Schön anzuschauen 27.05.2019, 08:48 Uhr

Test: Nokia 9 PureView

Das aktuelle Nokia hat Beton an den Füssen, könnte allerdings damit für die Zukunft trainieren.
Schön anzuschauen ist das Nokia 9 PureView auf jeden Fall
(Quelle: Nokia)
Obwohl Nokia auf ein komplett randloses Design verzichtet, sieht das Nokia 9 PureView ausgezeichnet aus. Die Seitenränder sind praktisch inexistent und der obere und untere Rand schmal genug, um kaum aufzufallen. Kombiniert man das mit einem sehr ansprechenden Metallrahmen und der hübschen blauen Glasrückseite, erhält man ein Smartphone, das sich in keinem Schönheitswettbewerb verstecken muss. Wie üblich bietet die Glasrückseite Vor- und Nachteile. Sie sieht einerseits spektakulär aus, ist aber andererseits anfällig für Fingerabdrücke und fettige Rückstände.
Generell liegt das Nokia 9 gut in der Hand, wenn man sich denn mit der Glasrückseite anfreunden kann. Dabei helfen auch der Metallrahmen, der ordentlich Grip gibt, sowie die solid verbauten Tasten. Bei der Gerätegrösse werden sich die Geister scheiden. Allerdings nicht so extrem wie bei anderen Modellen. Nokia wählt mit 6 Zoll eine aktuell sehr übliche Displaygrösse. Das gesamte Gerät ist damit etwa so gross wie ein 5,2 Zoll grosses Smartphone von 2014.
Allzu speziell ist das Display des Nokia 9 nicht. Die Finnen verbauen ein 6-Zoll-Panel mit einer Auflösung von 2880 × 1440, was einer Pixeldichte von etwa 538 ppi entspricht. Das pOLED-Display liefert gute Farben, ohne allzu sehr aufzufallen, weder positiv noch negativ. Neben der üblichen Darstellung bietet Nokia eine Always-on-Funktion, mit der Daten wie die Uhrzeit permanent und ohne grösseren Akkuverbrauch angezeigt werden.

Handhabung

Kommen wir zu den Punkten, in denen sich Nokia stärker von der Konkurrenz unterscheidet. Anders als die meisten Smartphone-Hersteller liefert Nokia keine eigene Nutzeroberfläche aus. Stattdessen verwenden die Finnen Android One, also die von Google präferierte Oberfläche. Ein Vorteil davon: Nokia muss bei System-Updates kaum selbst etwas tun und kann entsprechend neue Android-Versionen einfach ausliefern. Wie alle Nokias erhält auch das Nokia 9 während drei Jahren ab Releasedatum garantiert die neuste Android-Version zeitnah zur Veröffentlichung durch Google.
Die Bedienung ist ebenfalls sehr angenehm. Ausser der Google-eigenen Dienste und Funktionen ist nichts vorhanden, was den ursprünglichen Fluss von Android stören könnte. Zumindest nichts aufseiten der Software.
Der Fingerabdrucksensor im Display funktioniert leider oft nicht wie gewünscht
Quelle: Nokia
Die Hardware ist eine etwas andere Geschichte. Hier verbaut Nokia den etwas älteren Qualcomm Snapdragon 845 statt des neueren Snapdragon 855. Das macht sich im direkten Vergleich mit anderen neuen Smartphones bemerkbar: Beim Nokia dauert alles ein klein wenig länger. Nicht wirklich schlimm, aber stellenweise doch mühsam. Nokia kämpft zudem noch mit Bugs bei den eigenen Software-Komponenten, wie beispielsweise der Kamera-App. Dazu später mehr.
Die etwas ältere Hardware macht sich nicht nur in der allgemeinen Performance bemerkbar, sondern sie fällt auch bei spezifischen Aufgaben ins Gewicht. Allem voran beim Fingerabdrucksensor. Die meisten In-Display-Sensoren sind etwas langsamer als die älteren Modelle im Gehäuse des Smartphones. Allerdings ist der Tempounterschied bei Nokia klar am grössten. Dazu kommt: Der Fingerabdrucksensor ist nicht gerade zuverlässig. In unserem Test reagierte der Sensor manchmal gar nicht oder blieb sogar komplett hängen. Dazu kommen viele fehlgeschlagene Versuche ohne ersichtlichen Grund. Hier muss Nokia unbedingt noch einmal über die Bücher gehen.
Falls Sie sich übrigens fragen, warum Nokia einen älteren Chipsatz verwendet: Das hat nicht mit dem Gerätepreis zu tun, sondern mit der Kamera. Das Array-System von Nokia benötigt so viel Leistung, dass Nokia den Prozessor über Monate hinweg genau für die Kamera optimieren musste. Entsprechend war es nicht mehr möglich, einen neueren Chipsatz zu verwenden und diesen an die Bedürfnisse der Kamera anzupassen.

Kamera und Fazit

Kamera

Die Fünffach-Kamera ist das Kernstück des Nokia 9
Quelle: Nokia
Da stellt sich die Frage: Hat sich der technologische Rückstand beim Prozessor für die Kamera gelohnt? Stellenweise ja. Die grundsätzliche Technologie hinter der Array-Kamera von Nokia ist beeindruckend und könnte durchaus für zukünftige Bauweisen wegweisend sein. Statt verschiedener Brennweiten verbaut Nokia fünf Kameras mit identischer Brennweite, aber leicht unterschiedlichen Sensoren. Soll heissen: Zwei Sensoren verarbeiten Farbdaten, die drei restlichen Sensoren arbeiten in Schwarz-Weiss. Letztere liefern durch den fehlenden Farbfilter eine bessere dynamische Reichweite und somit mehr Details. Die Kamera nimmt jeweils pro Knopfdruck fünf Bilder auf und vermischt diese dann per Software zu einem einzelnen Foto. Dabei kommen mehrere Techniken wie HDR und Focus Stacking zum Einsatz.
Bei Tageslicht schiesst das Nokia 9 sehr gute Fotos
Quelle: lpd / NMGZ
Der separate Monochrom-Modus ist ordentlich
Quelle: lpd / NMGZ
Das finale Bild wird entweder als fertig verarbeitetes JPG oder zusätzlich als DNG-Rohdatei mit den Informationen aller Sensoren gespeichert.
So viel zur Theorie. In der Praxis zeigt die Kamera des Nokia 9 noch einige Schwächen. Nicht konzeptuell, sondern in der Ausführung. Wie bereits erwähnt, benötigt die Array-Kamera ordentlich Leistung. Diese kann das Nokia 9 trotz angepasstem Chipsatz nicht immer zur Genüge liefern. Der Prozessor zeigt zwar auch in der sonstigen Bedienung Schwächen, gerade aber im Kameramodul bekundet der Taktgeber öfter Mühe. Es kommt zu Rucklern und generell langsamer Bedienung. Auch das Speichern der gigantischen Datenmengen bereitet dem Nokia 9 ordentlichen Arbeitsaufwand. Direkt nach dem Drücken des Auslösers ist erst eine Vorschauversion des Fotos verfügbar. Auf das finale Bild wartet man dann doch zwischen drei und zehn Sekunden. Das ist zwar keine grosse Sache, da man in den meisten Situationen nicht sofort etwas mit dem Bild machen muss, stört aber in spezifischen Situationen. Beispielsweise, wenn man etwas kurz abfotografieren und jemanden schicken möchte. Die Array-Funktion lässt sich nicht separat ein- oder ausschalten, sondern ist ein fixer Teil des Kamerasystems.
Auch der Bokeh-Effekt ist realistisch
Quelle: lpd / NMGZ
Bei Nacht hingegen versagt die Array-Kamera
Quelle: lpd / NMGZ
Mit schwierigen Lichtverhältnissen kämpft die Kamera jedoch
Quelle: lpd / NMGZ
In Sachen Bildqualität überzeugt das Nokia 9 vor allem bei Tageslicht. Zwar kann es nicht ganz mit Geräten wie dem Huawei P30 oder dem iPhone XS mithalten, allerdings spielen diese auch in einer anderen Preisklasse. Im direkten Vergleich mit Geräten um denselben Preis, steht Nokia jedoch sehr gut da. Wo die Array-Kamera grösstenteils versagt, ist bei schlechten Lichtverhältnissen. Im Dunkeln taugt das Nokia 9 definitiv nur mit Blitz als Kamera.

Fazit

Für das Nokia 9 PureView ist es noch etwas früh. Die Finnen opfern vieles der neuen Array-Kameratechnologie und erhalten dadurch ein etwas mittelmässiges Smartphone mit vielen kleinen Bugs und Fehlerchen. Aber: Die Array-Kamera hat vielseitige Anwendungsmöglichkeiten und dürfte nicht nur in dieser exakten Bauweise von Nokia zum Einsatz kommen, sondern auch in anderen Varianten. Bleibt Nokia bei der Technologie, kann diese für Smartphones der Zukunft grosse Vorteile bringen. Für das Nokia 9 PureView ist sie allerdings eher ein Klotz am Bein.
Nokia 9 PureView
Positiv: Design, Verarbeitung, Bildqualität
Negativ: Leistung, Bugs
Details: 6-Zoll-Display (2880 × 1440, 538 ppi), Snapdragon 845, 128 GB (nicht erweiterbar), 6 GB RAM, USB-C-Anschluss, Fünffach-Kamera (Array)
Strassenpreis: Fr. 629.–
Info: nokia.com



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