Digitale Transformation 17.05.2017, 11:04 Uhr

Agile Methoden nicht nur in der IT einsetzen

Agiles Projekt-Management ist in der IT - etwa bei der Shop-Entwicklung - weit verbreitet. Doch warum sich nur darauf beschränken? Auch andere Unternehmensprozesse lassen sich damit beschleunigen.
(Quelle: shutterstock.com/ESB Professional)
Es ist mittlerweile eine Binsenweisheit, dass die digitale Transformation vor keinem Unternehmen und keiner Branche  haltmacht. Doch die Umsetzung solch gravierender Veränderungen stellt viele Händler verständlicherweise noch immer vor grosse Herausforderungen.
Ein Weg, Unternehmensprozesse nachhaltig zu verändern, sind agile Projekt­management-Methoden. Unter Schlagworten wie Scrum oder Lean Management haben sie zunächst vor allem bei der ­Umsetzung von IT-Projekten Verbreitung gefunden. Kurz gefasst, lässt sich das Vorgehen so beschreiben: Komplexe Prozesse werden in kleine, überschaubare Einheiten zerlegt und von fachübergreifenden Teams eigenverantwortlich bearbeitet. Zu den Vorteilen solcher Methoden zählen die Transparenz, die Schnelligkeit und die grosse Motivation der Mitarbeiter, da sie selbst für das Gelingen des Projekts verantwortlich sind.
Dieser Ansatz lässt sich prinzipiell auch auf andere Unternehmensprozesse übertragen. Einer, der sich in den letzten ­Jahren massiv mit der Veränderung der Arbeitsabläufe in seinem Unternehmen auseinandergesetzt hat, ist Wolf Sternberg, Leiter ­E-Commerce bei Papier Liebl. Der mittelständische Büroartikel-Händler aus ­Regensburg ist auf das B2B-Segment spezialisiert. "Als wir in den E-Commerce eingestiegen sind, gab es viele Baustellen, etwa im Bereich Produkt- und Kundendatenverwaltung sowie in der Logistik. Eine vollumfängliche Digitalisierung aus einem Guss wäre schlicht nicht möglich gewesen. Daher haben wir uns auf die Teilbereiche fokussiert, die uns am meisten Schmerzen bereitet haben", erklärt Sternberg.

Analyse der Prozesse mit einem Workflow-Diagramm

Einer dieser Teilbereiche, die Sternberg unter die Lupe genommen hat, war die Verwaltung der Produktstammdaten. Der wichtigste Schritt war die Analyse der Prozesse: "Wir haben ein grosses Workflow-Diagramm erarbeitet, auf dem wir die einzelnen Ereignisse wie Neuanlegen, Verändern oder Aussortieren eines Datensatzes mit seinen Bestandteilen wie Titel, Bild, Artikelnummer und so weiter dargestellt haben", so Sternberg.
Dabei habe sich ­gezeigt, dass viel mehr Faktoren in die Stammdatenverwaltung hineinspielen als ursprünglich gedacht, etwa die Integration der Daten unterschiedlicher Hersteller. "Wir haben schnell gesehen, dass uns bei der Aktualisierung der Daten eine Automatisierung fehlt", erinnert sich Sternberg, "Kam ein neues Bild rein, mussten wir händisch überprüfen, was sich verändert hat und ob wir das neue Bild verwenden wollen. Wir beziehen aber Bilder aus mehr als 700 Quellen, folglich ist das sehr aufwendig." In der Folge wurde eine neue ­Datenbank als Multimedia-Asset-Management-Plattform aufgebaut.

Auch der Einkauf lässt sich agil gestalten

Ein anderer Unternehmensbereich, der sich mit agilen Methoden optimieren lässt, ist der Einkauf. Dieser entwickle sich ­zunehmend hin zu einem wichtigen Bestandteil der Wertschöpfungskette und verlasse damit sein Nischendasein, hat Thorsten Woike beobachtet. Der Betriebswirt hat mehr als 15 Jahre im Einkauf von Energieversorgern und Dienstleistern der Energiebranche gearbeitet, bis er zusammen mit einem Partner im vergangenen Jahr das Beratungsunternehmen BeerWoike Procurement Consulting gegründet hat. Er ist sich sicher, dass sich die Einkaufsprozesse künftig massiv verändern werden – schon allein weil in vielen Unternehmen ein hoher Kostendruck zu Optimierung der Arbeitsabläufe zwingt.
Digitalisierung und Automatisierung stehen dabei weit oben auf der Tagesordnung. Und auch hierbei ist die Analyse der einzelnen Prozessschritte oft der Beginn einer Veränderung. Denn der Einkauf ist "kein monolithischer Block", wie Woike betont, sondern besteht aus unterschiedlichsten Einzelaufgaben, etwa dem Entwickeln von neuen Strategien zum Warengruppen- und Lieferantenmanagement.

Mitarbeiter mitnehmen beim Change-Prozess

So kann ein Unternehmen herausarbeiten, welche Lieferanten eine strategische Funktion haben und welche nur Standardprodukte zum möglichst günstigen Preis zuliefern sollen, also leicht austauschbar sind. Sind solche sogenannten C-Waren - meist niedrigpreisige Artikel, die in hoher Stückzahl und in grossen Mengen gebraucht werden wie zum Beispiel Büromaterial - identifiziert, geht es darum, die Zahl der Lieferanten für diese C-Ware zu reduzieren. Denn: "Nur mit einer überschaubaren Anzahl an Lieferpartnern lassen sich die Bestell- und Lieferprozesse automatisieren", ist sich Woike sicher.
Ziel sei eine Kostensenkung, denn wenn ein Artikel im Warenwert von 150 Euro beim Einkauf Prozesskosten von 90 Euro und beim Verkäufer nochmals Prozesskosten von 60 Euro für Vertrieb und Lieferung verursache, sei dies für keines der beteiligten Unternehmen sinnvoll.

Frühes Einbeziehen der Einkäufer in den Prozess

Seiner Meinung nach wird das frühe Einbeziehen der Einkäufer immer wichtiger: "Früher haben andere Abteilungen dem Einkauf fertige Listen vorgelegt und der Einkauf hat nur noch bestellt. Heute geht es darum, dass der Einkauf schon bei der Kundenakquise involviert ist, sein Markt- und Lieferantenwissen zur Verfügung stellt", so Woike. Dies erfordere aber eine neue Art Einkäufer, der in Projekten denken und den Fachabteilungen durch sein Wissen Mehrwert bieten könne. Ausserdem müssten ganz neue, fachübergreifende Teams gebildet werden, die befugt sind, ­eigenverantwortlich mit Lieferanten zu verhandeln und Ware zu bestellen.
Doch genau hier liegen oft grosse Stolpersteine, man sei dann "mitten im Thema Change Management", so Woike. Das ­belegt auch die Kurzstudie "Agiler Einkauf", die Ayelt Komus, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Koblenz, durchgeführt hat. Demnach mangelt es an der Akzeptanz agiler Methoden sowohl bei den Einkäufern als auch beim Management.

Kanban Board visualisiert, wie es um den Arbeitsfluss bestellt ist

Auch Komus befürwortet abteilungsübergreifende, eigenverantwortliche Teams, die für klar definierte Teilbereiche zuständig sind. "Methoden wie ein Kanban Board können das Team bei seiner Selbstorganisation unterstützen, ­indem visualisiert wird, woran das Team arbeitet, was noch zu tun ist und wie es um den Arbeitsfluss bestellt ist," erklärt er.
Um Lieferantenbeziehungen neu zu ­gestalten, ist es seiner Meinung nach auch wichtig, eine neue Vertragsarchitektur zu entwickeln, bei der nicht alle Einzelheiten bereits im Vorfeld festgelegt sind. "Es geht vielmehr darum, gemeinsam mit dem möglichen Lieferanten eine Vision zu entwickeln, etwa was die Positionierung von Produkten oder das Preissegment angeht", so Komus. Das widerspreche meist dem gelernten Ansatz einer Festpreisvereinbarung, wie sie lange Zeit im Einkauf üblich gewesen sei. "Doch strategischen Lieferanten sollte man eher auf Augenhöhe ­begegnen", mahnt er an. Nur so könne man von deren Know-how profitieren.

Ein Beispiel: die Eigenmarkenentwicklung

Er nennt als ein mögliches Beispiel die Eigenmarkenentwicklung eines Online-Händlers. Wenn die wichtigsten Lieferanten hier in die Produktentwicklung einbezogen seien, erlaube dies kürzere Reaktionszeiten, eine flexiblere Entwicklung individueller Produkte und Sortimente und auch eine Neuverteilung des Risikos.
Letztlich ist der Mensch wie so oft einer der wichtigsten Faktoren. Sternberg sieht in den schnell erreichbaren Erfolgen eine grosse Chance, die Akzeptanz zu verbessern: "Sie müssen ihre Mitarbeiter unbedingt mitnehmen, ihnen Ängste nehmen, Vorteile deutlich machen", betont er, "und das heisst reden, reden, reden."




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