Interview 28.04.2016, 08:40 Uhr

Diese Auswirkungen hat die eSIM auf Handel und Netzbetreiber

Die eingebaute SIM-Karte – die sogenannte eSIM - kommt in den ersten Produkten auf den deutschen und Schweizer Markt. Der Unternehmensberater Marc Ennemann spricht über die Auswirkungen für die Player.
Marc Ennemann, Head of Telecommunication bei KPMG
Marc Ennemann, Head of Telecommunication bei KPMG
Mit der Apple-SIM im iPad Pro und der Smartwatch Galaxy Gear S2 Classic 3G kommt die erste Hardware mit eingebauten SIM-Karten - auch eSIM genannt - auf den deutschen und Schweizer Markt. Unsere Schwester Telecom Handel sprach mit Marc Ennemann, Head of Telecommunication bei KPMG, über die Konsequenzen für Netzbetreiber und Handel.

Telecom Handel: Die eSIM erlebt gerade ihre Markteinführung in Deutschland. Wie beurteilen Sie den aktuellen Stand?
Marc Ennemann: Das Thema kommt aus den USA, vor allem Apple hat bisher Druck gemacht. In Deutschland geht jetzt Vodafone mit der Gear S2 Classic 3G als eSIM-fähiges Endgerät in den Markt. Das geht aus meiner Sicht überraschend schnell, vor allem, wenn man die bisherigen Erfahrungen bei anderen Technologien bedenkt.

Warum geht das so schnell?
Ennemann: Mit Samsung und Apple stehen zwei wichtige Hardware-Hersteller mit grosser Marktmacht dahinter. Sie haben mit der Technologie auch schon den übernächsten Schritt vor Augen mit ganz anderen Märkten, etwa für Smart Home oder das Internet of Things.

Aber ausgerechnet mit einer Smartwatch sind zum Start wohl keine riesigen Stückzahlen zu erwarten ...
Ennemann: Das ist natürlich eher als ein Testballon zu sehen. Man muss nun versuchen, einen Standard auszuprobieren, um die Kinderkrankheiten zu erkennen und auch die Geschäftsmodelle zu identifizieren. Das ist ein wichtiger Lernprozess. Wenn die Erfolge da sind, wird es dann aber schnell weiter in grössere Märkte gehen. Ich gehe zudem davon aus, dass auch die Telekom spätestens in der zweiten Jahreshälfte damit kommt.
Wo liegen denn grundsätzlich die Vorteile einer eSIM?
Ennemann: Da ist zunächst die Möglichkeit, kompaktere Endgeräte zu bauen, die auf die SIM-Slots verzichten können. Zudem lassen sich mehrere Anbieter auf eine eSIM programmieren und dann verwalten. Prozesse wie ein Wechsel des Anbieters oder der Kartentausch gestalten sich so deutlich einfacher.

Ist eine eSIM denn auch so sicher wie eine separate Karte?
Ennemann: Natürlich ist das Thema Sicherheit wie bei allen Connected Devices wichtig. Die Tatsache, dass Endkunden mehrere Anbieter wählen können, könnte zum Beispiel Intransparenz bei den Informationen schaffen und so Anfälligkeiten für Manipulationen entstehen lassen. Aber das werden die Anbieter sicher im Auge behalten. Möglicherweise wird es auch strengere gesetzliche Regelungen geben, wenn erste Erfahrungen gemacht werden.

"Die eSIM ist eine Chance für TK-Unternehmen"

Ist die eSIM eher Chance oder Risiko für die TK-Branche?
Ennemann: Es ist eindeutig eine Chance für die TK-Unternehmen, die auch in andere Märkte gehen können. Sie müssen ihre Geschäftsmodelle aber dazu auch mit anderen Branchen vernetzen. Ausserdem haben Hardware-Hersteller angesichts eines zunehmend gesättigten Markts die Möglichkeit, jetzt neue Bereiche zu erschliessen. Vor allem jene Unternehmen, die sich nun trauen, auf den neuen Standard zu setzen und frühzeitig dabei zu sein, werden langfristig gewinnen.
Könnte der einfache Anbieterwechsel auch die traditionellen Vertriebsstrukturen im TK-Markt schädigen?
Bei Telefónica wird die eSIM im Shop auf der Smartwatch des Kunden installiert
Ennemann:
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass trotz immer mehr Online-Shops die Kunden noch immer für Beratung in die Läden kommen. Das wird auch durch die eSIM nicht grundsätzlich anders, aber die Art der Dienstleistung wird sich in den Shops verändern. Ein Beispiel ist Connected Home, das aktuell noch in kleinen Paketen verkauft wird, künftig können die verbundenen Geräte im Laden als Erlebniswelt demonstriert werden.

Telefónica und Vodafone wählen mit dem Shop und dem Online-Verkauf bei der Samsung Galaxy Gear S2 Classic 3G zunächst unterschiedliche Vertriebsmodelle. Warum ist das so?
Ennemann: Das sollte man nicht überbewerten, wir stehen ja noch ganz am Anfang der Entwicklung. Aus dem Verkaufsprozess werden alle lernen und dann die für sie besten Wege definieren. Es liegt in diesem Fall wohl an den historisch gewachsenen Vertriebsstrukturen. Wahrscheinlich ist, dass es auf lange Sicht bei den Netzbetreibern keine exklusiven Wege mehr gibt.

"Carrier müssen ihre Nähe zum Kunden nutzen"

Und wie wird sich das Geschäftsmodell der Carrier verändern?
Ennemann: Sie können zwar neue Kundengruppen erschliessen, müssen aber auch damit rechnen, dass andere Player wie Hersteller an ihre Kunden herantreten können. Deshalb müssen sie ihre Nähe zum Kunden nutzen, um diesem die Vorteile der neuen Technologie zu erklären. Wenn sie aber Angst haben und zu zögerlich sind, riskieren sie, abgehängt zu werden. Auch müssen sie ihr traditionelles Denken, zu dem etwa der Zweijahreszyklus der Mobilfunkverträge gehört, überwinden. Stattdessen ist es ihre Chance, mit neuen Angeboten zum Dienstleister für die Mobilität der Menschen zu werden und so die Kundenbindung zu steigern.

Welche Rolle spielt die Nutzung anderer Anbieter im Ausland?

Ennemann: Natürlich können Kunden auf Reisen schneller als bisher wechseln, aber gleichzeitig gilt das ebenfalls für Ausländer, die nach Deutschland kommen und wiederum hiesige Carrier wählen. Zudem ist das Geschäftsvolumen in diesem Bereich überschaubar. Im Prinzip wird der Marktzugang für ausländische Player vereinfacht. Aber den Schritt ins Ausland könnten ja auch deutsche Betreiber machen.

Was wird den Markt voranbringen?
Ennemann: Das Internet of Things ist ein wesentlicher Treiber. Viele Geschäftsmodelle erfordern ständige Connectivity. Die dazu nötigen Endgeräte sind keine Smartphones, sondern sie werden viele Formen haben. Das könnte auch neue Player ins Spiel bringen und die heutigen Netzbetreiber zu neuen Dienstleistungen bewegen. Grundsätzlich wird nach erfolgreichen Versuchen eine Dynamik am Markt kommen, der sich die Anbieter nicht verweigern können.

Mit welchem Zeitrahmen rechnen Sie und wird die klassische SIM aussterben?
Ennemann: Es ist schwer, das konkret festzulegen, vielleicht dauert es noch zehn Jahre. Wir werden im Übergang zudem auch noch einige hybride Endgeräte bekommen, die zusätzlich noch eine herkömmliche SIM-Karte haben. Es könnte auch bei 5G der Wechsel erfolgen, dann wird es auf jeden Fall noch mal einen signifikanten Schub geben. Manche Geschäftsmodelle, die schon jetzt in der Schublade liegen, werden auch erst dann mit der höheren Netzkapazität sinnvoll.




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