wie Ortel, Lebara oder Lycamobile, die zum Teil Volumina von fünf Gigabyte anbieten. „Das zu verkaufen, bedeutet für uns allerdings einen grösseren Aufwand, da die Sprachbarriere relativ hoch ist und das Geschäft damit unrentabel wird“, sagt Kütük. Tatsächlich hinken die Ethno-Anbieter hier hinterher: So lässt sich etwa die Website von Ortel nicht auf Arabisch oder Farsi aufrufen. „Und auch die Sprach-Hotline meldet sich zunächst nur auf Deutsch“, kritisiert Jäkel. „Das ist eine grosse Hürde für die Kunden.“
Unverständnis herrscht bei manchen Flüchtlingen und Asylbewerbern offenbar auch darüber, dass eine Daten-„Flatrate“ hierzulande eben keine echte Flatrate ist. „Die wundern sich, dass man nicht unbegrenzt Datenvolumen bekommt. Deutschland steht hier im internationalen Vergleich sehr weit hinten“, stellt Jäkel fest.
Auch was die Wertigkeit von Dienstleistungen angeht, bringen viele Flüchtlinge eine andere Kultur mit: „Im Unterschied zu vielen Einheimischen gibt es ein Verständnis dafür, dass Serviceleistungen auch Geld kosten“, sagt Jäkel. „Jedes Mal, wenn ich irgendwie geholfen habe, werde ich hinterher gefragt: ‚Was kostet das?‘“, so der TK-Berater bei HiFi Studio Unger. Und auch Harald Schuster bestätigt: „Für die meisten Araber ist es selbstverständlich, dass eine Dienstleistung etwas kostet, speziell wenn Karte und Gerät von einer anderen Quelle stammen.“

Feilschen um den besten Preis

Rainer Haase, Inhaber PhotoPorst Haase, Frankenthal
Gefeilscht werde hingegen gerne, wenn es um den Kauf eines neuen Handys geht. „Da heisst es schnell: ‚Discount, Discount!‘“, berichtet Jäkel. Meist würden die Flüchtlinge zu eher günstigen Smart­phones greifen, die zwischen 120 und 230 Euro kosten. „Ein paar Mal habe ich auch Geräte für 500 Euro verkauft, aber das ist dann die Ausnahme“, sagt Jäkel. Rainer Haase ergänzt: „iPhones sind sehr selten.“ Beliebt sei hingegen das Galaxy S3 von Samsung. Aufräumen möchte Jäkel auch mit der Mär, dass die Flüchtlinge alle mit den tollsten Smartphones ins Land kämen. „Da ist vielleicht auch mal ein iPhone dabei“, so Jäkel, denn „schliesslich entstammen ja insbesondere aus Syrien viele der Mittelschicht. Der überwiegende Teil der Leute hat jedoch keine besonders hochwertigen Handys, die sehen mitunter sehr mitgenommen aus.“
Ist der richtige (Prepaid-)Tarif ausgewählt, eventuell auch noch das passende Smartphone dazu, so geht es an die Registrierung der Karte – und hier beginnt dann meist erst das Problem. Eigentlich gibt es klare Richtlinien, die sich aus § 111 TKG (Telekommunikationsgesetz) ergeben, die jedoch bereits in der Vergangenheit nicht allzu konsequent verfolgt wurden. So müssen Diensteanbieter – also die Provider und Carrier – sowie in deren Auftrag auch ihre Vertriebspartner nicht nur Name, Anschrift und Geburtsdatum ihrer Kunden korrekt erheben, sondern beispielsweise auch ihnen bekannt gewordene Adressänderungen unmittelbar weitergeben.

Der Ärger mit der Registrierung

Wurde ein Flüchtling bereits in einer Erstaufnahmeeinrichtung registriert und ist im Besitz einer „Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender“ (BüMA) oder sogar einer „Aufenthaltsgestattung“, so kann dieses Dokument bei der Prepaid-Kartenfreischaltung verwendet werden. Das Problem hierbei: Die Provider blockieren Adressen, die zu häufig verwendet werden. „Die sagen mir, wo sie untergebracht sind, aber ich brauche die Adresse gar nicht erst einzutippen, die wird meistens abgelehnt“, sagt Benjamin Jäkel. Die vorgeschriebene Prozedur ist dann, bei der Händler-Hotline an­zurufen. „Wenn die Adresse als Flüchtlingsunterkunft bekannt und damit eine Mehrfachbelegung beantragt ist, klappt die Freischaltung in der Regel auch“, so Chris Sassmann, Filialleiter bei Fonland in Markt Schwaben. So mancher Händler behilft sich allerdings lieber durch die Eingabe einer anderen plausiblen Adresse, etwa durch das Ändern der Hausnummer – auch dann geht die Schaltung problemlos. „Wer eine Prepaid-Karte vom Lebensmittel-Discounter selbst freischaltet, kann ja letztlich auch eingeben, was er will. Aber wir Händler werden wieder einmal gepiesackt“, empört sich Haase.

Die SMS weist auf die drohende Abschaltung hin

Schwieriger wird es, wenn der Flüchtling gerade erst in Deutschland angekommen ist und noch kein offizielles Dokument – etwa von Sozialamt, Melde- oder Ausländerbehörde – erhalten hat. Für diese Fälle hat sich die Bundesnetzagentur mit der Bundesregierung im Herbst 2015 darauf geeinigt, zunächst Name, Geburtsdatum und Adresse der Erstaufnahmeeinrichtung für die Kartenfreischaltung zu speichern.
Nach spätestens drei Monaten erhalten die Kunden dann eine SMS in englischer und arabischer Sprache mit der Aufforderung, die Daten neu registrieren zu lassen – sonst wird die Karte gesperrt. „Diese Nachregistrierung führen wir an all unseren Vertriebs-Outlets durch, also auch im Fachhandel“, sagt Thorsten Höpken, Unter­nehmenssprecher von Vodafone. Das Prozedere ist indes noch recht neu: „Anfang Februar haben wir die ersten SMS verschickt, die ersten Abschaltungen werden wir in den nächsten Tagen vornehmen.“ Vodafone rechnet damit, dass der grösste Teil der betroffenen Prepaid-Karten zunächst deaktiviert wird. „Eine Reaktivierung ist jedoch nach der Registrierung problemlos möglich“, so Höpken.
Einigen Händlern ist die Kartenschaltung für Flüchtlinge dennoch nicht ganz geheuer. „Bislang hat bei Prepaid ja kein Betreiber danach gekräht, wenn ein Name oder eine Adresse falsch sind. Aber das könnte sich durchaus ändern, wenn mal etwas passiert“, so Benjamin Jäkel. Aydin Kütük zumindest kann auch Kollegen verstehen, die Geschäfte mit dieser Personengruppe ablehnen: „Man weiss ja nicht, ob man bei schweren Verbrechen aufgrund einer falschen Legitimation in die Mithaftung hineingezogen wird.“ Allerdings: Dieses Argument gilt letztlich für Einheimische und Ausländer gleichermassen.

Interview mit Chris Sassmann, Filialleiter Fonland, Markt Schwaben

Chris Sassmann, Filialleiter Fonland, Markt Schwaben
Der Fonland-Shop von Filialleiter Chris Sassmann liegt unweit einer Flüchtlingsunterkunft.
Wie gross ist denn der Ansturm auf Ihren­ Laden?

Chris Sassmann: Vor allem Anfang und Ende des Monats ist viel los. Vermutlich wird da Geld ausgegeben, und dann kommen die meisten, um ihre Karten aufzuladen. Und ab und zu verkaufe ich auch ein Smartphone.

Viel verdienen lässt sich damit aber nicht, oder?
Sassmann: Nein, bei der Aufladung sind es nur ein paar Cent, die hängen bleiben. Und mit den Prepaid-Karten selbst verdienen wir gar nichts. Das sind Ortel-Karten, die wir kostenlos von Herweck bekommen und ohne Berechnung an die Flüchtlinge weitergeben. Wir sehen das mehr als Hilfestellung, die wir auch mit dem örtlichen Helferkreis so abgesprochen haben.

Die ganze Arbeit ohne Verdienst?
Sassmann: Das ist ja kein grosser Aufwand, und wir machen das auch wirklich gern.

Wie ist der Umgang mit den Flüchtlingen?

Sassmann: Die meisten sind sehr nett. Nur einmal hatte ich ein Pro­blem, da ist einer laut geworden, hat mich einen Betrüger geschimpft und wollte die Polizei rufen. Leider wurde der zuvor bei der Kartenaufladung von einem anderen Händler übers Ohr gehauen, und dann hat er seinen Frust an mir ausgelassen.

Und die Probleme mit der Sprache?
Sassmann: Die kommen ja oft in Gruppen, und einer ist dann immer dabei, der Englisch oder Französisch kann und für die anderen übersetzt. Manchmal wird es aber auch schwierig, denn einige können nicht einmal lesen. Die muss ich dann teilweise mit einem Zettel in der Hand wieder wegschicken.

Freischaltung: Das Verfahren für Flüchtlinge

Um Flüchtlingen die Nutzung von ­Prepaid-Karten zu erleichtern, hat die Bundesnetzagentur das Verfahren für die Registrierung vereinfacht.
Neue Flüchtlinge können auch ohne Ausweis Karten erwerben
Quelle: stockfotoart - shutterstock

Wer Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, muss gemäss § 111 Telekommunikationsgesetz persönliche Daten, wie den Namen und die Anschrift des Anschlussinhabers, speichern. Im Hinblick darauf, dass die in Deutschland ankommenden Asylsuchenden oftmals keine Ausweispapiere mit sich führen, hat sich die Bundesnetzagentur im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und dem Bundesministerium des Innern darauf geeinigt, folgendes Verfahren im Zusammenhang mit dem Verkauf von Prepaid-Karten zu akzeptieren:
  1. Bei dem Verkauf der Prepaid-Karten an Asylsuchende werden zunächst die bei der Registrierung in der Erstaufnahmeeinrichtung aufgenommenen Angaben erhoben und gespeichert. Neben dem Namen und Geburtsdatum sollte die Adresse der Erstaufnahmeeinrichtung aufgenommen werden.
  2. Nach drei Monaten werden die Nutzer der Prepaid-Karten per SMS (in englischer und arabischer Sprache) aufgefordert, sich mittels einer aktuellen „Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender“ (BüMA) oder einer Aufenthaltsgestattung neu registrieren zu lassen.
  3. Sollte diese Neuregistrierung nicht innerhalb von 14 Tagen erfolgen, werden die jeweiligen Prepaid-Karten abgeschaltet.



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