Patrick Naef über CIOs 04.02.2021, 06:59 Uhr

«Starre Firmenstrukturen bremsen Innovation»

Selbstredend muss nicht jedes Schweizer Unternehmen sich digital neu erfinden. Denn viele sind auch traditionell erfolgreich. Patrick Naef rät CIOs aber dazu, sich bei Innovation nicht auf starre, firmeninterne Prozesse zu verlassen
Patrick Naef ist heute unter anderem als Partner beim Beratungsunternehmen Acent tätig
(Quelle: Emirates)
Eindringlich mahnt der frühere Emirates-CIO Patrick Naef seine Kollegen davor, die digitale Transformation in die Hand zu nehmen. Wenn sich die IT-Leiter weiterhin im Serverraum verstecken, laufen sie Gefahr, zu «Chief Legacy Officer» zu verkommen – während das Unternehmen um sie herum die Technologie für die Innovation all ihrer Produkte und Dienstleistungen verwendet. Denn in Zukunft wird IT ein zentraler Bestandteil aller Produkte in den meisten Branchen sein, prognostiziert Naef.
Im Interview mit unserer Schwester Computerworld erklärt er weiter, welches für ihn der richtige Weg zur Innovation ist und welche Rolle der CIO dabei spielen muss. Wie er sagt, muss der CIO auch zum Coach werden, der seine Geschäftsleitungskollegen die Möglichkeiten der digitalen Technologien vermittelt.
Computerworld: Wenn der CIO das Heft des digitalen Handelns in die Hand nehmen will: Woher bekommt er Inspiration für technologiegetriebene Innovation?
Patrick Naef: Angesichts des hohen Tempos, mit dem neue Technologien auf den Markt kommen, wird der traditionelle Ansatz, nur aus dem Unternehmen heraus zu Innovationen zu treiben, immer schwieriger. Firmeninterne Vorschriften, Prozesse, Kontrollrahmen und Organisationsstrukturen bremsen Innovationen aus und lähmen die Organisation. Einige der grössten Killer der Innovation sind traditionelle Finanzprozesse, wie Budgets und Business Cases. Wenn Sie sich die grössten Innovationen des letzten Jahrzehnts ansehen, wie viele davon wurden Ihrer Meinung nach durch einen soliden Business Case untermauert? Nicht eine wahrscheinlich!
CW: Weches ist Ihrer Meinung nach der beste Weg zur Innovation?
Naef: Echte Innovation erfordert «out-of-the-box»-Denken, das Mitarbeiter mit alltäglichen operativen Aufgaben oft nicht leisten können. Die Nutzung des Ökosystems von Start-ups, der Open-Source-Community, Universitäten, Research-Labs, Venture-Capital-Firmen usw. kann ein effizienter Weg sein, um den Pool an innovativen Ideen weit über das hinaus zu erweitern, was innerhalb des Unternehmens entstehen würde. Die meisten Mitarbeiter in operativen Funktionen betrachten nur inkrementelle Verbesserungen und «More of the same but better»-Ideen als innovativ. Es gibt ein berühmtes Zitat, das Henry Ford zugeschrieben wird: «Hätte ich die Leute gefragt, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.» Keine Autos.
Da immer mehr Produkte und Dienstleistungen digitalisiert werden, wird die Technologie zum Schrittmacher für Innovationen und gibt daher auch die erforderliche Geschwindigkeit für die Markteinführung neuer Produkte vor. Da bei offener Innovation potenziell die ganze Welt dazu beitragen kann, Innovationen voranzutreiben, ist dies eine sehr attraktive Prämisse, die schwer zu schlagen ist.
Zur Person
Patrick Naef
war von 2006 bis 2018 der Konzern-CIO der Fluggesellschaft Emirates in Dubai. 2011 wurde er von den Lesern des deutschen Magazins «CIO» zum «CIO der Dekade» gewählt. Zuvor amtete der Schweizer als CIO bei SIG sowie Swissair und hatte Führungspositionen bei der Zurich Versicherung, HP und Bank Julius Bär inne. Heute begleitet Naef Organisationen bei der Digitalisierung, unterstützt Geschäftsleitungen bei IT-Themen und coacht IT-Führungskräfte und Start-ups. Er ist Managing Partner bei der Executive-Search-Firma Boyden in Zürich sowie Partner bei Acent in Deutschland und sitzt im Verwaltungsrat der Franke.

Genügt die Schweizer Innovationskraft?

CW: Trauen Sie den Schweizer Unternehmen nicht zu, innovativ genug zu sein? Immerhin zählen sie laut diversen Studien zu den innovativsten Firmen der Welt.
Naef: Unabhängig von dem Land glaube ich, dass die meisten Unternehmen nicht in der Lage sein werden, schnell genug zu innovieren, wenn sie sich weiterhin ausschliesslich auf interne Ressourcen verlassen. Insbesondere die Innovation durch Technologie erfordert einen anderen Ansatz als den traditionellen firmeninternen Innovations-Trichter eigener Ideen oder das innerbetriebliche Vorschlagswesen.
Offene Innovation erfordert, dass das Unternehmen seine Produkte und Dienstleistungen öffnet, APIs veröffentlicht, seine Software-Codes offenlegt usw. und die Open-Source-Gemeinschaft dazu anregt, zusätzliche Funktionen und Komponenten zur Erweiterung der Kernprodukte des Unternehmens beizutragen und mit zu entwickeln. Das ist auch genau das, was Apple und Google mit ihren Smartphone-Ökosystemen gemacht haben. Nicht das Smartphone selbst oder das Betriebssystem stellen den Mehrwert des Geräts dar, sondern von unabhängigen Programmierern entwickelte Apps, die der Benutzer auf seinem Smartphone installieren kann. Mit diesem Ansatz können Apple und Google auf Tausende von hochkarätigen Entwicklern zurückgreifen, deren Apps die Funktionalität des Geräts erweitern und verbessern, und zum Wert des Ökosystems und damit des Gerätes beitragen.
Ja, die Schweiz ist da sehr gut positioniert und verglichen mit der Grösse des Landes und der Bevölkerung, haben wir ein ausgezeichnetes Innovations-Ökosystem von führenden Universitäten, Kapitalgeber (PE, VCs, Banken, Angel Investoren etc.), Start-ups, Research-Labs von führenden Technologie-Unternehmen wie IBM, Google, Facebook etc. sowie ein recht liberales und wirtschaftsfreundliches Arbeitsrecht.
CW: Aber müssen es zwingend Entwickler sein, um erfolgreich Innovation zu treiben?
Naef: Nicht zwingend. Beispielsweise haben Corporate Venture Fonds längst entdeckt, dass sie durch Investitionen in Start-ups ausserhalb ihres Unternehmens ein weitaus grösseres Potenzial haben, echte Innovationen voranzutreiben. Die Jungunternehmen sind so nicht durch firmeninterne Prozesse und Regulatorien eingeschränkt. Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Innovations-Ökosystem in Technologie-Hotspots wie Silicon Valley, dem Londoner Silicon Roundabout, der Berliner Technologieszene usw. steigt das Potenzial für wirklich innovative Ideen immens. Dazu gehört auch die Zusammenarbeit mit unabhängigen Venture-Capital-Firmen, Inkubatoren und Universitäten.
CW: Welche Rolle kommt dem CIO dabei zu?
Naef: Wenn der CIO als jemand gesehen werden will, der durch Technologie Innovation vorantreibt, wird eine wichtige Schwerpunktaktivität darin bestehen müssen, gemeinsam mit Partnern aus dem Ökosystem Hackathons zu veranstalten. Auch sollte er regelmässig an «Speed-Dating»-Sessions von Technologie-Start-ups teilnehmen, den Advisory Boards von Venture-Capital-Firmen beitreten sowie Forschungsprojekte an führenden Universitäten zu sponsern usw.
Zur Serie
Die künftige Rolle des CIO
Im Interview äussert Patrick Naef prägnant seine Meinung über aktuelle und künftige Herausforderungen der IT. Für Computerworld skizziert er die künftige Rolle des CIO. Die Beiträge zu Themen wie Digital Leadership, den Mehrwert von IT, Open Innovation und die Virtualisierung des Geschäfts sind in regelmässigen Abständen auf www.computerworld.ch zu lesen.
Bisherige Artikel:
Patrick Naef: «Starre Firmenstrukturen bremsen Innovation» (dieser Beitrag)





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