Kommentar 10.03.2022, 07:00 Uhr

Müssen wir das "Inter-" bei Internet bald streichen?

Das World Wide Web verwandelt sich immer mehr in einen Flickenteppich von voneinander getrennten Netzen. Doch nicht nur autoritäre Regimes schotten sich ab, auch Washington und Brüssel sind sich nicht einig. Das muss sich ändern.
(Quelle: Shutterstock / Niglay Nik)
Vor all den furchtbaren Bildern, die uns derzeit aus der Ukraine erreichen, mögen diese beiden Nachrichten verblassen - aber sie kommen nicht überraschend: Russland bereitet die komplette Abschottung seines Internets vor. Und ein wichtiger Dienstleister kappt die russischen Verbindungen zum Rest der Welt.

Russland will sein eigenes Internet

Nach Angaben des Medienprojektes Nexia hat das russische Digitalministerium angeordnet, eine eigene, nationale Infrastruktur inklusive DNS-Server aufzusetzen. Alle Internet-Provider im Land müssen zukünftig auf Codes aus dem Ausland verzichten. Ausländische Domain-Anbieter müssen sich aus Russland zurückziehen. Damit haben die russischen Behörden die völlige Kontrolle über alle Internet-Services, die in Russland verfügbar sind.
Gleichzeitig hat der US-amerikanische Backbone-Betreiber Cogent, einer der grössten der Welt, seinen russischen Kunden die Kündigung geschickt. Sie müssen sich jetzt andere Dienstleister suchen, um den Anschluss an das Internet zu behalten. Ob sie sie finden, ist nicht sicher.
Sollten diese Entwicklungen sich verstetigen - und wenig spricht dafür, dass sie das nicht tun werden - dann wird das Internet im grössten Land der Erde bald ähnlich hermetisch abgeschlossen sein wie das im bevölkerungsreichsten Land der Erde, China. E-Commerce mit Russland wird dann nicht mehr möglich sein - obwohl im Moment allein der Gedanke daran frivol erscheint, in einer Situation, in der als Folge des Überfalls auf die Ukraine alle relevanten Paketdienste Russland nicht mehr beliefern und in der alle relevanten Zahlungssysteme keine Zahlungen mit Russland mehr abwickeln.

Bruch zwischen EU und USA

Doch der Bruch der Systeme, er verläuft nicht nur zwischen Ost und West, er verläuft auch zwischen der EU und den USA. Auch vier Jahre nach Einführung der DSGVO gibt es keine Lösung in dem Streit, wie die Datenschutzbedürfnisse Europas mit dem Datenhunger der USA unter einen Hut zu bringen sind. Kaum einigen sich die EU-Kommission und Unterhändler des US-Justizministeriums auf einen windigen Kompromiss, schon wird der vom EuGH wieder kassiert, wegen Unvereinbarkeit mit den europäischen Datenschutzrichtlinien.
Die Situation erscheint absurd: Da werden Webshop-Betreiber von Datenschützern attackiert, weil sie auf ihrer Website kostenlose Bildschirm-Schriftarten von Google verwenden, die beim Aufruf der Seite Daten über das Endgerät nach Mountain View übermitteln. Gleichzeitig verwenden in Europa weit über 95 Prozent aller Smartphone-Besitzer ein Gerät mit einem Betriebssystem aus den USA, mehr als 80 Prozent aller Suchanfragen laufen über Google, und auch bei Cloud-Services haben Amazon, Google und Microsoft die Nase weit vorn. Die wichtigsten Social Networks kommen aus den USA oder China, aus Europa kommen sie schon einmal nicht. Aus Deutschland schon gar nicht.

Warum ein europäischer Sonderweg?

Die EU-Kommission will die GAFAs dieser Welt in die Schranken weisen, aber anstatt dies mit den USA gemeinsam zu tun, wird ein europäischer Sonderweg beschritten. Dabei stehen die grossen Digitalkonzerne in den USA genau für das gleiche Monopolistenverhalten am Pranger, für das EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in Brüssel Rekord-Bussgelder verhängt. Warum nicht gemeinsam streiten – und gemeinsam Erfolge erzielen?
Das Internet wurde ursprünglich als Netzwerk geboren, das auch dann noch funktioniert, wenn wichtige Knoten zerstört sind. Diese Qualität sollten die Europäer und die Amerikaner erhalten - wenn die Chinesen und Russen schon nicht bereit dazu sind.



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